Название | FINSTERE NACHT |
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Автор произведения | Greg F. Gifune |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958350885 |
Als ihre Schultern zusammengesunken waren, sah sie noch kleiner und fragiler aus als zuvor. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen – vielleicht zu schreien – aber diesmal kam überhaupt kein Klang zustande. Stattdessen schüttelte sich ihr gesamter Körper und ihre Augäpfel rollten sich so weit nach hinten, dass nur noch Weiß zu sehen war.
Seth schoss nach vorne und versuchte, sie aufzufangen, aber sie brach zusammen und schlug mit einem ungesunden Krachen auf den Boden, bevor er sie erreichen konnte.
»Jesus!« Er rutschte neben ihr auf die Knie, schob eine Hand unter ihren Kopf und hob ihn vorsichtig einige Zentimeter vom Boden. Mit seiner anderen Hand überprüfte er ihren Puls. Der war stabil und überraschend stark, aber sie war bewusstlos. »Wir müssen sie nach drinnen schaffen«, sagte er, während er krampfhaft versuchte, sich an alles zu erinnern, was er jemals über Erste Hilfe gelernt hatte. »Schnell, packt mit an!«
»Vielleicht ist es genau das Falsche, sie jetzt zu bewegen, Mann!« Louis kam näher. »So heißt es doch immer! Schwerverletzte nicht bewegen!«
»Das gilt aber nur bei Nacken-, Kopf- oder Rückenverletzungen, oder?« Darian stieg über die Holzscheite, die er hatte fallen lassen, und kniete sich neben Seth und die junge Frau.
»Ja gut, aber sie ist gerade voll mit dem Kopf auf den Boden geschlagen!«
Seth ignorierte Louis' Kommentar und begab sich in eine hockende Position, wobei er seine freie Hand unter den Rücken des Mädchens schob. »Wir müssen sie nach drinnen bringen und Druck auf die Wunde ausüben, bevor sie verblutet!« Als er sich langsam aufrichtete, sackte die junge Frau völlig leblos in seinen Armen zusammen. Während Seth sich in Bewegung setzte, nickte er Raymond zu: »Bring die Decken mit rein, wir müssen sie irgendwie warmhalten! Komm schon, schnell!«
»Vorsichtig«, sagte Louis, »du musst ihren Nacken gerade halten!«
Als sie die Hüttentür erreicht hatten, überholte Darian sie und machte das nächstgelegene Bett frei, indem er einige leere Bierdosen auf den Boden fegte. Louis folgte ihm, doch er nahm direkt eine Position neben der Tür ein, von der er zusehen konnte, ohne im Weg zu stehen. Seth stolperte herein und legte das Mädchen vorsichtig auf die Matratze. »Oh Gott, da ist so viel Blut«, sagte er atemlos, als er feststellte, wie befleckt seine eigene Kleidung inzwischen war. Er kniete sich neben das Bett und rollte langsam das Hemd des Mädchens hoch. »Bringt ein paar Handtücher«, rief er in den Raum.
Raymond trat fast schon demonstrativ langsam durch die Tür, die Bettdecken immer noch in den Armen. »Wir sollten sie in ein Krankenhaus schaffen.«
»Das würde sie nicht überleben. Wir müssen die Blutung stoppen, oder sie hat nicht mal mehr Minuten.«
»In den Ort sind es dreißig Minuten mit dem Auto, und das an einem guten Tag mit freien Straßen«, sagte Louis. »Und ihr habt das Kaff ja gesehen. Da wohnen nicht mal fünfzig Leute; ein Krankenhaus gibt es ganz sicher nicht. Scheiße, wir könnten von Glück reden, wenn die da überhaupt einen Arzt haben. Hier in der Gegend kann man nur raten, wie weit das nächstgelegene Krankenhaus entfernt ist.«
»Hat sie eine Schusswunde?«, fragte Darian.
»Eine Kugel in die Gedärme soll ja die übelste Verletzung von allen sein.« Louis machte einen langen Hals, um über Seths Schulter sehen zu können. »Sie wäre nicht in der Lage gewesen, so zu rennen, wenn sie eine Kugel im Bauch hätte, glaub mir. Auf keinen Fall.«
Seth hörte gar nicht mehr zu. Er lenkte seine gesamte Aufmerksamkeit auf die junge Frau. Ihr Hemd trennte sich mit einem schmatzenden Geräusch von der Haut, die Baumwolle war komplett mit Blut durchtränkt. Es tropfte. Er zog das Hemd bis zum Brustansatz hoch. Sie trug keinen BH, aber das Blut reichte auch gar nicht so weit nach oben. Die Ausbreitung beschränkte sich auf den Bauchbereich. Darian tauchte nun wieder an Seths Seite auf, diesmal mit einem Handtuch.
