FINSTERE NACHT. Greg F. Gifune

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Название FINSTERE NACHT
Автор произведения Greg F. Gifune
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958350885



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Sturm hatte ihn mit einem Gefühl der Bedeutungs- und Hilflosigkeit zurückgelassen. Später wurde ihm klar, dass das Heulen des Windes in seinem Traum andere Geräusche überdeckt hatte – grauenhafte Klänge, die kein Mensch jemals hören sollte. Reißende Haut, splitternde Knochen, zerfetzende Kleidung. Dazu die schreienden Echos von Schmerz, unglaublichem, quälendem Schmerz. Das Himmelreich geriet aus den Fugen und irgendwo, tief aus den Abgründen des Schlafes, kam das kranke Murmeln von Geistern. Stimmen, die in Finsternis gehüllt waren, und vom Getöse eines Blizzards verschluckt wurden. Kurz bevor der Himmel zersplitterte, hinabfiel und wie Scherben auf ihn einprasselte, wurde das Flüstern der Toten wieder zu Schreien.

       Sein Bruder war fort.

       »Raymond!« Ein eisiges Frösteln ließ ihn erwachen. Es war kalt, viel kälter als es hätte sein dürfen – wenn die Tür nach draußen nicht offen gestanden hätte! Atem dampfte aus seinem Mund und den Nasenlöchern wie Nebel, er waberte wie magischer Rauch und zog auf der Suche nach dem Dach durch die Dunkelheit. Für einen kurzen Moment war sich Seth Roman nicht sicher, wo er war, doch als er den Raum um sich herum endlich einordnen konnte und sich aufsetzte, erinnerte er sich an die Hütte. Der Mond war in dieser Nacht nicht einmal besonders hell, aber es war genug Licht, dass er die Betten neben dem seinen und die beiden Schlafsäcke auf dem Boden ausmachen konnte. Louis hatte sich das nächstgelegene Bett ausgesucht und war ebenfalls wach. Er lag ausgestreckt auf dem Bauch, den Kopf leicht vom Kissen erhoben, seine Haare waren verwuschelt und das Gesicht eine Grimasse aus Unbehagen und Verwirrung. In einem der Schlafsäcke auf dem Boden lag Darian. Er schlief fest. Ein Arm ragte hervor und er schnarchte leise. Raymond hätte eigentlich in den zweiten Schlafsack schlüpfen sollen, nachdem sie alle zu Bett gegangen waren, doch dort war niemand. Der Reißverschluss war komplett heruntergezogen, der Sack weit aufgeworfen, als wäre er schnell und hektisch verlassen worden. Die Eingangstür stand offen. Draußen wütete ein Schneesturm, der Schübe eisiger, arktischer Luft in die Hütte pustete. Seth starrte die Tür für einen Moment einfach nur an, er war nicht in der Lage zu begreifen, was er da sah. Das Flüstern aus seinem Traum verzog sich schließlich und ließ ihn alleine. »Was ist los?«, fragte er mit belegter Stimme. Oder hatte er die Worte nur gedacht? Das alles fühlte sich immer noch wie ein Traum an, unscharf und dumpf, als ob der Schlaf ihn noch nicht vollends losgelassen hätte und versuchte, ihn zurück in die Finsternis zu ziehen. Während er so da lag und versuchte, sich einen Reim auf die Situation zu machen, verlor die Zeit jegliche Bedeutung. Obwohl seine Augen offenblieben, spielten sich Szenen aus dem vorigen Tag auf seiner geistigen Leinwand ab. Diese Projektion zeigte ihm noch einmal in allen Einzelheiten, was er bereits gesehen hatte …

      ***

      Raymond hatte sie als Erster bemerkt, doch schon eine Sekunde später hatten alle sie gesehen. Trotz der offensichtlichen Brisanz der Lage konnte keiner von ihnen sprechen oder reagieren. Es war, als wären sie alle gelähmt.

       Die Frau – eigentlich war es mehr ein Mädchen – brach mit ihrem kleinen Körper aus den Schatten hervor und stolperte ungelenk einen Hügel in der Ferne hinunter. Als wäre sie aus dem Nichts erschienen, tauchte sie auf einmal aus dem dichten Wald auf und rannte, so schnell sie konnte. Sie stolperte, um ein Haar verlor sie die Balance und fiel, doch im letzten Augenblick zuckte ihr Körper fast unmenschlich und sie blieb auf den Beinen – nicht einmal langsamer wurde sie. Sie bewegte sich mit der getriebenen Schnelligkeit einer Verfolgten auf die kleine Lichtung zu, die Seth und die anderen von dem umliegenden Wald trennte.

       Seth schaute an ihr vorbei in den Wald, aus dem sie gekommen war, aber da war nichts – niemand, der hinter ihr her war. Und dennoch bewegte sie sich, als ob die Tore der Hölle hinter ihr aufgesprungen wären. Je näher sie kam, desto zierlicher und jünger erschien sie. Ihr langes Haar war zerrupft und verschwitzt; es bedurfte genau so dringend einer gründlichen Wäsche wie der Rest von ihr. Mit diesen abgewetzten Jeans und dem rot bestickten Shirt, das an 70er-Jahre Hippiemode erinnerte, wirkte sie wie jemand, der einer Zeitmaschine entsprungen war. Trotz der Kälte war sie barfuß und trug nicht einmal eine Jacke, aber das schien sie nicht zu stören. Ihre Augen strahlten eine Form von panischer Angst aus, die Seth selten zuvor gesehen hatte, und ihre Bewegungen ähnelten denen eines wilden Tieres, das in die Ecke gedrängt wurde und bereit war, um sein Leben zu kämpfen.

