Gefangen in Abadonien. Harry Voß

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Название Gefangen in Abadonien
Автор произведения Harry Voß
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783955683108



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sein Notizbuch aus der Jackentasche. Sofort sprang Hanna auf und hob es auf: »Was ist das, Alex?«

      »Das ist mein geheimes Geschichtenbuch«, grinste Alex.

      Hanna strahlte, als hätte sie Geburtstag. »Vorlesen!«, juchzte sie.

      »Das geht nicht, Hanna.« Die Geschichten stehen hier nur in wirren Stichpunkten, dachte Alex. Aber zu Hanna sagte er: »Die Geschichten sind noch geheim.« Dabei legte er bedeutungsvoll den Zeigefinger vor den Mund. »Pssst. Geheim.«

      Hanna machte es ihm nach: »Pssst. Geheim.« Und sofort danach flüsterte sie verschwörerisch: »Alex geheime Geschichte vorlesen!«

      »Ja«, flüsterte er zurück. »Wenn sie fertig sind.«

      »Wann sind Geschichten fertig?«

      Vermutlich werden sie nie fertig, dachte Alex. Wie so vieles in seinem Leben, das er irgendwann mal angefangen und nie zu Ende gebracht hatte. Wie etwa tausend Abenteuergeschichten, die er mal zu schreiben begonnen und dann doch nie beendet hatte, weil er entweder keine Lust mehr hatte oder weil er nicht wusste, wie die Geschichte weitergehen sollte. Zu Hanna sagte er: »Ich sag dir Bescheid, wenn sie fertig sind. Ja?«

      »Ja.« Hanna nickte heftig.

      Sein Notizbuch war in den letzten Wochen zu einer unübersichtlichen Lose-Blatt-Sammlung angewachsen. Oft war ihm nämlich genau dann was Schönes, Lustiges, Spannendes oder sonst wie Passendes eingefallen, wenn er sein Notizbuch nicht zur Hand hatte. Dann hatte er seine Idee auf irgendeinen Zettel geschmiert, der gerade herumflog, und später diesen Zettel in das Notizbuch gesteckt. Inzwischen schauten so viele Schmierzettel aus allen Seiten des Notizbuches heraus, dass Alex bezweifelte, jemals wieder Ordnung in diesen Wust zu bekommen. Er müsste sich einfach mal einen ganzen Abend oder Nachmittag Zeit nehmen, um das alles zu sortieren. Aber wann?

      »Warte nicht mehr länger damit!«, hörte er plötzlich eine Stimme direkt neben ihm. Erschrocken drehte sich Alex um und sah einen Mann an der Bushaltestelle stehen, der vor einer Minute noch nicht da gestanden hatte.

      »Was ist?«, fragte Alex verwundert nach.

      »Fang endlich an damit!«, sagte der Mann.

      »Womit?«

      »Das alles aufzuschreiben!«

      Alex schaute den Mann neben ihm misstrauisch an. »Woher wissen Sie, dass ich was aufschreiben wollte?«

      Der Mann schaute Alex nicht an, als er sagte: »Tu’s einfach. Ja? Schieb die guten Dinge in deinem Leben nicht länger vor dir her. Setz sie um. Fang heute damit an.«

      »Heute?«

      »Ja.«

      Alex ärgerte sich ein bisschen. Wie kam dieser fremde Mann dazu, ihm Anweisungen zu geben? Er kannte ihn doch gar nicht. »Heute kann ich nicht. Ich bin mit meiner Schwester beim Logopäden.«

      »Für das, was einem wichtig ist, findet man immer Zeit.«

      Das stimmte natürlich. Trotzdem fand er es merkwürdig, dass ihm irgendein wildfremder Mensch an der Bushaltestelle Tipps für sein Leben gab. Und noch merkwürdiger war, dass er wusste, was Alex gedacht hatte! »Wer sind Sie überhaupt?«

      »Frag nicht weiter. Fang heute an. Okay?«

      So langsam nahm sich dieser Kerl aber wirklich zu wichtig. »Können Sie mir bitte sagen, wer Sie sind und woher Sie mich kennen?«, fragte Alex etwas lauter und tippte dabei dem Mann, der bisher beim Reden immer noch an Alex vorbei in die Luft starrte, an die Jacke, damit er ihn mal anschaute.

