Einschnitte. Harald Rosenløw Eeg

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Название Einschnitte
Автор произведения Harald Rosenløw Eeg
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711441770



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      Mutter erstarrte.

      „Na, ich meine, euch alle zusammen“, fuhr er locker fort.

      Mutter überlegte.

      „Ich weiß nicht, ob das geht ...“

      „Ach, natürlich geht das. Das ist auch gut für Ole Henrik, weißt du.“

      Reidar schob den Arm aus dem Autofenster und kratzte Schnee vom Seitenspiegel ab. Vater holte uns ein und stellte sich neben das Auto.

      „Ein schöner Gottesdienst war das. Ingrid hat gerade zugesagt, dass ihr in vierzehn Tagen mit in die Hütte kommt“, erklärte Reidar lachend, „die ganze Familie. Für Ole Henrik.“

      Vater nickte.

      „Ein schöner Gottesdienst“, erwiderte Vater und zog sich zurück.

      „Dann ist das also abgemacht“, sagte Reidar. Mutter schien erleichtert. „Wir haben eine Verabredung!“, rief Reidar. Das Fenster glitt hoch und er bog in seine Straße ab.

      „Zum Gottesdienst mit dem Auto“, murmelte Vater.

      „Warum können wir uns nicht auch ’nen Citroën kaufen?“, warf ich ein.

      „Französische Autos rosten“, sagte Vater.

      Wir latschten in den Resten von einem Millimeter Neuschnee den Wergelandsvei hinauf. Ich lief etwas voraus. Mutter und Vater gingen eingehakt Arm in Arm. Sonst nie, nur von der Kirche. Vater ging eigentlich mit der Hand in der Tasche, aber so, dass Mutter ihren Arm um seinen legen konnte. So gingen die beiden die Straße hinauf, sie ein wenig zu ihm geneigt, mit nichts anderem in Händen als Vater. Als würde ein Besuch in der Kirche sie an etwas erinnern, was sie einst einander versprochen hatten.

      Der Schnee knirschte und ich summte den Schluss von Daniels Männern. Alle Schneeflocken waren verschieden. Sie fielen vom Himmel herab und legten sich weiß auf die ganze Welt. Es schneite unter dem Himmel, als Jesus an die Tür pochte. Da war ich mir ganz sicher.

      3. Kapitel

      „Hier kommt der Champion!“, schrie Reidar. Er trug einen eng anliegenden Skianzug und hatte Skier mit einer modernen Bindung wie die Skisportler im Fernsehen. Er schoss davon, stieß die Beine wie ein Profi zur Seite aus. Die Sonne brannte und wir stakten in zwei Reihen vorwärts.

      „Was für ein Wetter“, sagte Mutter matt.

      Vater lief in Kniebundhosen und altmodischer Winterschirmmütze mit langen, langsamen Schritten. Er war fast so schnell wie Reidar, aber es sah aus, als stünde er auf den Skiern still. Mutter lief ruhig. Machte ab und zu eine Pause. Dann drehte Reidar sich um und lief zu ihr zurück. Lief mit ihr zusammen, bis sie Ole Henrik und mich erreicht hatten, die auf sie warteten. So ging es die ganze Zeit. Immer ruckartig in Schüben vorwärts. Nur Vater lief gleichmäßig ohne anzuhalten. Machte ab und zu mal einen Schlenker.

      „Es ist gut, dass die Jungs mal ein bisschen Ski laufen können“, sagte Reidar.

      „Ja.“ Mutter nickte und schälte eine Apfelsine. Der Saft rann über ihre Finger.

      „Ole Henrik kann eine ganze Menge ertragen. Erinnerst du dich noch daran, als er sein Bein in die Speichen kriegte? Er hat überhaupt nicht geweint. Hat ganz still dagesessen, bis wir im Krankenhaus waren“, erinnerte sich Reidar.

      Mutter blinzelte in das scharfe Licht. Ihr Mund war ganz schmal, als wünschte sie, dass er gar nicht da wäre.

      „Hast du keine Sonnenbrille?“, fragte Reidar mich.

      „Nein“, antwortete ich und überlegte, ob er jetzt total übergeschnappt war.

      „Wie schade“, sagte er. Mutter sah mich bittend an.

      „Los, lasst uns einen Sprunghügel bauen!“, brüllte Reidar.

      Wir fanden einen kleinen Abhang. Ole Henrik und ich schnallten unsere Skier ab und bauten zusammen mit Reidar einen guten Absprung. Wir schoben Schnee zusammen und schwitzten in der Wärme. Die Sonne brannte vom Himmel und stach in unseren Augen. Wir aßen einige Schokoladenriegel, tranken Kakao mit Haut und machten mit der Schanze weiter.

