Gefangen in Abadonien. Harry Voß

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Название Gefangen in Abadonien
Автор произведения Harry Voß
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783955683108



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blinzelte in die Glut des Feuers hinein. In der Mitte des Feuers leuchtete es rötlich. »Das glaube ich nicht.« Er hob ein Stöckchen vom Boden auf und warf es ins Feuer. Kleine Funken fingen an, darauf zu tanzen. »Jeder hat ein Herz. Jeder ist eine Persönlichkeit.« Er sah den Bettler von der Seite an. »Was hast du gespielt, als du ein Kind warst?«

      Der Alte starrte wieder ins Feuer, als könnte er dort seine Kindheit finden. Nach langem Schweigen antwortete er: »Nachlaufen. Fangen. Und …« Wieder starrte er lange vor sich hin, bevor er weiterredete. »Und ich hatte einen kleinen Dracolepidus, der mir aufs Wort gehorchte.« Er drehte seinen Kopf leicht Akio zu und bekam fast so etwas wie ein vorsichtiges Lächeln. »So wie deiner dir gehorcht.«

      Akio lächelte zurück. Ein wenig bekam er Mitleid mit diesem alten Mann. »Wie hieß dein Tier?«

      Nach der Antwort musste der Alte nicht lange überlegen: »Nagori.«

      »Was passierte mit ihm?«

      »Unser Dorfpriester hat ihn mir abgenommen, als er merkte, wie gut er ihn zum Bestimmen des Blutgoldgehaltes gebrauchen konnte.«

      »Hast du nicht versucht, ihn zurückzubekommen?«

      »Doch.« Der Alte fuhr sich mit der Hand über die dünnen weißen Haare, die ihm strähnig ins Gesicht hingen. »Er hat mir ein Angebot gemacht. Er sagte, ich bekäme ihn zurück, wenn ich ihm fünfzig Liter Blut von Goldblütern besorgen würde.«

      »Darauf hast du dich eingelassen?«

      »Ich hätte mich auf alles eingelassen, um Nagori zurückzubekommen.« Wieder strich er sich mit einer Hand durch sein Gesicht. »Ich bekam einen anderen Goldleppid, mit dem ich den Blutgoldgehalt feststellen konnte. Das Erste, was ich feststellte, war, dass mein eigenes Blut ungewöhnlich golden war.« Er sah kurz zu Akio rüber. Akio bemerkte, dass die Augen des Alten leicht glasig geworden waren. »Ich war kein Goldblüter. Aber nicht weit davon entfernt. Ich wollte aber Nagori zurückhaben. Also hab ich mir zuerst sehr viel von meinem eigenen Blut abgenommen. Dann hab ich anderen Menschen hinterherspioniert. Ich habe Tricks entwickelt, wie ich ihnen heimlich Blut abnehmen und es testen konnte. Dabei bin ich hin und wieder auf Goldblüter gestoßen. Denen hab ich in der Nacht, wenn sie geschlafen haben, zuerst ein Serum gegeben, damit sie bewusstlos wurden und nicht merkten, wenn ich sie stach. Danach hab ich ihnen ihr Blut entnommen. So lange, bis ich fünfzig Liter beisammen hatte.«

      »Was ist mit den Goldblütern geschehen?«

      »Einige sind gestorben, weil ich ihnen zu viel Blut abgenommen habe. Andere blieben ihr Leben lang matt und schwach oder sind kurz darauf von Bluträubern mitgenommen worden.«

      Akio schauderte, als er das hörte. »Hast du Nagori wenigstens zurückbekommen?«

      Der Späher stützte den Kopf in seine Hände und seufzte. »Als ich dem Priester das verabredete Blut brachte, eröffnete er mir als Erstes, er hätte Nagori längst getötet. Dafür sei ich aber, weil ich nun schon so geübt darin sei, Goldblüter zu finden und anzuzapfen, ab sofort ein geeigneter Diener für eine Bande von Bluträubern, die für ihn arbeiteten.« Er seufzte wieder. »Seitdem stehe ich in ihrem Dienst. Mein Blut hat seine Goldheit schon längst verloren. Mein Blut ist heute nichts mehr wert. Gar nichts. Das ist gut so, denn nun muss ich nicht fürchten, selbst angezapft zu werden. Aber ich darf mich nicht an die Zeit erinnern, als ich noch halbwegs goldenes Blut hatte. Sonst überfällt mich eine Sehnsucht, die ich fast nicht bewältigen kann.« Er wischte sich mit beiden Händen über sein Gesicht und seine Augen. »So. Schluss jetzt. Schluss.«

      »Wie ist dein Name?«, fragte Akio noch einmal.

      Der Alte schaute Akio lange an. Diesmal lag weder Angst noch Gier in seinen Augen, sondern ein Funke von Hoffnung und Vertrauen. »Perfidus«, antwortete er dann.

      Akio lächelte und nickte.

