PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt. Greig Beck

Читать онлайн.
Название PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt
Автор произведения Greig Beck
Жанр Языкознание
Серия Primordia
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958353619



Скачать книгу

Holz, das mit Antiquitäten, Erinnerungen und all den Sachen gefüllt war, die die Familie im Laufe mehrerer Generationen angesammelt hatte.

      Der zweite Stock wurde als Dachboden genutzt und war mit Kisten, Truhen und überschüssigen Möbeln vollgestellt, die mit staubbedeckten Laken abgehangen waren. Ben machte das Licht an, stellte sein Bier auf einen kleinen Tisch und platzierte den Karton auf einem Stapel von weiteren persönlichen Gegenständen seines Vaters.

      Er hatte immer noch sehr viel zu transportieren, nur die Fotos sollten im Erdgeschoss bleiben. Er hatte allerdings bemerkt, dass seine Mutter sie alle mit der Bildfläche nach unten hingelegt hatte, anscheinend reichte schon der Anblick, um sie wieder in Tränen ausbrechen zu lassen. Ben dachte sich, dass der Geist seines Vaters wohl noch eine ganze Weile durch das Haus spuken würde.

      Er zog das Laken von einem Sessel und setzte sich, wobei er bewusst die Atmosphäre von Staub, altem Holz und verblichenem Papier einsaugte. Er legte seine Füße auf eine Truhe und ließ seinen Blick über die mannshohen Stapel der Familiengeschichte schweifen. Alles war chronologisch sortiert, wie die geologischen Schichten der Erde, und Barrys Sachen würden nun auf die gleiche Art hinzugefügt werden. Sie würden gleich neben denen von Errol stehen, Barrys geliebtem Vater, neben dem die Erinnerungen an Julius, seinem Großvater, aufgetürmt waren. Daneben wiederum fanden sich die Sachen von Bens Namensgeber Benjamin, der sein Ururgroßvater gewesen war.

      In diesem Moment überkam Ben der Gedanke an seine eigene Sterblichkeit und er fragte sich, ob eines Tages jemand hier sitzen würde, um die Füße auf eine Kiste voll mit seinen Papieren, Bildern und Sportpokalen zu legen.

      Ben zog seine Füße von der Truhe. Als er klein war, hatte sein Vater ihm gesagt, dass sie alle voll mit Schätzen wären. Doch als er dann ein paar von ihnen geöffnet hatte, war er enttäuscht gewesen, nur alte Briefe, Antiquitäten und vergilbte Fotografien zu finden. Das war nichts, was einem Kind wertvoll erschien.

      Sein Vater hatte über seine hängenden Mundwinkel lachen müssen und ihm gesagt, dass Wissen und Informationen der größte Schatz seien, den man finden konnte. Damals hatte ihn das wenig beeindruckt, doch die Zeit lässt Blickwinkel mitunter wandern.

      Er öffnete den Verschluss der verzierten Truhe und öffnete den Deckel. Die alten Scharniere quietschten protestierend und ganz unwillkürlich entfuhr Ben ein »Psssst!«

      Dann faltete er seine großen Hände und betrachtete schweigend den Inhalt. Die Kiste gehörte seinem Opa Errol und enthielt dicke Ordner mit alten Papieren, sowie Bücher über Geologie und Bergbau. Er wühlte ein bisschen tiefer und fand versiegelte Pakete aus Wachspapier, die mit Schnüren zusammengebunden waren. Er las die daran befestigten Bleistiftnotizen – einige waren an Errols Vater Benjamin adressiert, andere an Errol selbst, und einige einfach nur generell an die Familie Cartwright, wobei die notierten Daten bis ins Jahr 1912 zurückreichten, also weit vor Errols Geburt. Auf einem anderen stand 1930, doch er schien vom gleichen Absender zu kommen, und beide schienen Bücher zu enthalten.

      Er schob seine Finger wie einen Kamm durch sein dichtes, dunkles Haar und ließ sie dort verweilen – sanft massierte er seine Kopfhaut, während er die Absenderangaben durchlas: Sie kamen vom Anwesen Sir Arthur Conan Doyles. Da er ein großer Fan alter Abenteuerromane war, sagte ihm der Name etwas und sein Interesse war sofort geweckt. Schnell öffnete er die Sendung von 1912.

      »Wow!« Wie er vermutet hatte, war es ein Buch – aber was für eines! Eine beinahe druckfrisch wirkende Erstausgabe der »Vergessenen Welt«. Das in blauem Leinen eingebundene, goldverzierte Buch wog schwer in seinen Händen.

      Ben wusste gar nicht, dass dieses Buch von Doyle war. Er kannte ihn eher wegen seiner Sherlock Holmes-Romane und hatte gedacht, »Die vergessene Welt« wäre ein Film von Stephen Spielberg.

