Die Familiensaga der Pfäfflings. Agnes Sapper

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Название Die Familiensaga der Pfäfflings
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955016395



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ein großer weißer Wall vor dem Kasernenzaun aufgetürmt lagen. Und von diesem Zaun hatte jeder Stecken sein Käppchen, jeder Pfosten seine hohe Mütze auf.

      Frau Pfäffling suchte die Kleine. »Elschen, komm, du darfst etwas sehen,« und schnell führte sie das Kind mit sich in das Wohnzimmer und öffnete das Fenster. Eine frische Winterluft strich herein. Am Haus vorbei, nach der Stadt zu, fuhr eine ganze Reihe von Leiterwagen, alle beladen mit Christbäumen.

      »Christbäume, Christbäume,« jubelte Elschen so laut, dass einer der Fuhrleute, der selbst wie ein Schneemann aussah, herausschaute, und als er das glückselige Kindergesicht bemerkte, rief: »Für dich ist auch einer dabei!« Die Kleine erglühte vor Freude und winkte dem Schneemann nach.

      Aber alles auf der Welt ist nur dann schön und gut, wenn es an seinem richtigen Platz ist, das gilt auch von dem Schnee. Eine einzige Hand voll von diesem schönen Dezemberschnee kam an den unrichtigen Platz und richtete dadurch Unheil an.

      Das ging so zu: Im Heimweg von der Schule an einer Straßenecke, wo einige Lateinschüler mit Realschülern zusammentrafen, gab es ein hitziges Schneeballengefecht. Wilhelm Pfäffling war auch dabei. Einer der Realschüler hatte ihn und seine Kameraden schon mehrfach getroffen, indem er sich hinter der Straßenecke verbarg, dann rasch hervortrat, seinen Wurf tat und wieder hinter dem Eckhaus verschwand, ehe die anderen ihm heimgeben konnten. Nun aber wollten sie ihn aufs Korn nehmen. Es waren ihm einige tüchtige Schneeballen zugedacht, wurfbereit warteten sie gespannt, bis er sich wieder blicken ließe. Jetzt wurde eine Gestalt sichtbar, die Ballen sausten auf sie zu. Aber es war nicht der Realschüler gewesen, sondern ein gesetzter Herr. Zwei Schneeballen flogen dicht an seinem Kopf vorüber, zwei trafen ihn ganz gleichmäßig auf die rechte und linke Achsel. Und das war nicht der richtige Platz für den Schnee!

      Herr Sekretär Floßmann, der so ahnungslos um die Ecke gebogen war und so schlecht empfangen wurde, stand still, warf böse Blicke und kräftige Worte nach den Jungen. Dass sie ihn getroffen hatten, war ja nur aus Ungeschick geschehen, dass nun aber einige laut darüber lachten und dicht an ihm vorbei weiter warfen, das war Frechheit.

      Zu den ungeschickten hatte auch Wilhelm gehört, zu den frechen nicht. Nach Pfäfflingscher Art ging er zu dem Herrn, entschuldigte sich und erklärte das Versehen, half auch noch die Spuren des Schnees abschütteln. Der Herr schien die Entschuldigung gelten zu lassen und Wilhelm ging nun seines Wegs nach Hause. Er sah nicht mehr, dass Herr Sekretär Floßmann, als er ein paar Häuser weit gegangen war, einem Schutzmann begegnete, sich bei ihm beschwerte und verlangte, er solle die Burschen aufschreiben und bei der Polizei anzeigen. Das war nun freilich nicht so leicht zu machen, denn alle, die den Schutzmann kommen sahen, liefen auf und davon.

      Aber einen von Wilhelms Kameraden fasste er doch noch ab und fragte nach seinem Namen. Der zögerte mit der Antwort und sah sich um, keiner der Kameraden war noch so nahe, um seine Antwort zu hören.

      »Also, dein Name,« drängte der Schutzmann. »Wilhelm Pfäffling,« lautete die Antwort, die vom Schutzmann aufgeschrieben wurde.

      »Die Wohnung?«

      »Frühlingsstraße.«

      »Jetzt rate ich dir, heim zu gehen, wenn du nicht lieber gleich mit mir auf die Polizei willst.« Er ließ sich's nicht zweimal sagen. Ein »Wilhelm« war er allerdings auch, aber kein Pfäffling. Baumann war sein Name.

      »Das hast du klug gemacht,« sagte er bei sich selbst. »Dem Pfäffling schadet das nichts, der ist überall gut angeschrieben, aber bei mir ist das anders, wenn ich noch eine Rektoratsstrafe bekomme, dann heißt's: fort mit dir. Ich sehe auch gar nicht ein, warum gerade ich aufgeschrieben werden sollte, der Pfäffling hat ebenso gut geworfen wie ich.«

      Ahnungslos und mit dem besten Gewissen saß am nächsten Abend unser Wilhelm an seiner lateinischen Aufgabe. Vielleicht war er ein wenig zerstreuter als sonst, denn er hatte sich heute bemüht, seinen Frieder, mit der Harmonika in der Hand, abzuzeichnen, und da war Frieders Gesicht so ausgefallen, dass allen davor graute. Nun musste er unwillkürlich auf seinem Fließblatt Studien machen über des kleinen Bruders gutmütiges Gesichtchen, das sich über die biblische Geschichte beugte, die vor ihm lag. Dazu kam, dass die Mutter und Elschen nicht am Stricken und Flicken saßen, wie sonst, sondern Zwetschgen und Birnenschnitze zurichteten zu dem Schnitzbrot, das alle Jahre vor Weihnachten gebacken wurde. So waren Wilhelms Gedanken heute zwischen Weihnachten und Latein geteilt; er achtete gar nicht darauf, dass Herr Pfäffling eintrat und gerade hinter seinen Stuhl kam.

