Apropos Gestern. Georg Markus

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Название Apropos Gestern
Автор произведения Georg Markus
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783902998927



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Persönlichkeit seines langjährigen Chefredakteurs und Leitartiklers Hugo Portisch. Ich fuhr also – immer noch im rosa Taunus – in den siebenten Bezirk und stellte dem Portier eine Frage, die mir in ihrer Naivität noch mehrere Jahre von altgedienten Mitgliedern der Redaktion unter die Nase gehalten wurde. Die dem Portier gestellte Frage lautete: »Entschuldigen Sie, wie wird man Journalist?« In der Version des später berühmten, leider früh verstorbenen »Kurier«-Kolumnisten Herbert Hufnagl hätte ich mein Anliegen sogar mit den Worten »Ich möchte rasend gern Reporter werden« vorgetragen.

      Wie auch immer, der Portier tat das einzig Richtige, er schickte mich in den elften Stock, in dem die Lokalredaktion untergebracht war. »Lokalchef« Josef Jäger empfing mich, und ich legte ihm meinen Wunsch dar, Journalist werden zu wollen. Als er mich fragte, was ich denn schreiben wollte, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Künstlerinterviews und Theaterkritiken!«

      Mit diesem Ansinnen machte ich mich einmal mehr lächerlich, denn in der Lokalredaktion ist man mehr mit Mord, Totschlag, Bankraub und ähnlichen Delikten beschäftigt als mit Themen der Hochkultur. Ich könnte meinen Posten, erklärte ich noch großspurig, in drei Wochen antreten, so lange sei noch ein Urlaub mit Freunden geplant.

      Weder der Wunsch nach Künstlerinterviews noch die Urlaubsplanung spielten in Herrn Jägers Reaktion eine Rolle, denn er erklärte mir, keinen Volontär aufnehmen zu können, da die Redaktion gut besetzt und im Moment kein Posten frei wäre. Ich legte ihm einen Zettel mit meiner Telefonnummer auf den Schreibtisch, verabschiedete mich artig und fuhr in die Wohnung meiner Eltern, in der ich damals noch lebte.

      Mit dem Berufswunsch »Journalist« dürfte es vorerst wohl nichts werden, zeigte ich mich enttäuscht. Doch es sollte anders kommen. Denn kaum zu Hause eingelangt, läutete das Telefon, am Apparat: Herr Jäger. »Wir haben, was ich nicht wusste, ein paar Krankenstände, einige Kollegen sind in den Bundesländern unterwegs, andere auf Urlaub. Also, wenn Sie anfangen wollen, dann kommen Sie. Aber nicht morgen oder in drei Wochen, sondern jetzt gleich. Am besten Sie machen sich sofort auf den Weg, es gibt genug zu tun.«

      Heute weiß ich, dass ich unerhörtes Glück hatte. Täglich meldeten sich in den Redaktionen Dutzende junge Leute, die den vermeintlichen Traumberuf »Journalist« anstrebten, ohne zu wissen, wie das geht und was zu tun ist.

      Auch ich wusste es natürlich nicht. Aber ich wollte mir die Chance nicht entgehen lassen, sagte den geplanten Urlaub ab und fuhr ein zweites Mal an diesem Tag in die Lindengasse. Dass mich Herr Jäger anrief, verdankte ich ausschließlich dem Umstand, dass ich der Letzte war, der an diesem Tag bei ihm vorgesprochen hatte, wodurch meine Telefonnummer noch auf seinem Schreibtisch lag und nicht im Papierkorb wie die Nummern aller anderen.

      Josef Jäger wies mich einem »erfahrenen Reporter« zu, der allerdings auch erst seit wenigen Tagen in diesem Beruf tätig war, und sagte, dass mir Herr Pleschitzger, so hieß der junge Mann, alles erklären würde. Ernst Pleschitzger indes sagte nur: »Setzen S’ Ihna da her und horchen S’ gut zu.«

      Und das war auch schon die gesamte Einschulung, die ich bis zum heutigen Tag zur Erlangung des Journalistenberufs erfahren habe.

      Ich setzte mich an den mir zugewiesenen Tisch, auf dem ein kleines Kästchen stand, das seltsame Geräusche von sich gab, und hörte auftragsgemäß zu. »Zentrale an Berta zwo, Überfall auf Zentralsparkasse Filiale Taborstraße. Vorsicht, der Täter ist bewaffnet.«

      Ich saß also am »Polizeifunk«, dessen Abhörung eigentlich nicht ganz legal war, aber von der Exekutive geduldet wurde, da diese selbst Interesse daran hatte, dass ihre Arbeit von den Medien unterstützt und gewürdigt würde.

      Im Falle eines solchen Überfalls raste man dann im chauffeurgefahrenen Redaktionswagen und in Begleitung eines Fotografen zu der genannten Bankfiliale und versuchte Interviews mit Polizisten, Zeugen und sonstigen Personen zu erhalten. Dann fuhr man so schnell wie möglich zurück in die Redaktion und wartete auf Herrn Jägers Anweisung, ob die Story als Ein-, Zwei- oder gar Dreispalter vorgesehen wäre. Das war insofern von großer Bedeutung, als wir Nachwuchsreporter als freie Mitarbeiter nach Zeilenhonorar bezahlt wurden. Man versuchte also, die jeweilige Story als interessant zu »verkaufen«, um sie möglichst detailreich schreiben zu können.