      Er führte das Buch an die Nase und schnüffelte daran. Er konnte einen leicht muffigen Geruch wahrnehmen, aber im Großen und Ganzen hatten die Verpackung und der trockene Dachboden das Buch hervorragend erhalten – und das nun schon über hundert Jahre lang.

      Aber warum hat Errol es nie geöffnet?, fragte er sich. Vielleicht, weil es angekommen war, bevor er auf die Welt kam und weil es nicht direkt an ihn adressiert war? Oder vielleicht war es einfach schon verstaut worden und er wusste gar nichts von der Existenz dieses Umschlages?

      Ben schlug das Buch auf und las die Widmung. Sie kam vom Autor selbst:

       An meinen guten Freund Benjamin Cartwright,

      

       Ihre Erfahrungen haben meine Vorstellungskraft entzündet und dies ist das Ergebnis. Ich hoffe auf eine baldige Korrespondenz.

      

       Ihr Freund, Arthur Conan Doyle

      Ben lächelte wehmütig. Wir Cartwrights hatten ganz schön berühmte Freunde, dachte er und seufzte dann. Der Brief verriet ihm, dass Doyle offensichtlich nicht wusste, dass Benjamin schon etwa vier Jahre, bevor das Buch gedruckt wurde, im venezolanischen Dschungel gestorben war.

      Vorsichtig begann er, hier und da ein paar Seiten zu lesen, wodurch er den groben Verlauf der Story kennenlernte: Ein Reporter namens Edward Malone erfährt durch ein Interview mit einem gewissen Professor Challenger, dass es auf einer Hochebene im Amazonas noch lebende Dinosaurier geben soll.

      Ben lächelte, als er weiterlas. Im Handumdrehen hatte Challenger eine kleine Gruppe von Unterstützern zusammengetrommelt, die den besagten Ort tatsächlich finden und dort auf die Kreaturen treffen, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen.

      Klar, logisch, dachte Ben schmunzelnd. Dann betrachtete er das Buch von allen Seiten und bewunderte seine hochwertige Machart. Er hatte keine Ahnung, wie viel es wert sein konnte, doch klar war, dass er es keinen Tag länger in dieser Truhe verstauben lassen würde. Er wickelte es wieder in das Wachstuch und legte es dann auf den Tisch, wo auch seine Bierflasche stand.

      Das nächste Paket, das er herauszog, war ein Bündel von Briefen, die mit einer vom Alter ganz fleckigen Kordel umwickelt waren. Er öffnete den Knoten und fächerte die Umschläge vor sich auf. Offenbar stellten sie den früheren Austausch zwischen Benjamin und Doyle dar.

      Ben atmete tief durch. Es stimmte also wirklich, dachte er und erinnerte sich gut daran, wie sein Vater ihn mit Anekdoten von Benjamin in Staunen versetzt hatte, dem Abenteurer in der Familie, der auf viele Expeditionen an die entlegensten Winkel der Erde aufgebrochen war, von denen die verhängnisvolle letzte im Jahr 1908 stattgefunden hatte. Seine Ehefrau hatte den Rücktransport der sterblichen Überreste aus einem abgelegenen Dorf am Rande des Amazonas organisieren müssen.

      Ben öffnete den ersten Brief, der auf das Jahr 1906 datiert war. Es ging darin um die Vorbereitungen besagter Expedition, er lud Arthur Conan Doyle sogar ein, ihn zu begleiten, um alles zu dokumentieren.

      Gespannt las er weiter. Es gab Diskussionen um die Finanzierung, was man mitnehmen solle, und am Rande ging es um die politische Situation dieser Zeit.

      Doyles Antwort drückte großes Interesse an der Expedition aus, doch höflich lehnte er die Einladung ab. Gleichzeitig bot er aber an, einen Beitrag zur Finanzierung der Reise zu leisten, falls Benjamin Schwierigkeiten haben sollte, das Geld zusammenzubekommen.

      Ben schaute sich die Daten der verschiedenen Briefe an und grinste – sie lagen viele Wochen auseinander, manchmal gar Monate. So lange hatte eben zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die Kommunikation über verschiedene Kontinente hinweg gedauert. Heute konnte man quasi ohne Zeitverzögerung mit Menschen auf der ganzen Welt reden, eine Errungenschaft, die Sir Arthur Conan Doyle sich höchstens in seinen fiktionalen Romanen hätte vorstellen können.

      Ben nahm noch einen Schluck von seinem Bier und öffnete einen weiteren Umschlag, wobei ihm auffiel, wie viel Spaß es ihm bereitete, in die Gedankenwelt dieser bemerkenswerten Herrschaften einzutauchen. Im nächsten Brief beschrieb Benjamin, was er zu finden hoffte – er berichtete, von einem Ort gehört zu haben, der nur einmal alle zehn Jahre in der sogenannten »feuchtesten Regenzeit« auftauchen sollte und in dem sich fantastische Kreaturen herumtrieben. Es