Die Familiensaga der Pfäfflings. Agnes Sapper

Читать онлайн.
Название Die Familiensaga der Pfäfflings
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955016395



Скачать книгу

Pfäffling.

      »Aber wir Lateinschüler können doch nicht in der Luisenstraße von Haus zu Haus laufen, wie arme Buben, die die Christbäume austragen,« entgegnete Karl.

      »Wenn mir da z.B. Rudolf Meier begegnete,« sagte Otto, »vor dem würde ich mich schämen.«

      »So, so,« sagte Herr Pfäffling, »seid ihr zu vornehm dazu? Dann muss wohl ich meinen Kleinen begleiten,« und er nahm den Baum, der in der Ecke stand, hob ihn frei hinaus, dass er die Decke streifte und sagte spassend: »So werde ich durch die Luisenstraße ziehen, eine Schelle nehmen und ausrufen: ›Wem der Baum gehört, der soll sich melden.‹«

      »Ich denke doch,« sagte Frau Pfäffling, »einer von unseren dreien wird so gescheit sein und sich nicht darum bekümmern, wenn auch je ein Kamerad denken sollte, dass er für andere Leute Gänge macht.« Sie schwiegen aber. Da setzte Herr Pfäffling den Baum wieder ab und sagte sehr ernst: »Kinder, fangt nur das gar nicht an, dass ihr meint: dies oder jenes passt sich nicht, das könnten die Kameraden schlecht auslegen. Mit solchen kleinlichen Bedenken kommt man schwer durchs Leben, fühlt sich immer gebunden und hängt schließlich von jedem Rudolf Meier ab.«

      Nach dem Essen wurde Herr Hartwig um das Adressbuch gebeten und mit Hilfe dessen und Frieders Erinnerung war bald festgestellt, dass der Baum in die Luisenstraße Nr. 43 zu Frau Dr. Heller gehörte.

      Die drei großen Brüder standen beisammen und berieten. »Ich mache mir nichts daraus, den Baum zu tragen,« sagte Wilhelm, »ich hätte gar nicht gedacht, dass es dumm aussieht, wenn ihr es nicht gesagt hättet.«

      »Aber wenn du hinkommst, musst du dich darauf gefasst machen, dass man dir ein Trinkgeld gibt,« sagte Karl.

      »Um so besser, wenn's nur recht groß ist, ich habe ohnedies keinen Pfennig mehr.«

      Die Beratung wurde unterbrochen durch die Mutter, die mit Frieder ins Zimmer kam und sagte: »Die Dame wird gar nicht begreifen, wo ihr Baum so lang bleibt, tragt ihn jetzt nur gleich fort. Otto, du gehst mit, deinem alten Mantel schadet es am wenigsten, wenn der Baum wetzt.«

      Diesem bestimmten Befehl gegenüber gab es keinen Widerspruch mehr. Otto musste sich bequemen, Frieder zu begleiten.

      Sie gingen nebeneinander und waren bis an die Luisenstraße gekommen, als Otto plötzlich seinem Frieder den Baum auf die Schulter legte und sagte: »Da vorn kommen ein paar aus meiner Klasse, die lachen mich aus, wenn sie meinen, ich müsse den Dienstmann machen. Das letzte Stück kannst du doch den Baum selbst tragen? Und kannst dich auch selbst entschuldigen, nicht?«

      »Gut kann ich,« sagte Frieder und ging allein seines Weges. Wie einfach war das nun. Am Glockenzug von Nr. 43 stand angeschrieben: »Dr. Heller«, das stimmte alles ganz gut mit dem Adressbuch und oben im zweiten Stock stand noch einmal der Name. Diesmal war Frieder an der rechten Türe.

      Otto hatte sich inzwischen seinen Kameraden angeschlossen und war ein wenig mit ihnen herumgeschlendert, denn er wollte nicht früher als Frieder nach Hause kommen. Als er sich endlich entschloss, heim zu gehen, war es ihm nicht behaglich zumute; es reute ihn doch, dass er den Kleinen zuletzt noch im Stich gelassen hatte. In der Frühlingsstraße wollte er mit dem Bruder wieder zusammentreffen. Er wartete eine Weile vergeblich auf ihn, dann ging ihm die Geduld aus, vermutlich war Frieder schon längst daheim. Er hoffte ihn oben zu finden, aber es war nicht so, das konnte er gleich daran merken, dass er von allen Seiten gefragt wurde: wie es mit dem Baum gegangen sei? Nun musste er freilich erzählen, dass er nur bis in die Nähe des Hauses Nr. 43 den Baum getragen, und dann mit einigen Freunden umgekehrt sei. Aber nun hörte man auch schon wieder jemand vor der Glastüre, das konnte Frieder sein, und dann war ja die Sache in Ordnung. Sie machten auf: da stand der kleine Unglücksmensch und hatte wieder seinen Christbaum im Arm! Sie trauten ihren Augen kaum. »Ja Frieder, hast du denn die Wohnung nicht gefunden?« riefen sie fast alle zugleich. Da zuckte es um seinen Mund, er würgte an den Tränen, die kommen wollten, und presste hervor: »Neunmal geklingelt, niemand zu Haus!« Sie waren nun alle voll Mitleid, aber sie konnten auch nicht verstehen, warum er nicht oben oder unten bei anderen Hausbewohnern angefragt hätte. Daran hatte er eben gar nicht gedacht. »Deshalb gibt man solch einem kleinen Dummerle einen größeren Bruder mit,« sagte Frau Pfäffling, »aber wenn der freilich so treulos ist und vorher umkehrt, dann ist der Kleine schlecht beraten.«

      »Jetzt wird der Sache ein Ende gemacht,« rief Wilhelm, »ich gehe mit dem Baum und das dürft ihr mir glauben, ich bringe ihn nicht mehr zurück,« und flink fasste er den Christbaum, der freilich schon ein wenig von seiner Schönheit eingebüßt hatte, und sprang leichtfüßig davon.

