Tausend Jahre Kaiserschmarrn. Georg Markus

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Название Tausend Jahre Kaiserschmarrn
Автор произведения Georg Markus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783902998408



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Fassungslos sah Luitpold, dessen Lippen sich noch immer nicht geschlossen hatten, mein Telefon an.

      »Ein Handy«, sagte ich, »das gehört zu den Segnungen unseres technischen Zeitalters.«

      »Und in welcher Sprache haben Sie gesprochen?«

      »Deutsch.«

      »Mittelhoch-«

      »Nein, EDV

      »Was werden der Herr speisen?« fragte Hemma das anwesende Weltwunder.

      Es hatte Lust auf Lachssandwich und Cola, wagte aber nicht, den Wunsch bekanntzugeben. Also sagte ich:

      »Geben Sie mir die Speisenkarte.«

      »Speisenkarte?« Wieder sah Hemma irritiert zu ihrem Zeitgenossen. »Wir haben Speck, Käse, Brot und Wein. Auch wenn uns das schon zum Hals heraushängt – viel mehr gibt es nicht in unserer Zeit.«

      »Gut, bringen Sie mir eine Portion.«

      Während sich das Mädchen noch im Abgehen kaum von mir und meinem Handy abwenden konnte, ergriff Luitpold das Wort: »Warum nennt ihr Ostarrichi jetzt Österreich?«

      »Weil Ostarrichi nicht in unser modernes Vokabular paßt. Wir fahren zum Airport, trinken Milkshake und tragen Moonboots. Und unser Popsender heißt Ö 3

      »Was so viel wie Ostarrichi drei bedeutet?«

      »So ungefähr. Jedenfalls feiern wir demnächst Österreichs tausendsten Geburtstag.«

      »Das versteh’ ich nicht. Ostarrichi gibt’s ja nicht erst seit heuer, es existiert doch schon viel länger. Es müßte also 1996 um einiges älter sein als tausend Jahre.«

      »Seien Sie nicht so kleinlich«, ermahnte ich das mittelalterliche Fossil. »Wir Österreicher feiern eben gern. Und so haben wir mit Freuden entdeckt, daß der Name Ostarrichi am 1. November 996 erstmals in einer Urkunde Ihres Kaisers Otto III. erwähnt wurde. Da haben wir endlich einen Grund, wieder einmal unseren tausendsten Geburtstag zu feiern.«

      »Wieder einmal?«

      »Ja, wir haben ihn schon 1976 gefeiert. Damals beging man die Übernahme der Herrschaft durch Markgraf Leopold I. am 21. Juli 976 – also tausend Jahre Babenberger.«

      »Sie feiern gern in Österreich?«

      »Was heißt! Ostarrichi ist das Land der Geiger und Tänzer, es hält einen weltweiten Feiertagsrekord und dokumentiert die permanente Festtagslaune in seinen Lieblingsliedern: Heut kommen d’Engerln auf Urlaub nach Wean, Schrammeln, spielt’s mir no an Tanz, Im Salzkammergut, da kann ma gut lustig sein

      »Die spielen sie auf Ostarrichi drei

      »Eher auf Regional

      »Interessant«, vermerkte Luitpold. »Sagen Sie, welcher Babenberger herrscht denn 1996 in Ostarrichi?«

      »Gar keiner, das Geschlecht ist mit Herzog Friedrich dem Streitbaren im Jahre 1246 ausgestorben. Danach regierten die Habsburger, deren Motto lautete: Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate! Durch diese glückhafte Ehepolitik wurde das Land im Lauf der Jahrhunderte immer mächtiger. Unser heutiges Staatsoberhaupt ist aber ein Präsident. Und der heißt Thomas.«

      »Der setzt wahrscheinlich die glückhafte Ehepolitik der Habsburger fort.«

      »Er tut, was er kann.«

      Hemma stellte Speis und Trank in Tongefäßen auf den Tisch. Das von mir gereichte Trinkgeld nahm sie, als wäre sie aus unserer Zeit.