      Endlich drehte sich der Mann ganz zu Alex um. Mit der Hand, die Alex bis eben gerade nicht sehen konnte, weil der Mann seitlich zu ihm stand, hielt er sich ein Handy ans Ohr: »Bitte, was? Ich heiße Frank Weinheim. Warum?«

      Alex spürte, wie er knallrot wurde. »Haben Sie gar nicht mit mir gesprochen?«

      »Nein. Ich telefoniere mit meiner Verlobten.«

      Alex wurde heiß und kalt auf einmal. Hanna schien diese Verwechslung kapiert zu haben, denn sie lachte laut auf und klatschte wie wild Beifall. »Entschuldigung«, sagte Alex. »Ich dachte, Sie hätten mit mir gesprochen. Das, was Sie gesagt haben, hat immer genau zu dem gepasst, was ich geantwortet hab.«

      »Wirklich?« Der Mann zog die Augenbrauen hoch, behielt aber sein Handy am Ohr. »Lustiger Zufall.«

      Alex fixierte das Gesicht des Fremden. »Glauben Sie an Zufälle?«

      Der Mann lächelte. »Hm. Was würdest du sagen?«

      »Dass Sie jetzt, ohne es zu wissen, mich praktisch dazu aufgefordert haben, meine Notizen zu einer Geschichte aufzuschreiben, das find ich schon interessant.«

      »Wie ist es mit dir? Findest du auch, du solltest deine Notizen zu einer Geschichte aufschreiben?«

      »Ja, schon.«

      »Na, dann passt es doch. Tu’s einfach.«

      Der Bus kam. Der Mann drehte sich um und stieg ohne ein weiteres Wort ein. Während sich Alex mit Hanna von der Bank erhob und auf den Bus zuging, las er die riesige Werbe-Aufschrift über der kompletten Seite des Busses: »Also zöger nicht länger und tu’s endlich!«

      Alex blieb erschrocken stehen. So viele Zufälle konnte es doch eigentlich gar nicht mehr geben! Waren hier höhere Mächte im Spiel? Wollte hier jemand eine Botschaft an ihn weitergeben und nutzte dafür Menschen, Kalendersprüche und Busaufdrucke? Das konnte ja nicht wirklich sein. Oder erlaubte sich hier jemand einen Spaß mit ihm?

      Immer noch den Kopf schüttelnd stieg Alex mit Hanna in den Bus. Ein merkwürdiger Tag war das.

      Obst, Getränke, Brot. Wie viel? Schwer zu sagen. Akio stopfte in seinen Rucksack, was reinpasste. Wie lange würden sie überhaupt unterwegs sein? Mehrere Tage? Zu viel Gepäck war auch nicht gut. Pollum saß auf Akios Schultern und verfolgte mit großen Kopfbewegungen jedes einzelne Teil, das Akio in seinen Sack steckte, als wollte er genau überprüfen, was sein Herrchen mit auf die Reise nahm.

      »Du reitest in den Tod«, jammerte die Mutter, die noch genauso wie vorher auf dem Hocker saß.

      »Du wirst dem Moloch vorgeworfen wie deine Schwester«, fügte der Vater hinzu. Er stand mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Stube und richtete unter Ächzen und Stöhnen die Möbel wieder auf.

      »Adelia ist meine Schwester und ich werde nicht zulassen, dass fremde Männer sie in ihrer Gewalt haben«, sagte Akio laut und bestimmt. »Und wenn ich ebenfalls dem Moloch vorgeworfen werde, dann kann ich wenigstens sagen, dass wir den letzten Weg gemeinsam gegangen sind!«

      Etwas unheimlich wurde ihm schon zumute, als er seinen Eltern diesen Satz so vorwarf. Aber er fand, dass dies in etwa so klang wie das, was Silva vorhin über sich und ihren Bruder gesagt hatte.

      »Du bist erst fünfzehn«, knurrte der Vater.

      »Was soll das heißen: erst fünfzehn?« Akios Augen blitzten böse, als er das fragte.

      »Fünfzehn ist wenig von zehn entfernt. Vor Kurzem warst du erst zehn und hast in der Schmiede unterm Tisch gespielt.«

      »Fünfzehn ist genauso weit von zehn weg wie von zwanzig!«, stellte Akio laut fest. »Stell dir einfach vor, ich bin fast zwanzig!«

      »Ich wollte nur sagen, dass es sehr gefährlich ist«, warf der Vater ein. »Verstehst du das nicht? Bisher hab ich für die Familie gekämpft. Du nie. Wie willst du gegen die Häscher des Moloch ankommen, wenn du nie fechten, kämpfen oder Krieg führen gelernt hast?«

      Die Mutter schluchzte: »Ich will nicht beide Kinder auf einmal verlieren.«

      Dieses wehleidige Gejammer begann Akio zu nerven. »Vielleicht kriegst du ja auch beide Kinder auf einmal wieder zurück«, sagte er scharf. »Diese Möglichkeit gibt es immerhin auch noch.« Und zum Vater sagte er: »Ich tu es einfach, weil ich Adelia befreien will. Verstehst du das nicht? Wenn du