Mein Herz hört deine Worte. Joanne Bischof

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Название Mein Herz hört deine Worte
Автор произведения Joanne Bischof
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783765575440



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und machte Anstalten, ihr aufzuhelfen. „Kommen Sie herein. Miss Ida, unsere Haushälterin, wird Ihnen etwas zu essen geben.“

      Jorgan half ihr die wenigen Stufen zur breiten Veranda hinauf und führte sie zur Haustür. Mit vor Verwirrung hochgezogenen Brauen hielt der jüngste der Brüder sie offen. Jorgan führte Ava in die Küche, zog einen Stuhl vom Tisch und half ihr, darauf Platz zu nehmen. Im selben Moment trat eine Frau aus der Speisekammer, deren Haut so dunkel wie Zimtstangen war. Mit einem freundlichen Lächeln brachte sie Ava eine Tasse Kaffee und eine Scheibe Gewürzbrot. Ava rührte weder das eine noch das andere an. Stattdessen verschränkte sie die Hände zwischen ihren Knien, um sie vom Zittern abzuhalten.

      Undeutlich hörte sie die Frau sagen: „Sie ist ziemlich blass.“

      Dann Haakons Stimme: „Sie ist ja auch Irin.“

      Ava rührte sich nicht.

      „Ich meine damit, dass sie sicher gleich umkippt, Haakon. Ohnmächtig wird“, erklärte die Frau und legte Ava ihre kühlen Hände an die Schläfen. Beinahe hätte Ava die Augen geschlossen.

      „Sie wusste nichts von Dorothees Ableben“, sagte Jorgan mit gedämpfter Stimme.

      Ein Stuhl schabte über den Boden und Jorgan setzte sich neben Ava. Die Frau reichte ihm ebenfalls eine Tasse Kaffee. Aus dem Augenwinkel sah Ava, wie Thor den Raum verließ.

      „Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte Jorgan sanft.

      Ava nickte, doch selbst diese kleine Bewegung fühlte sich unwirklich an. Verzweiflung machte sich in ihrer Kehle breit und brannte dort stärker, als es der Fußmarsch diesen Berg hinauf getan hatte. Sie neigte den Zinnbecher in ihrer Hand, doch beim Anblick der dampfenden Flüssigkeit zog sich ihr der Magen zusammen.

      „Sie sind trotzdem willkommen hier“, sagte Jorgan und schien es ernst zu meinen.

      „Aber wir haben keinen Platz, wo wir sie unterbringen können“, warf Haakon nicht gerade leise ein.

      Ava sah sich um. Die Dämmerung war hereingebrochen. „Gibt es denn … Gibt es noch mehr Familien in der Gegend?“

      „Nein, Ma’am“, antwortete Haakon. Seine stechend blauen Augen verloren an Reiz, als er Ava von oben bis unten musterte. „Nur uns.“

      Niemand rührte sich. Unbeweglich verharrte jeder an seinem Platz, der stickigen Luft gleich. Ava legte sich die Hand auf die Stelle an ihrer Brust, an der sie ihren pochenden Herzschlag spüren konnte. Sie atmete tief in ihre schmerzenden Lungen ein. Jetzt war nicht die richtige Zeit, um zu verzweifeln. Trotzdem wurde ihr Zittern immer schlimmer, schwoll an wie eine Flut. Die Welt verschwamm vor Avas Augen und irgendjemand sagte ein paar Worte, die sie nicht verstehen konnte.

      Die Veranda knarzte, gefolgt von schweren Schritten. Einen Moment später wurde ein Glas Wasser vor ihr abgestellt. Ava spähte hinauf und blickte in Thors Gesicht. Wasser tropfte vom Glasrand, als sei es gerade erst an einer Quelle gefüllt worden. Als Ava das Glas nicht ergriff, schob Thor es ihr entgegen und trocknete sich anschließend die Hände an der Hose.

      Ein kleiner Schluck des kühlen Wassers lief Avas Kehle hinab und sie überwand sich, ihrem Wohltäter ein Danke zuzuflüstern.

      Mit einem leichten Humpeln kam die Haushälterin näher und legte zärtlich ihre Hand auf Avas. Im sanften Blick der Frau lag Besorgnis. Dieses Feingefühl ließ Tränen in Avas Augen treten. Die Frau bat die Männer, sie für einen Moment alleine zu lassen. Nachdem sie die Küche verlassen hatten, drückte die Haushälterin Avas Hand erneut. Diese schloss ihre Augen und schickte ein Gebet in den Himmel, nein, eher eine Bitte, dass dieser Tag nur ein Traum war.

      „Nun lass nicht den Kopf hängen. Wir werden schon dafür sorgen, dass es dir wieder gut geht. Besser als gut. Ich versprech’s dir. Ich schmeiße den Haushalt hier schon seit fast dreißig Jahren. Früher haben die Jungen mich Mommy genannt, aber jetzt sagen sie nur noch Miss Ida. Ich werde gut für dich sorgen“, versprach die Haushälterin. Ein paar verirrte graue Haare kräuselten sich um ihre glänzende Stirn und in ihren Augen lag so viel Freundlichkeit, dass Ava zwischen all der Unsicherheit einen kleinen Hoffnungsschimmer wahrnahm. „Du musst dich vor nichts fürchten. Die Norgaards sind alles gute Jungen. Hab sie selbst erzogen und sie sind treuere Seelen, als du dir vorstellen kannst“, fuhr Ida fort.