      »Du, Wilhelm, sieh mich einmal an!« sagte er. Der wandte sich, sah überrascht auf und begegnete einem scharfen, durchdringenden Blick. »Was ist's, Vater?« fragte er.

      »Das frage ich dich,« sagte Herr Pfäffling, »ein Polizeidiener war da und hat dich vorgeladen, für morgen, auf die Polizei. Was hast du angestellt?«

      »Gar nichts,« rief Wilhelm und dann, nach einem Augenblick: »es kann doch nicht sein, weil wir gestern beim Schneeballen einen Herrn getroffen haben, der gerade so ungeschickt daher gekommen ist?«

      »Der Herr wird wohl nicht ungeschickt gekommen sein, sondern ihr werdet ungeschickt geworfen haben. Könnt ihr nicht aufpassen?« rief Herr Pfäffling, und bei dieser Frage kam Wilhelms Kopf auch so ungeschickt an des Vaters Hand, dass es klatschte.

      »Aber, Wilhelm,« rief die Mutter und schob ihr Weihnachtsgeschäft beiseite, »warum hast du dich denn wieder nicht entschuldigt?« Aber auf diesen Vorwurf versicherte Wilhelm so eifrig, er habe darin sein Möglichstes getan, dass man ihm glauben musste. Die ganze Geschwisterschar fing nun an, aufzubegehren über den unguten Mann, der trotzdem auf der Polizei geklagt habe, bis die Mutter sie zur Ruhe wies; sie wollte noch genau hören, wie die Sache sich zugetragen, und woher man seinen Namen gewusst habe. Das letztere konnte aber Wilhelm nicht erklären. »Muss ich denn wirklich auf die Polizei?« fragte er, »um welche Zeit?«

      »Um 11 Uhr.«

      »Aber da kann ich doch nicht, da haben wir Griechisch. So muss ich es dem Professor sagen, dann erfährt es der Rektor und schließlich kommt die Sache noch ins Zeugnis!«

      »Natürlich erfährt das der Rektor,« sagte Herr Pfäffling, »die anderen sind jedenfalls auch vorgeladen. Warum machst du so dumme Streiche!«

      Es war eine Weile still, jedes dachte über den Fall nach. »Könntest du nicht etwa mit ihm auf die Polizei gehen,« sagte Frau Pfäffling zu ihrem Mann, »und ein gutes Wort für ihn einlegen?«

      Herr Pfäffling überlegte. »Morgen, Freitag? Da ist Probe in der Musikschule, da kann ich unmöglich fort. Das muss er schon allein ausfechten. Es kann ihm auch nicht viel geschehen, wenn es sich nur um einen Schneeballen an die Schulter handelt; war auch gewiss sonst gar nichts dabei, Wilhelm, ich kann es kaum glauben!«

      »Gar nichts, als dass die andern gelacht und ungeniert weitergeworfen haben, dicht um den Herrn herum, das hat ihn am meisten geärgert. Besonders der Baumann war so frech, du kennst ihn ja, Karl.«

      »Warum treibst du dich auch mit solchen herum? Da heißt es mitgefangen, mitgehangen.« Elschen drückte sich an die Mutter und sagte kläglich: »Jetzt wird Weihnachten gar nicht schön.« Und es widersprach ihr niemand, für diesen Abend wenigstens war die ganze Weihnachts-Vorfreude aus dem Hause gewichen.

      Noch spät abends, im Bett, flüsterten die beiden Schwestern zusammen, berieten, ob Wilhelm bei Wasser und Brot in den Arrest gesperrt würde, und als Anne eben im Einschlafen war, rief Marie sie noch einmal an und sagte: »Das ärgste ist mir erst eingefallen! Wenn Herr Hartwig von der Polizei hört, dann kündigt er uns!«

      Da war es denn schon wieder in der Familie Pfäffling, das Schreckgespenst, die Kündigung!

      So bangen Herzens, wie am nächsten Morgen, hatte sich Wilhelm noch nie auf den Schulweg gemacht. Zwar hatte der Vater ihm an den Professor ein Briefchen mitgegeben, und die Mutter hatte ihm gesagt: »Habe nur keine Angst, ein Unrecht ist's nicht, was du getan hast,« aber er hatte ihr doch angemerkt, wie unbehaglich es ihr selbst zumute war, und hatte zufällig gehört, wie der Vater zu ihr gesagt hatte: »Eine Mutter von vier Buben muss sich auf allerlei gefasst machen.«

      In der Schule war es sein erstes,