Tausend Jahre Kaiserschmarrn. Georg Markus

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Название Tausend Jahre Kaiserschmarrn
Автор произведения Georg Markus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783902998408



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so fest, daß ich überhaupt nichts mitbekam. Irgendwann müssen zwei Siechknechte vorbeigekommen sein, die mich dann abtransportierten.«

      »Siechknechte?« stieß ich verständnislos nach.

      »Sie wollen ein Buch schreiben?« tadelte mich Herr Augustin. »Sie haben doch keine Ahnung. Also: Seit Wochen wütete der Schwarze Tod, wie wir die Epidemie nannten. Auf allen Straßen der Stadt lagen die Leichen herum, mehr als sechzigtausend waren es schon, Wien hatte ein Drittel seiner Bewohner verloren.«

      »Eine schreckliche Krankheit«, sagte ich, »und offensichtlich unheilbar.«

      »Natürlich, wir hatten ja noch kein Penicillin. Schuld war die mangelnde Hygiene. Sie können sich nicht vorstellen, wie wir damals gelebt haben. Körperpflege war so gut wie unbekannt, die Leut’ haben sich ein, zweimal im Jahr gewaschen, Kleider wurden so lang getragen, bis sie in Lumpen vom Körper fielen. Die Sickergruben lagen neben den Wohnhäusern und wurden nur alle fünfzehn Jahre entleert. Über der ganzen Stadt lag ein entsetzlicher Gestank. Und die Jauche floß ins Trinkwasser der nahen Schöpfbrunnen.« Augustin prostete mir zu.

      »In ganz Wien«, fuhr er fort, »sammelten Siechknechte die Toten ein. Sie gingen auf Stelzen, um sich vor dem pestbefallenen Ungeziefer auf dem Boden zu schützen und trugen gespenstisch aussehende Schnabelmasken, von denen sie ebenfalls Schutz vor Ansteckung erhofften. Als mich zwei dieser Siechknechte beim Burgtor liegen sahen, hielten sie auch mich für ein Opfer der Pestillenz. Sie luden mich auf einen Wagen und verfrachteten mich zu einer der 77 Pestgruben am Rande der Stadt. Dort wurde ich zu den anderen geworfen.«

      »Sie haben den direkten Kontakt mit den Pesttoten überlebt?« fragte ich ungläubig.

      »Wie Sie sehen, bin ich nicht umzubringen!«

      »Wie ist denn Ihr berühmtes Lied vom Lieben Augustin entstanden?«

      »Als ich am nächsten Morgen wieder aufgewacht bin, bin ich aus der Pestgrube gekrochen und dann von einem Wirtshaus zum anderen marschiert. Ich hab’ den Wienern meine unglaubliche G’schicht erzählt und ihnen damit Mut gemacht. In einer Zeit, in der die Leut’ wirklich nichts zu lachen hatten, hab’ ich sie doch zum Lachen gebracht. Irgendwann is’ mir dann a Melodie dazu eing’fallen (er stimmte sie zum Unmut der anderen Besucher im Griechenbeisel auf seinem Dudelsack an und sang dann ein Paar Takte: Oh, du lieber Augustin, ’s Geld is’ hin, ’s Mensch is’ hin. Oh, du lieber Augustin, alles ist hin …)«

      »Dafür hätten Sie Tantiemen kriegen müssen«, sagte ich, um auf meine letzte Frage überzuleiten: »Was sagen Sie denn zu unserer Zeit, wie gefällt Ihnen das 20. Jahrhundert?«

      »Also, wer wie ich die Pest kennt, der ist durch nichts zu erschüttern. Nicht einmal durch das 20. Jahrhundert.«

      Ich dankte für das Gespräch und wollte mich schnell verabschieden, da erwischte er mich noch am Ärmel:

      »Moment, Herr Chef, was ist mit meinen Tantiemen?«

      »Darf ich Sie auf Ihre Konsumation einladen?«

      »Nur wenn ich noch ein Viertel bestellen darf.«

      »Einverstanden!«

      »Die vier Vierteln sind mir ohnehin lieber als eine Beteiligung an Ihrem Buch«, sagte der Liebe Augustin.

      »Sicher ist sicher.«

      Mata Hari an Oberst Redl

       Geheimtreffen der Meisterspione

      Der Oberst war, als er der Südbahn entstieg, in Zivil gekleidet und versteckte sein rundliches Gesicht unter einem tiefsitzenden, breitkrempigen Panamahut. Mata trug einen unauffälligen grauen Stoffmantel und – obwohl an diesem Tag kein Sonnenstrahl durch die dichten Wolken drang – eine dunkle Sonnenbrille.

      Man war inkognito, zumal ein solches Rendezvous lebensgefährlich sein konnte.

