Tollkirschen und Brombeereis. Franziska Dalinger

Читать онлайн.
Название Tollkirschen und Brombeereis
Автор произведения Franziska Dalinger
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862567430



Скачать книгу

      Sie will schon aufspringen, als sie hinter sich eine Stimme hört: »Was machst du hier?«

      Wie elektrisiert vom Klang seiner Stimme fährt sie herum. Da kommt er gerade den Hügel hinunter, er hat ihre Bank beinahe erreicht. Seine Augen funkeln wütend.

      »Ich ... lese hier?«, sagt sie, aber es klingt wie eine Frage, unsicher, geradezu kleinlaut. Ertappt, denkt sie. Ich höre mich an, als wäre ich schuldig.

      »Hör endlich auf, mir nachzulaufen, Miriam.«

      »Ich laufe dir nicht nach!«, protestiert sie.

      »Dann ist ja gut«, sagt er schroff. »Dann kannst du hier in Ruhe weiterlesen, während ich mich verziehe.«

      »Klar«, sagt sie und wendet sich ihrem Buch zu. Sie zählt die Sekunden: »Eins, zwei ...« Bis zehn. Dann springt sie auf, greift nach dem Fahrradlenker ... und er steht immer noch hinter der Bank. Das Lächeln, das über sein Gesicht zieht, ist seltsam traurig.

      »Du benimmst dich wie eine Stalkerin«, sagt er. »Lass das.«

      Sie starrt ihm nach, als er davonmarschiert, jeder Schritt von Wut und Ärger erfüllt.

      Ich starre ihm nach.

      Denn ich bin dieses Mädchen. Ich bin die Stalkerin. Ich, Miriam Weynard, genannt Messie, spioniere einem Jungen hinterher, der nichts mit mir zu tun haben will und den ich brauche wie die Luft zum Atmen.

      Meinem Ziel, seine wahren Gefühle herauszufinden, bin ich immer noch kein Stück näher gekommen. Daniel benimmt sich abweisend, aber das muss ja nichts heißen. Er hat Schluss mit mir gemacht, weil er dachte, dass ich einen anderen liebe und mich nicht entscheiden kann. Doch das kann ich durchaus. Ich habe mich längst entschieden, wen ich will. Nicht, dass ich überhaupt eine Wahl hätte. In meinem Herzen hämmert sein Name, durch meine Adern fließt die Sehnsucht. Um den Hals trage ich die silberne Kette, die er mir zum Geburtstag geschenkt hat, mit der silberschwarzen Rose daran. Der Beweis dafür, dass ich ihm vor gar nicht allzu langer Zeit durchaus etwas bedeutet habe. Ich glaube, dass er mich immer noch liebt.

      Deshalb muss ich an diese Tasche heran.

      Während ich mein Rad über den Bürgersteig schiebe, schießen meine Gedanken hin und her und bilden ein Geflecht, das sich beinahe schon wie ein Plan anfühlt.

      Zuerst einmal brauche ich Informationen über seinen Stundenplan. Weil Daniel auf eine andere Schule geht als ich, ist das nicht ganz so einfach, aber ich habe schon eine Idee, wie ich es anstellen kann.

      Zu Hause wartet meine Mutter an der Tür. »Wo bist du nur gewesen?« Ihre Stimme klingt nicht vorwurfsvoll, nur besorgt. Ich hasse das. Als könnte ich verschwinden, einfach so, bloß wenn ich die Straße runtergehe. »Jetzt kommen wir zu spät.«

      Als wenn es mich kümmern würde, wenn ich nicht rechtzeitig zu meiner Therapiesitzung bei der hübschen, stets zum Kotzen gut gelaunten Frau Dr. Theresa Martin eintreffe. Wo ich reden soll – über Dinge, über die ich nicht reden will.

      Zurzeit komme ich überallhin zu spät, und niemand beschwert sich darüber. Dr. Martin ist die Einzige, die absolute Pünktlichkeit erwartet. Ich hasse das.

      Als Erstes muss ich Rosi überreden, einen Jungen anzurufen, den sie nicht kennt, und Einzelheiten über seinen Stundenplan aus ihm herauszukitzeln. Mit meiner früheren besten Freundin Mandy waren solche Geschichten immer viel einfacher. Da haben wir einfach einen Plan gefasst und durchgeführt, fertig. Rosi dagegen ist ein ganz anderer Typ. Sie will unbedingt wissen, was ich vorhabe und warum.

      »Du willst ihm das Portemonnaie klauen?«

      »Nicht klauen«, erkläre ich geduldig. Irgendwann hat sie die Sache mit dem Foto endlich begriffen, doch glücklich darüber ist sie nicht. Niemand ist so glücklich wie meine attraktive, bis zum letzten Lidstrich perfekt gestylte Therapeutin. (Ich hasse sie!)