      In der Luisenstraße Nr. 43 wurde ihm aufs erste Klingeln aufgemacht und sofort rief das Dienstmädchen: »Frau Doktor, jetzt kommt der Baum doch noch!« Eine lebhafte junge Frau eilte herbei und rief Wilhelm an: »Wo bist du denn so lang geblieben, Kleiner? Aber nein, du bist's ja gar nicht, dir habe ich keinen Baum zu tragen gegeben, der gehört nicht mir.«

      Wilhelm erzählte von den Wanderungen, die der Baum mit verschiedenen jungen Pfäfflingen gemacht hatte.

      »Der Kleine dauert mich,« sagte die junge Frau. »Das zweite Mal, als er kam, war ich wohl mit meinem Mädchen wieder auf dem Markt, ich habe nämlich nicht gedacht, dass er noch kommt, und habe einen andern geholt, ich brauche ihn schon heute abend zu einer kleinen Gesellschaft, da konnte ich nicht warten. Was mache ich nun mit diesem Baum? Habt ihr wohl schon einen zu Haus? Ich würde euch den gern schenken.«

      »Wir haben noch keinen,« sagte Wilhelm.

      »Also, das ist ja schön, dann nimm ihn nur wieder mit, und dem netten kleinen Dicken, der so viel Not gehabt hat, möchte ich noch einen Lebkuchen schicken, den bringst du ihm, nicht wahr?«

      Auch dazu war Wilhelm bereit, und kurz nachher rannte er vergnügt mit seinem Baum heimwärts.

      Der kurze Dezembernachmittag war schon zu Ende und die Lichter angezündet, als Wilhelm heim kam. Die Schwestern, welche die Ganglampe geraubt hatten, kamen eilig mit derselben herbei, als Wilhelm klingelte, und ließen sie vor Schreck fast aus der Hand fallen, als sie den Baum sahen. »Der Baum kommt wieder!« schrien die Mädchen ins Zimmer. »Unmöglich!« rief die Mutter. »Ja doch,« sagte Karl, »der Baum, der unglückselige Baum!« »Gelt,« rief Frieder, »es wird nicht aufgemacht, wenn man noch so oft klingelt!«

      Aber Wilhelm lachte, zog vergnügt den Lebkuchen aus der Tasche, und gab ihn Frieder: »Der ist für dich von deiner Frau Dr. Heller, und der Baum, Mutter, der gehört uns, ganz umsonst!« Als Herr Pfäffling heim kam, ergötzte er sich an der Kinder Erzählung von dem Christbaum, aber er merkte, dass es Otto nicht recht wohl war bei der Sache, und wollte sie eben deshalb genauer hören. »Also so hat sich's verhalten,« sagte er schließlich, »vor dem Lachen der Kameraden hast du dich so gefürchtet, dass du den Bruder und den Baum im Stich gelassen hast? Dann heiße ich dich einen Feigling!«

      Weiter wurde nichts mehr über die Sache gesprochen, aber dies eine Wort »Feigling«, vom Vater ausgesprochen, vor der ganzen Familie, das brannte und schmerzte und war nicht einen Augenblick an diesem Abend zu vergessen. Es war auch am nächsten Morgen, an dem vierten Adventssonntag, Ottos erster Gedanke. Es trieb ihn um, er konnte dem Vater nicht mehr unbefangen ins Gesicht sehen. Da trachtete er, mit der Mutter allein zu sprechen, und sie merkte es, dass er ihr nachging, und ließ sich allein finden, in dem Bubenzimmer. »Mutter,« sagte er, »ich kann gar nicht vergessen, was der Vater zu mir gesagt hat. Soll ich ihn um Entschuldigung bitten? Was hilft es aber? Er hält mich doch für feig.«

      »Ja, Otto, er muss dich dafür halten, denn du bist es gewesen und zwar schon manchmal in dieser Art. Immer abhängig davon, wie die anderen über dich urteilen. Da hilft freilich keine Entschuldigung, da hilft nur ankämpfen gegen die Feigheit, Beweise liefern, dass du auch tapfer sein kannst.«

      Am Montag nachmittag, als die Kinder alle von der Schule zurückkehrten, fehlte Otto. Er kam eine ganze Stunde später heim und dann suchte er zuerst den Vater in dessen Zimmer auf. Herr Pfäffling sah von seinen Musikalien auf. »Willst du etwas?«

      »Ja, dich bitten, Vater, dass du das Wort zurücknimmst. Du weißt schon welches. Ich bin deswegen heute nachmittag lang auf dem Christbaummarkt