Apropos Gestern. Georg Markus

Читать онлайн.
Название Apropos Gestern
Автор произведения Georg Markus
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783902998927



Скачать книгу

ich der Frau Grete noch einmal begegnen sollte. Diesmal in einer Situation, die mir – wie der Leser gleich verstehen wird – persönlich sehr naheging. Man schrieb den Spätsommer 1995, als mir die traurige Pflicht oblag, meiner Mutter die letzten Besuche in einem Wiener Krankenhaus abzustatten. Ich saß da, oft stumm, viel konnte nicht mehr gesagt werden.

      Eines Tages erhob sich eine alte Frau aus dem Bett, das neben dem meiner Mutter stand. Sie kam auf wackeligen Beinen auf mich zu und sagte: »Können sich noch erinnern?«

      Es war die Frau Grete.

      In der Nacht darauf ist meine Mutter gestorben. Die Frau Grete hat ihr, wie sie mir am nächsten Morgen mitteilte, in der Stunde ihres Ablebens die Hand gehalten.

      MEIN ERSTER HINAUSWURF

      Im Geheimtreff »Torberg-Stüberl«

      Ich hatte bald herausgefunden, dass Nachwuchsreporter, die nur über Themen berichten, die ihnen zugewiesen werden oder die von Nachrichten- und PR-Agenturen per Fernschreiber hereinkommen, für Zeitungen von eher geringem Nutzen sind. Was zählt, ist die Exklusivgeschichte, nur was die Konkurrenz nicht weiß, ist interessant. Und so begann ich, mir ein Netz von Informanten aufzubauen, zu denen neben Anwälten, Ärzten und Hoteliers auch Künstler und sonstiges »fahrendes Volk« zählten. Fünf Jahre lang arbeitete ich parallel: Ich saß am Polizeifunk, um dann zu Mord und Totschlag aufzubrechen, verfasste aber auch Interviews mit Prominenten – vielfältiger konnte meine Tätigkeit nicht verlaufen.

      »Adabei« Roman Schliesser war zu diesem Zeitpunkt längst ein prominenter Journalist der »Kronen Zeitung«, nun wollte der »Kurier« eine ähnliche Kolumne aufbauen – und ich sollte sie schreiben. Immer noch sprach man in der Redaktion davon, dass ein Reporter, der so gute Kontakte zu Gunther Philipp hatte, über ein besonderes Naheverhältnis zur Prominenz verfügen müsste.

      Ich wollte es – auch wenn von einem Naheverhältnis zu Promis keine Rede sein konnte – versuchen. Als Erstes sprach ich bei Gerhard Bronner vor, von dem ich wusste, dass er jeden Abend in seiner Fledermaus-Bar auftrat. Der Schöpfer des »G’schupften Ferdl«, des »Bundesbahnblues« und der »Alten Engelmacherin« betrieb in einem Nebenraum der Fledermaus das »Torberg-Stüberl«, in dem sich spätnachts noch die Wiener Künstlerprominenz traf.

      Das Glück schien mir hold, Bronner saß an der Bar, als ich die Fledermaus betrat, ich setzte mich zu ihm und wir kamen ins Gespräch: »Ich soll eine Gesellschaftskolumne schreiben und bitte Sie, mich zu verständigen, wenn besondere Besucher in Ihre Bar kommen, wenn Sie eine Premiere feiern oder wenn sich sonst irgendetwas Interessantes ereignen sollte.«

      Bronner hörte mir zu und sagte dann, ohne mich eines Blickes zu würdigen: »Wissen S’ was, lecken S’ mich in Arsch.«

      Das war also der Einstand in meine künftige Funktion als Society-Kolumnist (die ich im Übrigen Gott sei Dank nie antrat). Damals hatte ich nicht vermuten können, dass der so übellaunige Gerhard Bronner in ferner Zukunft zu meinen Freunden zählen sollte.

      Doch auch ohne Kolumne bürgerte sich ein, dass man mich zu Prominenten-Events, auf Bälle und sonstige Veranstaltungen schickte. So war ich dabei, als Carl Zuckmayer vom Wiener Bürgermeister der Ehrenring der Stadt Wien überreicht und im Anschluss daran im Burgtheater eine Festvorstellung seines »Hauptmanns von Köpenick« mit Werner Hinz in der Titelrolle aufgeführt wurde. Beim Heurigen hatte ich dann Gelegenheit, ein paar Worte mit dem Dichter zu sprechen. »Solche Ehrungen«, sagte er, »macht man so oft mit, dass sie schon zur Gewohnheit werden. Niemals zur Gewohnheit kann es mir hingegen werden, wenn ich meinen ›Köpenick‹ sehe – noch dazu in so glänzender Aufführung und Besetzung.«

      Mir war mit meinen 21 Jahren kaum bewusst, welche Jahrhundertfigur mir da gegenüberstand.