      Ava nickte langsam.

      „Also dann“, sagte die Haushälterin und bedeutete Ava, mit ihr weiter ins Hausinnere zu gehen. Ein Haus, das unter derselben Leere zu stöhnen schien, die Ava in ihrem Inneren spürte.

      Dennoch unterschied sich dieser Ort deutlich von dem Leben, das Ava bis jetzt gekannt hatte. Vielleicht würde sie hier endlich Sicherheit und Ruhe finden. Oder sogar ein Zuhause. Hatte Dorothee nicht genau davon gesprochen? Die Verse, die sie Ava zugesandt hatte, hatten schließlich dafür gesorgt, dass Ava es wagte, aus den Schatten ihrer Vergangenheit herauszutreten, hinauf auf die Gangway des Schiffes.

      Der HERR wird eine Zuflucht sein dem Unterdrückten, eine Zuflucht in Zeiten der Not. Mit einem beherzten Griff brachte Miss Ida sie beide zum Stehen. Dann hob sie Avas Reisetasche hoch, als würde das Gewicht ihrer dünnen Gestalt nichts ausmachen. „Es gibt eine Sache, die du über Haakon wissen solltest: Er weiß nicht immer, wovon er redet“, sagte Ida an Ava gewandt und drückte freundlich ihren Arm. Dann winkte sie Ava hinter sich her. „Lass uns einen Platz für dich finden.“

      Zwei

      Von der Veranda aus beobachtete Thor, wie Miss Ida Ava in die Stube führte. Dann trat auch er ins Haus und folgte ihnen. Gerade rechtzeitig betrat er den Großen Saal, um zu sehen, wie die Rothaarige um das ausgeblichene Sofa und den mit Büchern beladenen Beistelltisch herumging. Avas Schritt wurde langsamer, als ihr Blick auf das riesige Geweih über der Feuerstelle fiel. Ihre weit aufgerissenen Augen wanderten anschließend hinab zu dem Feuerholz, das den Kamin auf beiden Seiten flankierte.

      Fein säuberlich hatten sie die Scheite gestapelt. Allein die nicht vorhandenen Vorhänge an dem Fenster über dem Kamin störten das Bild. Im Krieg hatte man sie von den Stangen genommen und Kleidung daraus gefertigt. Avas Aufmerksamkeit richtete sich auf die Waffen, die auf einem weiteren Tisch lagen. Dann auf die Munitionsschachtel, die anscheinend erst frisch durchwühlt worden war. Daran war er schuld gewesen, musste Thor zugeben.

      Plötzlich warf Ava ihm einen Blick über ihre Schulter zu, als hätte sie die ganze Zeit schon gewusst, dass er da war. Es war der gleiche skeptische Blick, den sie ihm schon vorher zugeworfen hatte.

      Warum? Er würde sie nicht anfassen. Und beißen würde er auch nicht.

      Avas schwarzer Rock schwang wie eine Glocke von links nach rechts, als sie Miss Ida die Treppe hinauf folgte. Ihre schmale Hüfte sah aus, als könnte sie ein paar gute Mahlzeiten vertragen.

      Eigentlich hatte Thor auch hinaufgehen wollen, aber vielleicht sollte er ein wenig Abstand lassen. Seine Arbeit auf der Plantage war für heute getan. Die Eimer hatte er alle gefüllt und mit Jorgans Hilfe die diesjährigen Erntehelfer ausgesucht. Er hatte drei ausgewählt. Jugendliche Negros, die bereits im letzten Herbst gute Arbeit geleistet hatten. Bestimmt würden die Nachbarn sich wieder darüber aufregen. Was bedeutete, dass seine Brüder und er mit uneingeladenen Gästen würden rechnen müssen. Doch diesmal wäre er gewarnt.

      Mit diesen Gedanken im Hinterkopf machte sich Thor an die Arbeit und reinigte die Waffen. Er hob ein Gewehr vom Beistelltisch, lud es durch und sicherte es. Dann hob er es auf Augenhöhe, kniff ein Auge zu und visierte mit dem anderen über Kimme und Korn das Regal aus Kiefernholz am anderen Ende des Raumes an. Anschließend ließ er das Gewehr wieder sinken, blies etwas Staub vom Lauf und justierte das Korn. Zufrieden legte er es wieder ab.

      Als ob sie ein Eigenleben führen würde, griff seine Hand zu dem Einmachglas, das danebenstand. Wie immer war es halb gefüllt mit dem besten Destillat des Landes. Er hatte zwar schon so viel getrunken, dass er bis zum nächsten Morgen durchhalten konnte, aber trotzdem trank Thor jetzt ein paar großzügige Schlucke. Noch während er das Glas zur Seite stellte, wusste Thor, dass dies nicht der letzte Griff zum Schnaps