In diesem Buch stirbt jeder. Beka Adamaschwili

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Название In diesem Buch stirbt jeder
Автор произведения Beka Adamaschwili
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783863912918



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von Wasser in Wein. Das Verfallsdatum von Wundern ist überschritten – wenn sie nicht auf Foto oder Video festgehalten sind, glaubt keiner daran. Und selbst wenn sie festgehalten sind, werden sie nicht Wunder genannt, sondern gute Montagen …«

      … in Professor Arnos Leben war nie ein Wunder geschehen. Nicht eine einzige Begebenheit, die dafür getaugt hätte, sie später den Enkeln zu erzählen. Außerdem hatte er nicht mal Enkel, die eine Existenz solcher Begebenheiten notwendig gemacht hätten. Die Welt hatte also alles perfekt ausbalanciert. Die Hauptsache war, dass im Rahmen der Weltbalance alle von ihm zu Lebzeiten nicht ausgesprochenen Sätze in perfekte letzte Worte vor dem Tod verwandelt würden. Sie sollten kurz und präzise sein und zu Herzen gehen. So wie diese: Zu verkaufen: Babyschuhe, nie getragen. Oder, bildlicher ausgedrückt, wollte er den einen, alles zusammenfassenden Slogan seines Lebens kreieren …

      »Haben Sie gewusst, dass die gesamte uns bekannte jahrtausendealte Geschichte im Voraus verfasst wurde?«

      »Ja, alles ist Fiktion. Wir hingegen sind einfach nur Teile des Experiments, bei dem Sie möglicherweise der Tod erwartet.«

      Professor Arno wusste natürlich, dass ihn der Tod irgendwann einmal ereilen würde, aber ganz so früh hatte er nicht damit gerechnet. Er war so verwirrt, dass ihm als Antwort nur die allereinfachsten Anwärter auf seine letzten Worte einfielen: »Ich habe keine Angst vor dem Tod, da ich bezweifle, dass sich die Hölle als schlimmer herausstellen kann als die Erde.«

       Spoiler #2: Professor Arno wird von einer Reklametafel gepackt

      Matthäus’ Methoden waren allerdings noch nicht perfekt: Anfangs hatte er beschlossen, spät einzuschlafen und früh aufzuwachen. Er gewann mindestens fünf Stunden pro Tag, bis er aussah wie einer der Schauspieler aus den Massenszenen von »The Walking Dead« und er gezwungen war, sich geeignetere Wege zu suchen, um an sein Ziel zu kommen. Zur selben Zeit entledigte er sich auch sämtlicher Uhren und Wecker in seinem Haus, denn sie waren wie eine direkte Deklaration der verfliegenden Zeit, er merkte aber schnell, dass es überall weiterhin Uhren gab. Die Stadt verlor nie Zeit mit Fragen nach der Uhrzeit. Er versuchte sogar, den Erwartungseffekt zu verstärken: Gleich nach der Lotterieauslosung füllte er neue Tippscheine aus, damit sich die Zeit des Wartens auf die potenziellen Millionen unerträglich ausdehnte. Eine Million konnte er natürlich nicht gewinnen. Zeit dafür umso mehr. Letztendlich beschloss er, bei seiner Bank einen langjährigen Kredit aufzunehmen – denn ein Kredit folgte einem paradoxen Prinzip: Die Tage vergingen schnell von Monat zu Monat, zogen sich aber von Jahr zu Jahr schmerzlich hin. Auch das für umsonst. Obwohl Zeit Geld ist, war Geld nicht Zeit, und Matthäus merkte, dass er die meiste Zeit auf das Nachdenken übers Zeitsparen verschwendet hatte, deshalb ging er, solange noch Zeit war, zu anderen Ideen über. Ideen hatte er schließlich mehr als Zeit:

      •Er wollte ein Handelszentrum namens »Judas Iskariot« mit dem Slogan »Wir verkaufen nur das Beste!« eröffnen.

      •Er wollte mehrere identische Gemälde anfertigen, die sich untereinander nur durch ihre Titel unterschieden.

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      Müder Pollock

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      Drei Flugzeuge

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      Stirn. Alter

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      Logans Slogan

      •Er wollte eine ungewöhnliche Kreuzworträtselzeitschrift herausgeben, eine, die statt eines Titels leere Kästchen auf dem Cover hat – darüber eine Frage. Die Antwort auf diese Frage ergäbe den Titel der Zeitschrift und änderte sich bei jeder Ausgabe in Abhängigkeit von der Frage.

      •Er wollte, dass die Bevölkerung des ganzen Landes zu Millionären wird, und hatte sich dafür schon ein absolut simples Modell überlegt: Wenn jeden Monat eine Million Menschen je einen Dollar sparen und einem von ihnen geben würden, dann würde dieser eine automatisch Millionär werden. Im zweiten Monat würde der Zweite Millionär, im dritten Monat der Dritte und so weiter – bis zur Million. Der einzige Fehler des Modells bestand darin, dass das Land auf diesem Wege pro Jahr nur um zwölf Millionäre reicher würde und einige Menschen – konkret drei Millionen neunhundertsiebzehntausendachthundertzweiundzwanzig – im Laufe ihres Lebens fast keine Chance mehr haben würden, Millionär zu werden. Natürlich nur, falls nicht irgendeiner von ihnen in jener Lotterie gewinnen würde, die nicht für Matthäus gemacht zu sein schien …

      … letztendlich beschloss er, Privatdetektiv zu werden. Zuerst suchte er nach einem Fall, dann suchte er nach Wegen, ihn zu untersuchen. Und da er keinen Veteranen des Anglo-Afghanischen Kriegs als Mitbewohner hatte, musste er die Details eines Falles eben für die kommenden Generationen selbst beschreiben.

      Natürlich war sich Matthäus vollständig darüber im Klaren, dass die ganze Serie von Ermittlungen nur ein Kinderspiel war und ihm jene Zeit vertrieb, die er bis dahin vergeblich versucht hatte anzuhalten. Nach einigen erfolgreichen Ermittlungen – »Lord of the Fries« (viel Lärm ums nichts bei McDonald’s), »Der verschluckte Schlucker« (die mystische Geschichte eines aus einer Spelunke des Viertels verschwundenen Säufers), »Wer die Nachtigall stört« (ein Streit, der sich darüber entsponnen hatte, dass Schrödinger für die Tötung eines Vogels bestraft worden war) – war er allmählich von seinen Fähigkeiten überzeugt und beschloss, zu echten Morden überzugehen. Genau in diesem Moment sprach er seinen berühmten Satz: »Im Westen ist Sherlock Holmes, im Osten bin ich!«, und weil er es überaus primitiv fand, Holmes zu imitieren, plante er dessen Antipode zu werden – er rauchte E-Zigarette, spielte Vuvuzela und versuchte, induktiv zu denken.

      »Eine Vitrine ohne Scheibe. Eine leere Ausstellungsfläche. Gelbes Polizeiabsperrband