      BURT LANCASTERS PISTOLE

      Ein Versteck hinter Palmen

      Im Sommer 1972 begleitete ich die Wiener Dreharbeiten des Films »Scorpio, der Killer« mit Alain Delon und Burt Lancaster. Zu einer Szene, die im Palmenhaus von Schloss Schönbrunn spielte, war die Presse nicht zugelassen. Ich schwindelte mich aber mit einem Fotografen ins Palmenhaus, wo wir uns – um zu einem schönen Exklusivfoto zu kommen – hinter einer Palme versteckten. Womit die Dreharbeiten beginnen konnten. Plötzlich wurde ein uralter elektrischer Aufzug in Betrieb genommen, der mit einem ohrenbetäubenden Ruck direkt neben unserem illegalen Versteck stehen blieb. Vor mir ein Hüne von einem Mann mit gezückter Pistole, die genau auf mich gerichtet war. Wollte mich die Filmproduktion wegen unerlaubten Aufenthalts auf so unsanfte Weise vom Set entfernen? Nein, Gott sei Dank handelte es sich bei dem Riesen um Burt Lancaster, und die Pistole in seiner Hand war ein Requisit, das zur Handlung des Films gehörte. Niemand hat auf mich geschossen und ich habe überlebt.

      US-Präsident Richard Nixon traf 1972 Mao Tse-tung in Peking. Margarethe II. wurde Königin von Dänemark. Ein Terrorüberfall auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Sommerspielen in München forderte siebzehn Todesoper. Skilegende Karl Schranz wurde von den Olympischen Winterspielen in Sapporo ausgeschlossen und in Wien von hunderttausend Menschen triumphal empfangen. Andreas Baader, Ulrike Meinhoff und weitere Mitglieder der Terrorvereinigung »Rote Armee Fraktion« wurden verhaftet. Es starben der Herzog von Windsor und ehemalige König Edward VIII. von Großbritannien, Ex-Präsident Harry S. Truman, FBI-Chef J. Edgar Hoover, die Schauspieler Maurice Chevalier, Margaret Rutherford, Lale Andersen, die Gospelsängerin Mahalia Jackson und der Tenor Helge Rosvaenge. Die Wiener Ringstraße wurde zur Einbahn erklärt.

      Am ersten Tag – ich unternahm für den »Kurier« eine »Testfahrt« – war’s noch ein ziemliches Abenteuer, auf Wiens nunmehr dreispurig befahrbarer Ringstraße unterwegs zu sein, weil sich die Autofahrer erst an die neue Situation gewöhnen mussten und trotz verstärkten Polizeieinsatzes natürlich gegen die Einbahn fuhren. Noch herrschte ein solches Chaos, dass selbst ein Polizist seine Kollegen fragen musste, wie er unter den neuen Umständen zur Rossauer Kaserne käme. Und eine Dame schaffte es, obwohl ihr an jeder Kreuzung ein zusätzlich postierter Wachmann nachpfiff, eine lange Strecke gegen die neue Einbahn in Richtung Urania zu fahren. Nicht genug damit, beschimpfte sie sämtliche Autofahrer, die ihr auf »ihrer« Spur entgegenkamen.

      »BIS DER BUB IN PENSION GEHEN KANN«

      Mein Leben als Gerichtssaalreporter

      Hin- und hergerissen zwischen neuen Einbahnregelungen, blutigen Überfällen und Künstlerinterviews, wurde ich bald auch noch als Gerichtssaalberichterstatter eingesetzt. Ich schrieb über große Prozesse, etwa gegen den Wiener »Einbrecherkönig«, gegen eine junge Frau, die einem Killer den Auftrag gab, eine Nebenbuhlerin zu »beseitigen«, und über einen angesehenen Grazer Oberlandesgerichtsrat, von dem bekannt wurde, dass er niemals Jus studiert hatte. Während des Prozesses, der sich über Wochen hinzog, stellte sich auch die Frage, ob die von dem falschen Richter im Lauf von zwei Jahrzehnten gefällten Urteile ihre Gültigkeit behalten würden. Man entschied sich für deren Beibehaltung, da Neuverhandlungen auch nur eines Teils der von dem Hochstapler gefällten Schuldsprüche weder zeitlich noch technisch durchführbar gewesen wären.

      Zur »Gerichtsshow« wurde eine Klage, die Ivan Rebroff gegen eine Produktionsfirma anstrengte, die das vereinbarte Honorar für eine Sendung mit Weihnachtsliedern schuldig blieb. Es kam zu einem Vergleich, doch als der pseudorussische Sänger erfuhr, wie hoch sein Anteil an den Verfahrenskosten sein würde, schlug er dem Richter vor, statt in Schilling »in Noten« zu zahlen: »Ein Ton von mir kostet 500 Schilling, die Verhandlung macht 5000 Schilling, das sind zehn Töne.« Der Barde stellte sich mit weit ausgebreiteten Armen hin und setzte zum ersten Ton an – wurde aber vom hohen Gericht zurückgepfiffen. Gerichtskosten sind in Österreich immer noch in der gültigen Landeswährung zu begleichen, und die hieß damals Schilling.

      Ich ging jeden Morgen ins Landesgericht, um über – meist viel ernstere – Fälle zu schreiben. Kaum hatte mich Wiens Staranwalt Michael Stern als regelmäßigen Berichterstatter wahrgenommen, lud er mich auch schon zum Frühstück in seine Kanzlei, was zwar eine große Ehre war, aber kein besonderes Vergnügen, zumal