Was uns geblieben ist. Georg Markus

Читать онлайн.
Название Was uns geblieben ist
Автор произведения Georg Markus
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783902998606



Скачать книгу

seinem Auszug Strauß Vaters Einfluss schwand, konnte Johann bald ungestört seiner Berufung nachgehen. Entsprechend war das Verhältnis Johanns zu seinen Eltern: Während er die Mutter liebte, bewunderte er den Vater zwar, aber fürchtete ihn auch.

      Josef und Eduard stiegen erst nach dem Tod des Vaters in das Musikunternehmen Strauß ein.

      Der erste uns namentlich bekannte Strauß war der Großvater von Strauß Vater: Johann Michael Strauß stammte aus Budapest und übersiedelte nach Wien, wo er am 11. Februar 1762 die Jägertochter Rosalia Buschin ehelichte. Als die Nationalsozialisten 1941 im Dompfarramt St. Stephan die Heiratsurkunde mit dem Vermerk, Johann Michael sei »ein getaufter Jud«, fanden, musste etwas unternommen werden. Keine anderen Melodien waren so populär wie die des Walzerkönigs, die als »deutsche Musik« in der Nazi-Presse verherrlicht wurden. Sein Werk wegen seines jüdischen Ahnherrn zu sperren, war undenkbar. Wie sollte man Fledermaus, Zigeunerbaron oder den Donauwalzer verbieten? Das Problem wurde an Joseph Goebbels in Berlin herangetragen, der eine Lösung fand: Der Propagandaminister ließ das Trauungsbuch in das Reichssippenamt nach Berlin bringen, wo die verräterische Seite herausgeschnitten und unter Weglassung der Strauß-Hochzeit an die Pfarre St. Stephan in »beglaubigter Kopie« zurückgegeben wurde. Das Dokument war »gerettet« und mit ihm die Walzer und Polkas des nunmehrigen »Ehrenariers« Johann Strauß. Nach dem Krieg wurde das Original wiederentdeckt und an das Dompfarramt St. Stephan retourniert.

      Johann Strauß Vater wurde, als er 45 Jahre alt war, von einem seiner unehelichen Kinder mit Scharlach infiziert, er starb in der Nacht vom 24. auf den 25. September 1849 – nur etwa ein Jahr nachdem er die Komposition seines Lebens, den Radetzkymarsch, geschaffen hatte. Emilie Trampusch verließ noch in der Nacht seines Todes mit ihren Kindern fluchtartig die gemeinsame Wohnung. Allerdings hatte sie nicht – wie später fälschlich behauptet wurde – Geld und Wertgegenstände mitgenommen.

      Als die einst schmählich verlassene Anna Strauß die Nachricht vom Tod ihres Mannes erhielt, schickte sie ihren mittleren Sohn Josef in die Kumpfgasse, wo er den Leichnam seines Vaters vorfand und sich um dessen Abholung und die weiteren Formalitäten kümmerte. Auf der Parte unterschrieb Anna Strauß als Witwe, als hätte es weder Trennung noch Geliebte mit acht Kindern gegeben, und nannte den Verstorbenen »meinen innigst geliebten Gatten«.

      Und das, obwohl dieser die »erste Familie« auch in seinem Testament mehr als schofel behandelt hatte: »Letzter Wille, kraft dessen ich endesgefertigter Johann Strauß zu Erben meines Nachlasses die Emilie Trampusch, k. u. k. Kameralarztenstochter, zum einen und deren Kinder Johann, Emilie, Clementine, Maria und Therese Trampusch zum anderen Theile einsetze. Meine Kinder aus meiner Ehe mit Anna Strauß geb. Streim, sollen auf den Pflichtteil gesetzt werden.«

      Drei seiner Kinder mit Emilie Trampusch waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot, auch die anderen wurden nicht sehr alt. Emilie Trampusch starb im Alter von 43 Jahren.

      Johann Strauß, der Walzerkönig, ging weder zum Begräbnis seines Vaters noch zu dem seiner Mutter, seines Bruders Josef oder zu dem seiner ersten Frau »Jetty«, weil er eine panische Angst vor Krankheit und Tod hatte.

