Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

Читать онлайн.
Название Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445039



Скачать книгу

Taube. Eine Taube aus Alabaster sollte auf der Grabsteinkante sitzen und ruhen, den Kopf unter den Flügel gesteckt.

      »Dann kannst du dir immer vorstellen, das wäre ich. Sonst ist es vielleicht ein bisschen schwer zu verstehen.«

      Der junge Pfarrer aus Stockholm meinte, solcher Krimskrams sei auf dem Friedhof verboten und dass es eine Verordnung gebe, die für alle schwedischen Friedhöfe gelte, eine Verordnung aus dem Ministerium für Kommunalverwaltung. Er bekam es dann mit Pfarrer Augustsson zu tun.

      »Papperlapapp! Man kann eine Sondergenehmigung bekommen. Wenn eines unserer Gemeindemitglieder eine Alabastertaube haben möchte, dann soll es die Taube auch bekommen. Dagegen hat unser Herrgott bestimmt nichts einzuwenden.«

      Die Taube hatte begonnen, eine etwas andere Farbe anzunehmen, war irgendwie schmutzig geworden. Er hatte begriffen, dass dies an der schmutzigen Luft liegen musste. Sie kam aus Deutschland, aus dem Ruhrgebiet. Er hatte stets eine Nagelbürste dabei und jedes Mal, wenn er ihr Grab besuchte, feuchtete er die Bürste an und schrubbte den Alabaster, bis ihm die Finger wehtaten.

      5. KAPITEL

      Es gab ein Haus, das nur im Sommer bewohnt wurde. Er ging oft dorthin. Wie ein Elch hielt er sich am Waldsaum verborgen. Ein Mann und eine Frau. Er sah sie auf der Eingangstreppe sitzen, glühende Punkte, ihre Zigaretten. Er stand da und beobachtete sie und sie ahnten nicht das Geringste davon.

      Er war gerne nachts unterwegs. Darin waren sie sich ähnlich, die Katze und er. Er konnte sich so gewandt bewegen, dass ihn niemand hörte, ebenso gewandt wie sie, was aber auch notwendig war, wenn man unsichtbar bleiben wollte.

      Und das wollte er, denn er wollte selbst entscheiden.

      In der Schule hatte man ihn gezwungen, jemand zu sein, der er nicht war. Dort hatte er sowohl einen Namen als auch Pflichten gehabt. Aber das war lange her. Nun war er sein eigener Herr.

      Einmal, als er im Moor unterwegs war, sah er, wie zwei Elchkälber geboren wurden. Das eine rutschte heraus, als er gerade vorbeikam. Vor ihm lag das Moor und dort stand die Elchkuh mit gekrümmtem Rücken und so damit beschäftigt, Leben zu schenken, dass sie ihn gar nicht bemerkte. Er war mit dem Wind gekommen, nahm hastig einen Umweg und ließ sich im Riedgras auf die Knie fallen. Kurze Zeit später wurde das zweite Kalb geboren. Die beiden neugeborenen Tiere lagen da und dampften, das Ganze geschah, noch bevor die Bäume ausgeschlagen hatten und er musste sich ducken und durfte sich zwischen den Grassoden nicht rühren. Er war so nah, dass er die Zunge der Elchkuh erkennen konnte, und als ein Windstoß kam, erreichte ihn der herbe Geruch von Blut.

      Er hatte sich gewünscht, seine Mutter wäre noch am Leben, weil er gerne mit ihr darüber gesprochen hätte. Stattdessen hatte er es Kaarina gegenüber erwähnt. Sie hatte ihm zugehört, aber ihr Blick war unstet gewesen, so als wolle sie lieber nichts davon hören.

      Jetzt stand er da und schaute auf die gleiche Art, aber diesmal beobachtete er das Paar, die beiden, die zu dem Haus gekommen waren. Ihr Auto parkte am Schuppen, Nummer fünf-fünfsieben. Und daneben stand der Hackklotz, in dessen Holz die Axt steckte. In den ersten Tagen hatte der Mann dort gearbeitet, die Holzscheite flogen nur so durch die Gegend und er hatte geflucht und zugeschlagen und oft Pause gemacht um zu rauchen. Die Holzscheite lagen immer noch im Gras. Niemand hatte sie aufgehoben.

      Er hatte die beiden auch früher schon beobachtet, ohne dass sie etwas davon ahnten. Die Frau. Sie wusch sich die Haare und das Wasser tropfte von ihren braunen Brustwarzen herab. Einmal hatten sie miteinander geschlafen, hinter dem Vorratskeller. Er war damals aus dem Wald gekommen und sie waren nackt und vollkommen still gewesen. Es hatte ihm gefallen, das zu sehen, und mehrmals war er in der Hoffnung zurückgekehrt, es noch einmal erleben zu dürfen. Aber es blieb bei dem einen Mal.

      Er hatte mit Kaarina darüber gesprochen, was er gesehen hatte. Kaarina hatte Angst bekommen.