Seth wischte vorsichtig die Blutpfütze um ihren Bauchnabel weg, während sich ihr Brustkorb langsam hob und senkte. Ansonsten blieb ihr Körper jedoch regungslos. Seth blinzelte anschließend mehrmals, in der Hoffnung, sein Sehvermögen würde zurückkehren. Denn das, was er da sah, ergab einfach keinen Sinn. »Ich glaube, ich spinne.«
»Was ist los?«, fragte Louis.
»Ich kann …« Seth wischte weiter mit dem mittlerweile vollgesogenen Handtuch über die Haut, inzwischen mit schnelleren und weitaus weniger vorsichtigen Bewegungen. »Da ist keine … ich kann keine Wunde finden!«
Darian lehnte sich zu ihm herüber. »Wo zur Hölle ist sie?«
»Es gibt keine.« Seth ließ das Handtuch fallen, es klatschte mit einem feuchten Beiklang auf den Boden. Die Hände und Handgelenke der jungen Frau waren zerschrammt, ihre Fußknöchel ebenso, und ihre Füße hatten diverse Schnittwunden erlitten. Aber jetzt, wo das Blut weggewischt war, erschien ihr Bauchbereich sauber und unverletzt.
Louis trat einen halben Schritt zurück. »Dann ist das verdammte Blut von jemand anderes!«
»Ray, pack sie in die Decken ein. Sie zittert immer noch und steht wahrscheinlich unter Schock.« Seth stand auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Trotz der Kälte war sie feucht vor Schweiß. »Und mach' die Tür zu. Wir müssen sie warmhalten.«
»Wir müssen sie hier raus bringen«, sagte Raymond nüchtern, »in ein Krankenhaus.«
Louis durchquerte den kleinen Raum mit langen Schritten, schnappte sein Gewehr aus einem Schrank in der Ecke und begann, es zu prüfen. »Ich werde mal diesen Abhang im Auge behalten. Sie ist auf jeden Fall gerannt, als würde sie jemand verfolgen.«
Raymond stand immer noch apathisch herum, deswegen ging Darian auf ihn zu, griff sich die Decken und fing an, das Mädchen dick darin einzupacken. »Es ist doch so: Wir haben keine Ahnung, was hier los ist oder was passiert sein könnte. Wir müssen die Polizei rufen!«
Seth ging auf die Tür zu. »Mein Handy ist im Auto.«
»Wie ich schon sagte, das funktioniert nicht«, erinnerte ihn Louis, »hier oben gibt es keinen Empfang.«
»Scheiße, ja.« Seth blieb wie angewurzelt stehen. »Dann müssen wir in den Ort fahren und einen Polizisten suchen. Selbst ein so kleiner Ort muss doch mindestens einen Cop haben.«
»Das Problem ist nur, dass es schon schneit.« Louis, der jetzt wie ein Wachposten an der Tür stand, das Gewehr fest im Griff, beobachtete den Wald, aus dem die junge Frau gekommen war. Obwohl es noch hell draußen war, fielen bereits die ersten Flocken. »Den Wetterwichsern zufolge wird das ein verdammt heftiger Sturm.«
»Den Wetterwichsern zufolge sollte der aber erst viel später in der Woche losgehen«, sagte Darian. »Also vielleicht braucht man denen auch nicht alles zu glauben.«
»Wenn wir es jetzt probieren, besteht aber die Gefahr, dass wir nicht mehr hierher zurück können, bis der Sturm vorbei ist. Wir müssten bis morgen warten. Falls er bis morgen überhaupt schon aufhört.«
Seth warf einen Blick auf das Gewehr. »Kannst du das Ding bitte weglegen? Das sieht einfach albern aus.«
»Es sieht aber nicht mehr albern aus, wenn ich dir damit deinen Arsch rette!«
»Um Himmels willen, Louis, wovor willst du mich denn retten?«
»Genau darum geht es doch, oder?« Louis trat heraus auf die Veranda der Hütte, wobei sein Atem sichtbar wurde. »Wir haben keine Ahnung, was da draußen ist.«
»Hör mal. Offensichtlich ist jemand schwer verletzt worden, und–«
»Wow. Siehst du, darauf wäre ich nie von alleine gekommen.«
Seth hatte überhaupt keine Lust auf Louis' Sarkasmus, aber statt ihn anzugehen, machte er ein paar Schritte durch den Raum. Er versuchte, die Anspannung, die durch seinen Körper peitschte, in etwas Produktives umzumünzen. »Was meinst du, was wir tun sollten, Mother?«
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Darian, »aber wir müssen herausfinden, wo das Blut herkommt.«
»Vielleicht hat sie jemanden gehalten, der geblutet hat«, sagte Louis. »Schau dir mal Seths Hemd an; der hat sie nur ein paar Schritte