      Anna Strauß hatte sich nach dem Schock, als sie von ihrem Mann über Nacht mit fünf Kindern allein gelassen worden war, für ihre Söhne und Töchter aufgeopfert und ihnen unter schwierigsten finanziellen Umständen das Musikstudium ermöglicht. »Die glänzende Laufbahn ihrer Söhne«, schrieb das Neue Wiener Tagblatt im Februar 1870 in einem Nachruf, »entschädigte die Greisin in hohem Maße für so viel Ungemach, das sie in jungen Jahren hat erleiden müssen.«

      Eduard Strauß erklärte, er würde es seinem Bruder Johann durchaus zutrauen, Kompositionen des nicht minder genialen Josef als seine eigenen auszugeben. Musikforscher schließen nicht aus, dass Johann für seine drei Jahre nach Josefs Tod entstandene Fledermaus bei diesem Melodien »entwendet« haben könnte. Der jüngste Bruder ließ auch sonst kein gutes Haar an Johann. Dieser, behauptete Eduard, hätte sich über ihn lustig gemacht, indem er sich etwa beim Einkauf in eleganten Stadtgeschäften mit den Worten vorstellte: »Johann Strauß, der Bruder vom Eduard.«

      Allerdings war Eduard auch kein ganz einfacher Patron. Er, der als einziger von den »Strauß-Buben« Söhne in die Welt setzte, gab diesen die Namen Johann und Josef, was darauf schließen lässt, dass er in jungen Jahren jedenfalls auch mit seinem Bruder Johann ein gutes Einvernehmen gehabt haben muss. Doch eben diese Söhne bereiteten Eduard später große Sorgen. In einem Brief an »Schanis« dritte Frau Adele beklagt sich Eduard Strauß 1889 über deren »Streiche«, die ihm und seiner Frau den Schlaf raubten und gesundheitliche Schäden zufügten. Im Besonderen lässt er sich über seinen Sohn Josef aus, der »sein tolles Leben mit Schauspielerinnen fortsetzt, und jetzt mit einer dem Kronprinzen nahe gestandenen Hetäre« verkehren würde. »Die scheußlichsten notorischen und stadtbekannten Lumpen sind in seiner Gesellschaft! Und fort und fort neue Schulden! Was nützt, liebe Adele, da bei einem Menschen Erziehung und Familie – wenn einer zu solcher Entartung geeignet ist. Bedaure mich und Marie.«

      Mit der »Hetäre« meint Eduard Strauß die langjährige Geliebte des Kronprinzen Rudolf, die Prostituierte Mizzy Caspar, mit der dieser – noch ehe er die Baronesse Mary Vetsera traf – die Nacht vor Mayerling verbrachte und die jetzt offensichtlich in einer Beziehung mit seinem Sohn Josef stand. Eduards Söhne hatten exorbitante Spielschulden, die sie durch Plünderung seines Bankkontos auszugleichen trachteten. An seinen älteren Sohn, der sich unter dem Namen »Johann Strauß III.« als wenig erfolgreicher Komponist und Dirigent versuchte, schreibt Eduard 1897: »Ich bin nicht mehr in der Lage, mit Dir verkehren zu können. Meide meine Wohnung. Dein Vater.«

      Eduards »Rache« ist schrecklich: Acht Jahre nach dem Tod des übermächtigen Bruders bringt er das Notenarchiv der gesamten Familie – bestehend aus mehreren Wagenladungen mit musikhistorisch unwiederbringlichen Originalhandschriften und noch ungedruckten, nie kopierten Werken – in zwei Ofenfabriken im sechsten und im neunten Wiener Gemeindebezirk, um das Material verbrennen zu lassen. Der Ofenfabrikant Karl R. erklärte später im Neuen Wiener Journal:

      Ich redete ihm zu, die Sache noch rückgängig zu machen, Strauß starrte eine Weile vor sich hin, dann rief er: ›Ich kann nicht!‹ … Eduard Strauß setzte sich in einen Fauteuil vor den Ofen, meine Arbeiter öffneten die Pakete und streuten die Notenblätter vor den Augen des Hofballmusikdirektors in die auflodernden Flammen des mannshohen Ofenraumes. Bei einzelnen Notenpaketen, die besondere Familienerinnerungen enthielten, war er sichtlich bewegt. Er stand auf, blickte weg und ging für kurze Zeit in das Bureau zurück. Er verließ aber die Fabrik erst, nachdem das letzte Notenblatt verbrannt war. Von dem Umfang des Archivs hat man vielleicht eine Vorstellung, wenn ich mitteile, dass das Verbrennen der Musikalien von zwei Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends dauerte.

      Laut Eduards im Jahre 1906 veröffentlichten Memoiren hätte es einen Vertrag zwischen ihm und Johann gegeben, demzufolge der den anderen überlebende Bruder »alle Arrangements des Verstorbenen zu vernichten« habe. Mit dieser Aussage versuchte der jüngste Strauß-Bruder offensichtlich sein Vorgehen zu rechtfertigen – der Vertrag ist