       Als sie nur noch etwa zehn Meter von der Hütte entfernt war, blieb sie ruckartig stehen, wobei sie mit den Armen ruderte wie jemand, der an einem Abgrund stand und die Balance halten wollte. Ihr Kopf zuckte blitzschnell hin und her, angstvoll taxierte sie die vier Männer, die plötzlich in ihrem Weg standen. In gebückter Haltung taumelte sie rückwärts, die Arme nun nach vorne ausgestreckt, als müsse sie die Männer, die sie nicht aus den Augen ließen, abwehren.

       »Ganz ruhig«, sagte Seth, während seine Gedanken rasten. »Ruhig.«

       Auf die kürzere Entfernung konnte er sehen, dass ihr Gesicht mit Dreck beschmiert war, ihre Füße waren durch den gefrorenen Boden teilweise schon aufgeplatzt, und sie schien nicht älter als siebzehn zu sein. Die beunruhigendste Erkenntnis war allerdings, dass ihr Hemd gar nicht rot bestickt war.

       Die Sprenkel, Spritzer und Flecken darauf, waren frisches Blut.

       Darian ließ das Feuerholz fallen, das er getragen hatte. Er und Louis hatten es von einem großen Stapel außen an der Hütte geholt, während Seth und Raymond gerade dabei waren, den Geländewagen endgültig auszuladen. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass alle vier Männer gleichzeitig draußen standen, seit sie gestern angekommen waren. Doch die Nachricht aus dem Radio, dass der schwere Schneesturm, der eigentlich für später in der Woche angekündigt war, nun schon diesen Nachmittag beginnen sollte, trieb sie zur Eile an. Sie wussten, dass sie zwölf bis fünfzehn Stunden in der Hütte festsitzen würden, vielleicht sogar länger.

       Die junge Frau bewegte sich weiter in dieser merkwürdigen, gebückten Pose, ihre Augen weit aufgerissen und wild.

       »Was ist los?«, fragte Darian, wodurch er die merkwürdige Stille brach – seine normalerweise feste Stimme klang jedoch zittrig und unsicher. »Es ist alles in Ordnung, was – was ist passiert?«

       Sie antwortete nicht, ihre Augen sprangen nur hektisch von einem Mann zum anderen.

       Louis blickte in den Wald hinter ihr. »Verfolgt Sie jemand?«

       Seth näherte sich ihr ein wenig, doch sie sprang zurück. Er öffnete seine Hände und hielt sie vor sich. »Es ist alles in Ordnung, niemand will Ihnen etwas tun, verstehen Sie das? Alles ist gut, Sie sind in Sicherheit!«

       »Sie blutet ziemlich stark«, murmelte Louis.

       »Fräulein«, sagte Seth ruhig, »alles ist in Ordnung, alles okay, beruhigen Sie sich, ja?«

       Louis verlagerte seine Aufmerksamkeit von ihr auf den dunklen Wald und zurück. »Nun reden Sie schon, wir müssen wissen, was hier los ist! Ist jemand hinter Ihnen her, oder was? Wir können Ihnen nicht helfen, wenn wir nicht wissen, was los ist!«

       Darian warf ihm einen bösen Blick zu. »Spinnst du, Louis, warum schreist du sie so an? Sie steht unter Schock!«

       Eine Böe eisigen Windes drückte durch die Baumreihen auf die Lichtung und wehte ihnen kalt entgegen. Der graue Himmel drohte mit Schnee. Es würde bald losgehen.

       »Ich hole mein Gewehr!« Louis wandte sich der Hütte zu. Seth signalisierte allen, die Klappe zu halten und sich nicht zu bewegen, doch ließ er dabei die Hände oben und den Blick auf dem Mädchen. Louis hatte recht; sie musste eine schwere Wunde haben, wahrscheinlich im Bauchbereich, denn ihr Hemd war an der Körpermitte komplett mit Blut durchtränkt. »Es ist alles gut«, versicherte er ihr erneut, »wir werden Ihnen nichts tun! Wir wollen Ihnen helfen, verstehen Sie das?«

       Nachdem sie wieder nicht antwortete, drehte sich Seth langsam und schaute zu den anderen. Weder Louis noch Darian hatten sich bewegt, und Raymond, der am nächsten an der Hütte stand, hielt ein paar Extradecken im Arm, die er aus dem Auto geholt hatte. In diesem Moment umgab ihn eine merkwürdige Distanziertheit – noch stärker als sonst, dachte Seth – denn sein Ausdruck strahlte etwas übertrieben Analytisches aus. Er studierte die junge Frau geradezu, suchte sie mit seinen Augen ab, und plötzlich änderte sich etwas in seinem Gesicht – als würde ihm langsam ein Gedanke dämmern.

       Die Frau gab einen stöhnenden