      Als wir anfangen wollten zu springen, schnallte Vater seine Skier an und verschwand mit elegantem Doppelschub in der Sonne. Er wollte nach Schneehühnern Ausschau halten. Reidar meinte, dass der Lodenstoff von Vaters Hosen sicher wahnsinnig kratze. Schließlich kletterten wir den Hügel hinauf. Fuhren los und landeten. Sprangen und fielen hin. Mutter hatte sich hingesetzt und schaute zu. Klatschte und verteilte Noten. Bat Ole Henrik vorsichtig zu sein. Reidar war in seinem Element. Er stellte alle möglichen Sportler von Jesse Owens bis Karl Schnabel dar. Mutter lachte. Wir fielen auf die Nase. Tauchten mit dem Kopf in den Schnee. Bogen Skistöcke und Beine. Reidar wollte, dass Mutter auch mal sprang. Sie wollte nicht. Reidar kündigte die beste Skispringerin der Welt an, schnallte sich die Skier ab und ging los um sie von der Tribüne zu holen.

      „Ich weiß, dass du das kannst, Ingrid“, sagte Reidar und näherte sich ihr mit ausgestreckten Armen.

      „Nun hör auf mit dem Quatsch“, erwiderte sie.

      „Ich weiß, dass du das kannst“, wiederholte Reidar. Zog Mutter am Arm.

      Zuerst wehrte sie sich. Ole Henrik und ich saßen auf dem Absprunghügel und schauten zu. Reidar begann mit Schnee nach ihr zu werfen. Sie warf mit Schnee zurück. Die beiden liefen in der Landegrube herum. Lachten und kämpften miteinander.

      „Nun komm schon!“, rief Reidar. Er hatte ein Bein von Mutter zu fassen bekommen, sodass sie nach hinten fiel. Es war ganz still. Reidar beugte sich herab, wir reckten unsere Hälse. Dann hörten wir Mutter ein Kriegsgeheul ausstoßen und Reidar fiel auf die Seite. Es war ein wilder Kampf.

      Sie hörten auf. Das Licht ritzte sich in meine Augenlider, sodass ich die Sonne sehen konnte, selbst wenn ich die Augen schloss. Vater stand neben der Landegrube und schaute auf Mutter und Reidar. Sie bürsteten sich den Schnee ab und suchten nach Wolken.

      „Keiner soll dich zwingen zu springen“, sagte Reidar leise und ging zu Ole Henrik und mir.

      Mutter sagte nichts. Sie holte mehr Schokolade heraus und sah keinen von uns an.

      Wir sprangen, bis es im Absprunghügel keine Elastizität und in unseren Beinen keine Federung mehr gab. Dann liefen wir in einer weiten Schleife zur Hütte zurück. Ich hatte Sandpapier unter den Augenlidern.

      Mutter sorgte für das Mittagessen. Reidar hackte Holz und inspizierte die Skier. Er hatte seinen Skianzug ausgezogen und trug jetzt eine dicke Thermohose im gleichen Muster.

      Ich schlief mit einem abgegriffenen alten Mickymaus-Heft im Schoß auf dem Sofa ein.

      Ich wachte auf. Öffnete die Augen. Es knirschte. Ich schlug die Augen noch einmal auf. Und noch einmal. Stand auf und stieß gegen die Hüttenwand. Stieß mit dem Kopf direkt ans Holz. Fiel nach hinten um. Alles war weiß, als hätte ich ein Laken über dem Kopf. Ich fasste mir an die Augen. Sie waren offen und ich war blind. Mutter rief Reidar. Ich konnte nur zwischen weiß und noch weißer unterscheiden. Das Einzige, was mir blieb, waren die Geräusche – und ein Engel kam zu mir. Das Weißeste von allem.

      „Er kann nicht gucken“, sagte Ole Henrik.

      „Was?“, schrie Mutter auf.

      „Er ist schneeblind“, sagte Reidar. Ich spürte ihn neben mir. „Es brennt, aber das geht vorbei.“

      Meine Augenlider waren schwer wie Steine und rau wie Sandpapier. Die Farben kamen langsam zurück. Fischklöße wurden zu Frikadellen und der Engel zu Ole Henrik. Reidar schüttelte den Kopf, bekam aber nicht vollkommen seine Farbe zurück.

      Ole Henrik und Reidar waren mitten in einem Duell auf Leben und Tod. Sie spielten „Mensch ärgere dich nicht“ und starrten einander tief in die Augen.

      „Dieser Junge“, sagte Reidar. Er schüttelte den Kopf, dass ihm die braunen Locken in die Stirn fielen.

      Ole Henrik hatte sich