      »Schluss jetzt!«, befahl Silva grob. »Wir sind hier nicht im Gefühlstheater! Wir müssen schlafen. Bevor die Sonne aufgeht, müssen wir weiterreiten. Vergiss nicht: Wir wollen Agnus und Adelia retten. Wer weiß, was sie jetzt gerade schon mit ihnen anstellen!« Sie zeigte auf Perfidus. »Und wehe, du haust ab, du dreckiger Verräter!« Sie schaute Akio an: »Sobald wir unsere Geschwister haben, stoßen wir den Alten von uns. Seine Lügenmärchen beeindrucken mich kein bisschen. Merkst du nicht, Akio, dass er nur dein Vertrauen erschleichen will? Du bist ein Goldblüter. In seinen Augen bist du Gold wert. Er wäre bereit, jede Herzlosigkeit zu vollbringen und dir jede Geschichte aufzutischen, nur um dich den Bluträubern oder auch direkt den Priestern des Moloch auszuliefern!«

      Akio erschrak und schaute Perfidus an. Jetzt entdecke er wieder etwas wie Hinterlist und Gier in seinem Blick. Schnell schaute der Alte wieder ins Feuer. Akio konnte das kaum glauben. Hatte der Späher sich das wirklich ausgedacht, um Akios Vertrauen zu gewinnen? Das alles hatte sich doch so wahr angefühlt.

      Akio war enttäuscht. Weil er selbst so goldenes Blut hatte, bemerkte er oft nicht, wann Menschen es nicht gut meinten. Ja, manches aus seinem Gedicht über Adelia traf auch auf ihn zu: Akio glaubte alles, Akio hoffte alles, Akio freute sich an der Wahrheit. Vielleicht war er hin und wieder einfach zu leichtgläubig. Manchmal wäre ein Herz mit mehr Misstrauen wirklich von Vorteil. Frustriert breitete er seinen Umhang aus, legte sich darauf und beschloss zu schlafen. Pollum, der bis dahin in der Nähe des Käfigs des anderen Leppids gesessen und immer mal wütende Drohungen in dessen Richtung gefaucht hatte, kam angelaufen und versteckte sich unter Akios wärmendem Hemd.

      Als Akio mitten in der Nacht einmal kurz aufwachte, erkannte er trotz der Dunkelheit, dass Perfidus, der ganz in seiner Nähe lag, ebenfalls wach war und seine Blicke auf ihn richtete.

      »Was hast du?«, fragte Akio leise. »Warum schaust du mich so an? Willst du mir mein Blut entnehmen?«

      »Ich kann dein reines Herz sehen«, flüsterte Perfidus, »und dein goldenes Blut.«

      »Und weiter?«

      »Nichts weiter. Ich sehe es und es erinnert mich an damals. Und das tut weh.«

      Akio wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Perfidus schob hinterher: »Du erinnerst mich an meinen Bruder.«

      Akio wollte lächeln, aber er war sich noch nicht sicher, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte. »Wieso?«

      »Er war auch ein Goldblüter. Als Kinder waren wir unzertrennlich.« Er schaute vor sich auf den Boden. »Es schmerzt, wenn ich daran denke.«

      »Was ist mit ihm?«

      Perfidus schloss die Augen und sagte lange nichts. Akio dachte schon, er wäre eingeschlafen. Aber dann flüsterte er leise mit geschlossenen Augen: »Ich hab dir erzählt, dass ich als Kind fünfzig Liter Blut aus Goldblütern sammeln musste. Den ersten Test mit dem neuen Goldleppid vollzog ich an mir selbst. Den zweiten …« Er redete nicht weiter. Er schniefte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich hab das Blut meines Bruders ausgesaugt, während er geschlafen hat. Er war fortan nur noch schwach und krank. Er wusste nicht, dass ich es war, der ihm sein Blut gestohlen hat. Wenn er mich ansah, war sein Blick stets voller Liebe. Das hat mir das Herz gebrochen. Später war er der erste Goldblüter, den ich für die Bluträuber markiert hab. Ich war so unter Druck. Sie verlangten von mir einen Goldblüter. Mein Bruder war der Einzige, der mir auf die Schnelle einfiel. Ich glaube, diesmal hat er gemerkt, dass ich ihn markiert habe. Er hat mich trotzdem geliebt. Als er fortgeschleppt wurde, lag ein Gemisch aus Liebe und Verständnislosigkeit in seinen Augen.« Er zog die Nase hoch und wischte sich mit der Hand durchs Gesicht. »Ich hab meinen Bruder zweimal verkauft. Einmal, um meinen Leppid zurückzubekommen, und einmal, um meine neuen Herren nicht zu erzürnen. Das werde ich mir nie verzeihen. Ich bin ein Nichts.« Er wimmerte leise mit geschlossenen Augen vor sich hin.

      Was für eine Geschichte aus dem Mund eines Blutspähers, von dem man sagte, es stecke nur Gift darin. Am liebsten würde Akio sie glauben.

      »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann«, flüsterte Akio.

      »Das ist gut so. Trau mir lieber nicht. Goldblüter vertrauen viel zu schnell. Sie können nicht glauben, dass sie jemand anlügt. In Gomorra wird dir das nicht