      Also fand das Treffen der beiden Meisterspione unter entsprechender Geheimhaltung statt. Und so dringt der Inhalt ihres Gesprächs hier, mit mehr als achtzigjähriger Verspätung, erstmals ans Licht der Öffentlichkeit.

      Alfred Redl, Oberst des Generalstabs und langjähriger Chef der österreichisch-ungarischen Spionageabwehr, sowie Mata Hari, als Nackttänzerin und Agentin nicht minder prominent, waren am 16. April 1912 im Grandhotel Panhans am Semmering abgestiegen. Unter falschen Namen, versteht sich.

      Mata klopfte an Alfreds Tür, durfte aber erst nach Nennung des vereinbarten Codewortes (»Opernball«) eintreten.

      »Hast du darauf geachtet, daß dir niemand folgt?« fragte der Oberst.

      »Wofür hältst du mich? Glaubst du, die berühmteste Spionin aller Zeiten benimmt sich wie eine blutige Anfängerin?«

      »Natürlich nicht«, beruhigte Redl seine Kollegin und betätigte die Klingel, um das Zimmermächen zu rufen. »Setz dich, Mata. Schön, dich kennenzulernen. Über Mittelsmänner hatten wir schon Kontakt zueinander – leider warst du meist auf der anderen Seite. Aber ich habe dich als Agentin immer sehr geschätzt.«

      »Auch ich bewundere deine Arbeit.«

      »Ist Mata Hari dein wirklicher Name?« fragte Redl, während er der schönen Agentin aus dem Mantel half. Mit ihren vierzig Jahren war sie immer noch eine strahlende Erscheinung. Und in dem dunkelblauen Kostüm, das ihre gertenschlanke Figur betonte, sah sie bezaubernd aus.

      »Nein, es ist ein Künstlername, den ich seinerzeit als Tänzerin wählte. Mata Hari bedeutet Auge der Morgendämmerung. Eigentlich heiße ich Margarethe Zelle, mein Vater war Hutmacher in den Niederlanden. Aber das Pseudonym sollte sich als wichtig für meine weitere Karriere erweisen. Oder kannst du dir vorstellen, daß die Garbo, Jeanne Moreau und Sylvia Kristel mein Leben verfilmt hätten, wenn ich als Fräulein Zelle in die Spionagegeschichte eingegangen wäre? Ich mußte mich Mata Hari nennen, um weltberühmt zu werden.«

      Es klopfte an der Tür. Reflexartig umfaßte Redl den Griff seiner Dienstpistole.

      »Hier ist Anni, das Zimmermädchen«, meldete sich eine verdächtige Frauensperson, »darf ich eintreten?«

      Mata Hari verschwand im Bad, und der Oberst ließ das Mädchen herein.

      »Bringen Sie mir zwei große Tassen Kaffee!« sagte er.

      »Zwei?« Erstaunt sah Anni den Gast an. Redl wußte in diesem Augenblick, daß er einen schweren, vielleicht sogar einen tödlichen Fehler begangen hatte. War das Zimmermädchen eine zu seiner Überwachung angesetzte russische Agentin? Oder würde es dem Evidenzbüro, also dem österreichischen Geheimdienst, sofort Meldung erstatten?

      Schnell beruhigte sich Redl wieder. Was konnte ihm schon passieren. Schließlich war er selbst Chef der Spionageabwehr – jede verdächtigte Meldung käme als erstes auf seinen Schreibtisch im Wiener Kriegsministerium. Und den Russen könnte er im Falle des Falles erzählen, er wollte Mata Hari für St. Petersburg anwerben.

      »Ich trinke zwei Tassen Kaffee«, sagte der Oberst, »weil ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht und jetzt eine wichtige Arbeit zu erledigen habe, bei der ich hellwach sein muß.« Das Zimmermädchen nahm die Erklärung mit derart gelangweilter Miene auf, daß er annehmen konnte, keiner Agentin gegenüberzustehen.

      Anni ging, und Mata Hari kehrte aus dem Bad zurück. Sie setzte sich.

      Erschöpft ließ sich auch Redl in einen Fauteuil fallen. »Die Leute glauben immer, die Spionage sei ein Abenteuer, bei dem man ständig auf Reisen ist und Unmengen von Geld verdient – in Wahrheit ist’s eine Drecksarbeit. Morgens bis abends irgendwelche Leute verfolgen, geheime Schriftstücke kopieren, Gespräche abhören …«

      »… und immer darauf achten, ob du nicht selbst beobachtet oder von der Gegenseite abgeknallt wirst«, ergänzte Mata Hari. »Wie bist du zu dem Job gekommen?«

      »Erinnere mich nicht daran«, bat Alfred. »Die Russen zwangen mich, für sie zu