Spurensuche. Georg Markus

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Название Spurensuche
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783903217652



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ist aus Mensdorffs Amtszeit eine versuchte Großtat zu melden: Ehe die Monarchie in die Schlacht von Königgrätz taumelte, warnte der Außenminister mit prophetischen Worten, dass »dieser Krieg zur Zerstörung Österreichs führen könnte«. Hätte der Kaiser auf ihn gehört, wäre dem Land eine der schlimmsten Niederlagen seiner Geschichte erspart geblieben. Königgrätz war tatsächlich der Anfang vom Ende.

      Doch Graf Mensdorffs Regierungszeit endete unrühmlich: Der Außenminister traf 1866 auf Schloss Nikolsburg mit dem deutschen Reichskanzler Bismarck zu Verhandlungen zusammen. Als Bismarck dort abends sein Zimmer betrat, ertappte er Mensdorff, wie er in seinen geheimen Unterlagen stöberte. Bismarck verlangte die sofortige Entlassung des Grafen, zumal dieser illegal in sein Zimmer eingedrungen war. Der Eklat führte zu Mensdorffs Abberufung. Er selbst war nicht allzu traurig darüber und soll, als er des ungeliebten Postens enthoben wurde, gesagt haben: »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon früher in Bismarcks Zimmer eingestiegen!«

      Der Kaiser überwies Unsummen

       Die geheime Leidenschaft der Katharina Schratt

      Katharina Schratt zählte zu den krankhaftesten Spielerinnen von Monte-Carlo. Die k. u. k. Hofschauspielerin verbrachte Jahr für Jahr zweieinhalb Monate im kleinen Fürstentum Monaco, um ihre Spielleidenschaft zu befriedigen. Und Kaiser Franz Joseph litt darunter – auch weil er sie immer wieder mit gigantischen Summen »auslösen« musste.

      Am 23. Februar 1891, nur wenige Tage nach ihrer Ankunft, schrieb Franz Joseph an die Schratt nach Monte-Carlo: »Sie scheinen diesmal wieder arg gespielt zu haben. Wenn ich richtig zwischen den Zeilen lese, so haben Sie Ihr Reisegeld verspielt und werden daher welches pumpen müssen, um die Heimath wieder erreichen zu können.«

      Der Kaiser ließ ihr in solchen Fällen Unsummen überweisen, worauf die Schauspielerin ihre Spiel- und Hotelschulden begleichen konnte. Die Schratt verlor jedes Mal ein Vermögen. Dafür entschädigte sie den Kaiser mit den von ihm so geliebten Tratschgeschichten vom Roulettetisch: »Sehr gerührt und unterhalten«, meldete er an die Schratt, »hat mich Alles, was Sie schreiben, um mich wegen Ihres Spiels zu beruhigen, oder viel mehr Sich rein zu waschen. Auf die Geschichten aus Monte-Carlo, die Sie mir in Wien erzählen werden, freue ich mich schon sehr.«

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      »Auf die Geschichten aus Monte-Carlo freue ich mich schon sehr«, schrieb der Kaiser an Katharina Schratt.

      »Der Kaiser wollte ganz genau wissen, was die Tante im Spielsaal erlebt hatte«, erinnerte sich die Schratt-Nichte Katharina Hryntschak, die sie oft nach Monte-Carlo begleitet hatte. »Es waren ja alle dort. Die Rothschilds spielten, die elegante Gräfin Potocka oder Cäcilia, die Mutter des deutschen Kronprinzen. Am meisten hat der Kaiser sich aber gefreut, dass Victor Adler, der Führer der österreichischen Sozialdemokraten, ein leidenschaftlicher Spieler war. Darüber wollte Franz Joseph in allen Einzelheiten unterrichtet werden.«

      Nun ist es aber so, dass die Spieler eine verschworene Gemeinschaft sind und über alle Gesinnungsgrenzen hinweg an den Roulettetischen eine Front gegen die »Nichtspieler« bilden. »Es war mir daher von meiner Tante und den anderen ausdrücklich verboten worden, außerhalb des Casinos auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wer aller spielte. Für den Arbeiterführer Victor Adler wäre das ja sehr peinlich gewesen, wenn seine Spielleidenschaft in Wien publik geworden wäre. Der Kaiser war der Einzige, dem ich’s erzählen durfte. Er hat schallend gelacht, wenn er gehört hat, dass Dr. Adler neben dem Louis Rothschild gesessen ist. Victor Adler hat ausschließlich mit Fünf-Francs-Stücken gespielt und war selig, wenn sich sein Einsatz einmal verdoppelt hat.«

      Der Kaiser hingegen musste im Lauf der Jahrzehnte gigantische Summen an die Schratt nach Monte-Carlo überweisen.