      »Warum fragst du Daniel nicht einfach, ob er noch etwas für dich empfindet?«

      »Weil er lügt. Glaube ich jedenfalls.«

      Rosi blickt mich zweifelnd an. Ich weiß, was sie denkt. Daniel ist ein strahlendes Vorbild, was Ehrlichkeit angeht. Er greift nicht so schnell zu Notlügen wie andere Leute, oder besser gesagt, wie alle, die ich kenne, einschließlich meiner Wenigkeit. Die Wahrheit zu sagen ist ihm wichtig, und im Gegenzug erwartet er, dass er ebenfalls nicht belogen wird. Was das angeht, ist er allerdings nicht mehr so gutgläubig wie früher. Schade eigentlich. Ich mochte ihn ein kleines bisschen lieber, als er noch nicht so misstrauisch war. Aber da ich diejenige bin, die ihn mittlerweile überall Lüge und Verrat wittern lässt, dürfte ich mich wohl nicht darüber beschweren.

      »Und wenn er nicht lügt?«, fragt Rosi vorsichtig.

      »Wir gehören zusammen«, sage ich. »Das weiß er genauso gut wie ich. Also, hilfst du mir nun oder nicht?«

      »Ich soll Lukas anrufen, Daniels Freund?«

      »Sie haben die meisten Kurse zusammen. Er weiß garantiert, wann Daniel Sport hat.«

      Sie zupft nervös an ihren Haaren herum. »Und ich sage ihm was genau? Dass ich ihn auf dem Schulhof treffen will? Das ist so ... peinlich!«

      Rosi findet immer alles peinlich. Ich weiß gar nicht, was sie hat. Was kann schon passieren? Sie ist nicht in Lukas verliebt, daher kann ihr völlig gleich sein, was er über sie denkt. Sie kann sich blamieren, herumstottern, rot werden, alles ganz egal. Sobald sie herausgefunden hat, was ich wissen will, muss sie ihn niemals wiedersehen.

      »Das geht nicht«, murmelt sie. »Das pack ich nicht. Ich kann nicht einfach so auf Leute zugehen und sie ausfragen. Wetten, ich bring kein einziges Wort raus?«

      In Momenten wie diesen bedaure ich, dass meine Freundschaft zu Mandy und Kim zerbrochen ist. Wir waren schon eine coole Clique. Da hätte ich nicht um so einen kleinen Gefallen betteln müssen.

      Was mache ich denn nur? Wenn ich mich selbst bei Lukas melde, weiß er doch sofort, dass es um Daniel geht. Bestimmt hat er keine Lust, sich mit mir zu treffen, um Informationen über seinen besten Freund herauszurücken. Frustriert stütze ich das Kinn in beide Hände und starre aus dem Fenster. Im Schulgarten versammelt sich gerade der Bio-Kurs am Teich, der sich mit dem stolzen Titel »schuleigenes Biotop« schmückt. Sie haben Kescher dabei, Schraubgläser und Schreibblöcke. Ein paar schaffen es sogar irgendwie, eifrig auszusehen, während die meisten gähnend im Hintergrund herumstehen.

      Mir dämmert, dass auch bei mir die Stunde längst angefangen hat. Niemand hat mich ermahnt, dass ich damit aufhören soll, nach draußen zu starren. Die Lehrer lassen mich in Ruhe. Sie sind so freundlich zu mir, als könnte mich ein lautes Wort zerbrechen lassen.

      »Na gut«, flüstert Rosi, ich spüre ihre Hand auf meinem Arm. »Ich mach’s.«

      Manchmal wäre es mir lieber, sie würden mich anbrüllen. Mich zusammenstauchen. Mir an den Kopf werfen, was alles nicht in Ordnung ist und was sie von mir halten. Alles wäre besser, als ständig daran erinnert zu werden, dass ich »das Mädchen« bin. Das Mädchen, das so viel Schlimmes erlebt hat. Das arme Mädchen, das traumatisiert ist, aber trägt sie es nicht tapfer, hm?

      Ich nutze meine Zerbrechlichkeit schamlos aus. Auch das hasse ich.

      »Du musst das abstellen«, sage ich.

      Rosi zappelt herum. Ich habe ihr schon mindestens hundertmal gesagt, dass sie das lassen soll, aber sie kann einfach nicht damit aufhören. Statt cool zu tun und vor der Sporthalle herumzulungern wie ... nun ja, wie jemand, der eben cool herumlungert, hüpft sie auf und ab wie ein hyperaktiver Frosch, reibt sich die Arme, als hätten wir Frost, knibbelt an einem Pickel herum, kaut auf ihren Haaren.

      Ich finde, Rosi wirkt wesentlich traumatisierter als ich.

      »Warum bin ich überhaupt mitgekommen?«, stöhnt sie. »Ich halte das nicht aus!«

      »Du wolltest unbedingt mit«, erinnere ich sie.

      »Ja, damit du