      »Sie sagen, das Land wurde im Lauf der Jahrhunderte immer mächtiger«, bohrte Luitpold weiter. »Ist Österreich größer als Ostarrichi?«

      Als Luitpold aufgrund meiner Erzählungen mutmaßte, daß »aus Ostarrichi ein ziemlich komisches Land geworden sein muß«, reifte in mir der Plan, ein satirisches Buch über unsere tausendjährige Geschichte zu schreiben. Nach ersten Hinweisen, die Vorzüge des Buchdrucks betreffend, weihte ich meinen Gesprächspartner in Details des Projektes ein: »Man müßte mit der Kaiserin Elisabeth ins Kino gehen und sie fragen, was sie von Romy Schneiders Sissi-Filmen hält, man müßte Mozart in ein Tonstudio schicken. Man müßte den Lieben Augustin interviewen und Hitler auf Sigmund Freuds Couch legen.« Luitpold verstand zwar kein Wort, zeigte aber Interesse, als ich ihm weitere Ideen vortrug: »Ich würde Napoleon zu einer Talkshow ins Fernsehen bitten und beim letzten Rendezvous Kaiser Franz Josephs mit der Schratt dabei sein. Und ich möchte beobachten, wie Maria Theresia es fertig brachte, ein ganzes Reich und nebenbei auch noch einen riesigen Haushalt zu regieren.«

      »Wenn Sie das alles schaffen, wird Ihr Buch ein bestseller«, zeigte Luitpold, daß er sehr schnell begriffen hatte, worauf es im 20. Jahrhundert ankam. »Aber ich fürchte, Sie haben sich ein bißchen viel vorgenommen. Sie können gar nicht mit der Kaiserin Elisabeth ins Kino gehen. – Sie leben doch im falschen Zeitalter.«

      »Wenn’s weiter nichts ist«, zeigte ich die Überlegenheit meiner Generation. »Ich habe es geschafft, mit Ihnen in Kontakt zu treten, Herr Luitpold, also wird das bei den anderen auch zu machen sein. Die sind doch wesentlich jünger als Sie.«

      »Haben Sie schon einen Titel für Ihr Buch?« fragte Luitpold.

      »Mir gefiele Tausend Jahre Kaiserschmarrn«, sagte ich.

      »Was ist ein Schmarrn?«

      »Einerseits wertloses Zeug, andererseits aber – als Mehlspeis’ zubereitet – eine Delikatesse.«

      »Ein gewisser Widerspruch«, fand Luitpold.

      »Das ist ja das typisch Österreichische. Wir warten nicht darauf, bis andere uns widersprechen, wir widersprechen uns selber.«

      Luitpold wirkte ob der vielen neuen Eindrücke, die auf ihn eingeströmt waren, einigermaßen ratlos, erklärte sich aber schließlich mit dem Titel einverstanden. Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg zur Kaiserin Elisabeth …

      Mit der Kaiserin im Kino

       Elisabeth schaut sich einen Sissi-Film an

      In einem Wiener Kino spielen sie immer wieder diese herrlichen alten Filme mit dem Moser, dem Hörbiger und der Romy Schneider. Als ich mich letzthin an der Kinokasse um Karten für eine Vorstellung zweier Sissi-Filme anstellte, stand vor mir eine sehr elegante, auffallend schlanke Dame, die sich außerstande sah, die Eintrittsgebühr in Höhe von öS 85,– für einen Platz in der zwölften Reihe fußfrei zu bezahlen. Sie hätte mit barem Geld nie zu tun gehabt, erklärte sie der verdutzten Kassierin. Durch Zufall Zeuge der kleinen Szene geworden, erwies ich mich als perfekter Gentleman und lud die Fremde spontan ein, sich mit mir Sissi, die junge Kaiserin und danach Sissi, Schicksalsjahre einer Kaiserin anzuschauen.

      Werbung und Vorankündigung Demnächst in diesem Kino nahm die langhaarige Schönheit noch kommentarlos hin, doch kaum hatte der Hauptfilm begonnen, beugte sich meine Sitznachbarin zu mir und fragte mich: »Das soll ich sein?«

      Während Kamera