      »Ich gehöre nicht mehr zu dieser Welt«

       Das einzige Interview, das die Schratt gab

      Katharina Schratt, so sagt man, hat in ihrem ganzen Leben kein Interview gegeben. Außer einem. In der Wiener Sonn- und Montagspost ist es erschienen, im März 1932. Reporter des Berichts war der später berühmt gewordene Schriftsteller Hans Habe.

      Er habe die »gnädige Frau« in ihrem Palais am Kärntner Ring getroffen, schreibt Habe. Sie war bei der Begegnung 77 Jahre alt, er 21 – und der Kaiser seit sechzehn Jahren tot.

      Die Schratt erzählte, dass es ihr wirtschaftlich schlecht ginge. »Ich habe versucht, die Möbel der Ischler Villa zu verkaufen. Aus der Hietzinger Villa und dem Haus am Ring habe ich nichts verkauft.«

      »Und Ihre Burgtheaterpension?«, fragte Habe.

      »Sie wird nicht anerkannt, weil ich durch Heirat (mit dem Diplomaten Nikolaus von Kiss, Anm.) Ungarin wurde. Mein Vermögen hat man mir weggenommen.«

      Sie sprach, ohne zu klagen, schreibt Hans Habe, und sie lächelte immer, wenn sie etwas Trauriges sagte. Wie etwa: »Ich gehöre nicht mehr zu dieser Welt. Man betet für ein langes Leben – doch man lebt zu lange.«

      Viel Falsches sei über sie verbreitet worden, erklärte sie. »So viel, dass es beinahe hoffnungslos erscheint, es zu korrigieren. Ich habe keinen Grund zu schweigen, aber Angst, missverstanden zu werden. Es ist keine falsche Diskretion, keine Geheimniskrämerei – bloß Angst. Es klingt vielleicht unglaubwürdig, aber ich hätte gesprochen, wenn die Zeiten nicht so ganz anders geworden wären.«

      Sie sprach dann vom Ersten Weltkrieg. »Es scheint der große Schmerz ihres Lebens zu sein, dass sie alles unternahm und nichts tun konnte, um seinen Ausbruch zu verhindern.«

      Das wär ja eine echte Sensation. Dachte man bisher, die Schratt hätte dem Kaiser nur lustige Geschichten aus dem Burgtheater und vom Casino erzählt, so erfährt man durch Hans Habe, dass sie sich auch in die Politik einmischte. Und um ein Haar den Ersten Weltkrieg verhindert hätte!

      »Weitere Fragen« hat Hans Habe »nicht gestellt«. Nur eins schreibt er noch: »Über den Kaiser haben wir nicht gesprochen.«

      So viel ich weiß, liegt es am Reporter, welche Fragen in einem Interview gestellt werden. Hat Hans Habe vergessen, die Schratt über den Kaiser zu befragen? Sonderbar für einen so gefinkelten Autor, wie er es war.

      Wir wollen ihm hier nicht unterstellen, dass er mit der Schratt nie gesprochen hat. Aber interessant ist’s schon: Amerikanische Zeitungen boten ihr Millionen Dollar für ein Interview. Sie aber lehnte ab. Und gab einem 21-jährigen Journalisten eines, um mit ihm nicht über den Kaiser zu sprechen.

      Der Bruder des Operettenkönigs

       Die Geschichte des Generals Anton von Lehár

      In den letzten Tagen der Monarchie komponierte Franz Lehár den Baron Lehár Marsch, den er seinem Bruder, einem führenden Offizier im Ersten Weltkrieg, widmete. Es erscheint seltsam, dass der General Anton Lehár geadelt wurde, der Komponist der Lustigen Witwe jedoch nicht.

      Prinzipiell war vorgesehen, dass verdiente Beamte, Offiziere, Industrielle, Kaufleute, Wissenschaftler und Künstler in den Adelsstand erhoben werden konnten. Was die Künstler betrifft, hatte man in Österreich-Ungarn keine besonders glückliche Hand, wurden doch einige der bedeutendsten Schriftsteller und Musiker nie geadelt, etwa Franz Grillparzer, Johann Strauss und eben Franz Lehár.

      Sehr wohl aber sein weit weniger berühmter Bruder: Anton Freiherr von Lehár war Regimentskommandant an der Isonzofront und wurde von Kaiser Karl mit dem Militär-Maria-Theresien-Orden ausgezeichnet, wodurch er automatisch Aufnahme in den Kleinadel fand.

      Anton hatte ein sehr gutes Verhältnis zu seinem um sechs Jahre älteren Bruder Franz, der ihm, als er den Baron Lehár Marsch komponiert hatte, den folgenden Brief an die Front schickte: »Lieber Toni, noch nie bin ich mit solch einer Begeisterung an die Arbeit gegangen wie beim Baron Lehár Marsch. Dir damit