      »Geh da nicht wieder hin, sie könnten sonst wütend werden.«

      Sie war immer so ängstlich und vorsichtig.

      Das Äußere der Frau behagte ihm nicht. Sie hatte helle und flaumige Haare, mürrische Lippen und sah immer unzufrieden aus, ganz im Gegensatz zu dem Mann, der ein Mensch war, dem er sich gerne gezeigt hätte. Er würde sicher seine schwarzen Augenbrauen hochziehen und etwas Ruhiges und Würdiges sagen.

      Aber nein. Das Risiko wollte er nicht eingehen.

      Sie hatte wie ein Tier auf allen vieren gestanden. Die festen, weißen Schenkel des Manns.

      Nachher war er in den Wald zurückgegangen und hatte sich gewünscht, Kaarina würde zu ihm kommen. Heftig und erregt hatte er sich das gewünscht. Aber Kaarina war kein Mensch, der kam. Und er selbst wollte nicht zu oft zum Hof gehen. Holger konnte sonst auf dumme Gedanken kommen, er bekam so einen seltsamen Blick, wenn er gereizt wurde.

      Es war Mitternacht. In der Dunkelheit huschte eine Waldschnepfe mit einem kaum hörbaren, gleichsam klappernden Geräusch vorbei. Der Mann und die Frau schliefen nicht. Sie unterhielten sich laut auf der Treppe, aber er konnte nicht hören, was sie sagten. Die Frau schrie etwas, ihre Stimme überschlug sich. Sie lief in das rutschige Gras. Der Mann setzte ihr nach, er trug eine weite Hose.

      Er stand da und sah die Frau weglaufen und wie der Mann sie schließlich einholte. Seine Beine waren ja so lang und die Frau war so schmächtig. Sie hatte da unten nicht so viele Haare wie Kaarina, das hatte er gesehen, aber ihre Brüste waren voll und schwer.

      »Wir gehen ins Haus!«, hörte er und sah, dass die Tür zugezogen wurde.

      Gleichzeitig berührte etwas Weiches seinen Knöchel. Die Katze. Ein bisschen weiter weg saßen die kleinen Kätzchen.

      Es war genau, wie er es sich gedacht hatte. Hierher waren sie gelaufen.

      6. KAPITEL

      Manchmal erinnerte er sich an die Bewegungen, besser gesagt, sein Körper erinnerte sich an das gespreizte Abstützen der Beine auf dem Boden des Bollerwagens, die Knorrigkeit des Holzes. Und an seine halb abgewandte Mutter, ihre gewölbte Hand an der Stange, die Knöchel. Die Geräusche, wenn sie zog. Das quietschende Knarren der Räder.

      Als Erwachsener stellte er sich manchmal vor, er säße wieder in der Karre und hievte sich mit den Armen in einer Art Ruderbewegung ohne Ruder hüpfend über die Wiese, aber eben erwachsen, groß.

      Leider wusste er nicht, was aus dem Bollerwagen geworden war, sonst hätte er ihn für die kleinen Kätzchen benutzen, sie herumziehen und dadurch ihr Fernweh betäuben können.

      Dank ihm waren sie auf der Welt.

      7. KAPITEL

      Er näherte sich dem Haus. Es war Tag. Das Auto war wieder fort. Sie waren oft unterwegs und er fragte sich, wonach sie suchten.

      Das Haus hatte es immer schon gegeben und seine Mutter hatte mit Respekt von ihm und den Menschen gesprochen, die früher dort wohnten. Zu ihrer Zeit. Und von den Tieren, die zu dem Hof gehörten.

      Es gab dort eine Kuh, die zum Angriff überging, sobald man ihre Weide betrat.

      »Wir haben versucht sie zu überlisten«, sagte seine Mutter. »Ich war damals noch ein junges Mädchen und konnte so schnell laufen, dass meine Beine wie Trommelstöcke gingen. Aber sie holte mich trotzdem ein und lief ein Stück neben mir, diese Kuh, sie wollte mich bestimmt auf die Hörner nehmen, denn sie war bösartig, aber sie vergaß völlig stehen zu bleiben, und lief stattdessen immer weiter neben mir her. Sie hatte praktisch keine Hörner und war braun. Dann kroch man unter dem Zaun durch, warf sich einfach auf die Erde, rollte herum und drunter durch. Mein Gott, was hatte man da Herzklopfen!«

      Der Mann, dem die Tiere gehörten, konnte gut mit ihnen umgehen. Die Tiere wussten das und waren friedlich, außer dieser Kuh, die eine Schraube locker hatte. So lange sie noch ein Kalb war, machte es nichts, aber als sie größer wurde und Hörner bekam, musste der Bauer sie schlachten lassen.

      »Er war so weichherzig und sanftmütig, dass er es nicht mit ansehen konnte, wenn sie kamen, um seine Tiere abzuholen.