      Also, »schreiben« ist übertrieben. Die ersten Artikel wurden von erfahrenen Redakteuren umformuliert, ich selbst wusste ja noch nicht, wie eine Geschichte aufgebaut werden muss. Vor allem aber: Der Polizeifunk lieferte in den seltensten Fällen Geschichten wie obigen Bankraub, sondern meist belanglose Meldungen wie »Alte Frau hat sich verirrt und ist seit zwei Stunden abgängig« oder »Wohnungseinbruch in Wien-Währing« oder gar »Verdächtiges Geräusch in einem Blumengeschäft«. Zu solchen »Fällen«, das hatte ich bald heraußen, fuhr man natürlich nicht. Genau solche Polizeifunkmeldungen waren aber der Alltag des ahnungslosen Redaktionsaspiranten.

      In meinen ersten Wochen und Monaten berichtete ich über die Eröffnung der Wiener Rathausgarage, über ein Wiener Taxi, das eine Million Kilometer auf dem Buckel hatte, über die populären »Kurier«-Hausfrauennachmittage, über einen Autounfall der Jazzlegende Fatty George, und ich betreute mit anderen die Kolumne »Ein Tisch für zwei«, die sich als äußerst nahrhaft erweisen sollte, da man regelmäßig renommierte Restaurants zu testen hatte.

      Über die wahren Themen, die im Jahr 1970 bewegten, schrieb im »Kurier« natürlich nicht ich, sondern hart gesottene Profis. Bruno Kreisky wurde zum ersten Mal Bundeskanzler. Das zweite österreichische Fernsehprogramm ging täglich auf Sendung. Bundeskanzler Willy Brandt bat mit seinem historischen Kniefall von Warschau um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. In Salzburg wurde die neue Felsenreitschule eröffnet. Die Wiener Verkehrsbetriebe nahmen erstmals weibliche Straßenbahner auf. Der Musiker Jimi Hendrix und die Sängerin Janis Joplin starben infolge Drogenmissbrauchs. Österreichs Formel-1-Weltmeister Jochen Rindt kam beim Training zum Grand Prix in Monza ums Leben. Es starben die Politiker Charles de Gaulle und Gamal Abdel Nasser, die Schriftsteller Erich Maria Remarque, Paul Celan und John Knittel sowie die Schauspieler Grethe Weiser und Fritz Kortner.

      EIN KUGELSCHREIBER FÜR DIE MAJESTÄT

      Königin Fabiola bedankt sich

      Im September 1971 durfte ich das belgische Königspaar Baudouin und Fabiola fünf Tage lang auf seinem Staatsbesuch quer durch Österreich begleiten, wobei ich in Salzburg in geradezu persönlichen Kontakt mit der Monarchin geriet: Es war einer älteren Dame gelungen, mit ihrem Autogrammheft alle Absperrungen zu überwinden und zu Fabiola vorzudringen. Die Königin wollte unterzeichnen, musste jedoch feststellen, dass sie kein Schreibgerät bei sich hatte. Während sie nun Hilfe suchend in die Runde der sie begleitenden Sicherheitskräfte und Reporter blickte, reichte ich ihr meinen Kugelschreiben Ein freundliches Merci beaucoup aus königlichem Munde war der Dank, ehe mir Ihre Majestät den Griffel retournierte. Ein anderes Mal begab ich mich im Schlepptau der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi in die Wiener Staatsoper, in die Spanische Hofreitschule und in die Albertina, um möglichst ausführlich über deren offiziellen Besuch zu berichten.

      Obwohl das natürlich spannende Aufgaben waren, die man mir als jungem Spund schon überließ, blieb der Wunsch aufrecht, den ich bei meinem Vorstellungsgespräch Herrn Jäger gegenüber geäußert hatte: Ich wollte Künstler interviewen, wie das – so weiß ich es mittlerweile – leider alle Nachwuchsreporter wollen. Maxi Böhm und Familie sprangen mit Freuden ein, ich schrieb in der »Kurier«-Farbbeilage unter dem Titel »Maxis Mini« über die schauspielerischen Ambitionen seiner Tochter Christine, die mit ihren siebzehn Jahren bereits in einer Otto-Schenk-Inszenierung von Molnárs »Liliom« auftrat. Wer hätte gedacht, dass ich wenige Jahre später über den tragischen Tod der bezaubernden Christine berichten musste.

      »NICHT IMMER NUR DER WURSTEL SEIN«

      In Gunther Philipps Garderobe

      In meinem Archiv habe ich eine frühe Reportage gefunden, an die ich mich insofern gerne erinnere, als sie mir in der Redaktion – unverdienterweise – Ansehen und Renommee verschaffte. Den Hintergrund dazu verstehe ich bis heute nicht ganz. Maxi Böhm, der treue Freund, sollte