Was uns geblieben ist. Georg Markus

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Название Was uns geblieben ist
Автор произведения Georg Markus
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783902998606



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      Aus diesen Familienarchiven wurden mir freundlicherweise wichtige Dokumente und Materialien zur Verfügung gestellt: Auer Welsbach, Bösendorfer, Freud, Hörbiger, Kokoschka, Lauda, Mautner Markhof, Nestroy, Porsche, Schnitzler, Strauss, Stürgkh, Thimig-Reinhardt.

      KENNEDY & KAISERHAUS

       Eine ungewöhnliche Familiengeschichte

      Eines Tages läutet mein Telefon. Die Anruferin teilt mir mit, dass in den nächsten Tagen eine alte Dame nach Wien käme, die ich unbedingt treffen müsse, weil sie eine hochinteressante Familiengeschichte zu erzählen hätte.

      Nun treffe ich immer wieder alte Damen, die mir hochinteressante Familiengeschichten erzählen, wobei sie einmal mehr und einmal weniger hochinteressant sind. Diese Familiengeschichte sollte sich allerdings in der Tat als außergewöhnlich erweisen. Bringt sie doch eine Verbindung zwischen den Häusern Habsburg und Kennedy zustande. Aber davon hatte ich vorerst noch keine Ahnung.

      Die Anruferin erklärte, dass die Freundin mit der hochinteressanten Familiengeschichte Lisa Lanett heiße und als gebürtige Österreicherin seit vielen Jahren in den USA lebe. Ich gab mich zurückhaltend, auch als die Dame am Telefon sagte, dass Lisas Großvater ein echter Erzherzog gewesen sei – schließlich gibt es immer wieder solche Fälle, weil eine nicht unerhebliche Anzahl von Angehörigen des ehemaligen Kaiserhauses illegitime Kinder in die Welt gesetzt hat, deren Enkel und Urenkel nach und nach ihre Geschichten erzählen wollen.

      Ich kann beim besten Willen nicht alle Leute treffen, die über hochinteressante Familiengeschichten verfügen, ich schaff es einfach nicht. Vielleicht war’s Zufall, vielleicht Intuition – Glück war’s auf jeden Fall. Denn ich sagte zu und traf die Anruferin ein paar Tage später in Begleitung ihrer mittlerweile in Wien eingetroffenen Freundin Lisa Lanett im Café Diglas auf der Wollzeile.

      Mrs. Lanett war damals 87 Jahre alt, in sehr guter Verfassung und immer noch berufstätig. Sie lebt in San Antonio im US-Bundesstaat Texas, wo sie trotz ihres hohen Alters ein kleines Immobilienbüro betreibt. Sie hat ein aufregendes Leben hinter sich, war Fotomodell, Tänzerin, Schauspielerin, eine wunderschöne Frau – und sechs Mal verheiratet. Aber das große Geheimnis ihres Lebens hatte sie bisher für sich behalten. Es betrifft ihren Sohn Tony, heute 65 Jahre alt.

      »Also, Mrs. Lanett«, sagte ich, nicht ahnend, was da auf mich zukommen würde, »erzählen Sie mir Ihre Geschichte.«

      Und sie erzählte: Dass sie am 7. August 1921 als Elisabeth Hortenau in der Hinterbrühl bei Wien zur Welt gekommen, dass ihr Vater Alfred von Hortenau ein unehelicher Sohn der Hofoperntänzerin Marie Schleinzer und des berühmt-berüchtigten Lebemannes Erzherzog Otto gewesen sei.

      Nun ist in der Geschichtsschreibung der Familie Habsburg hinlänglich bekannt, dass »der schöne Otto«, wie man ihn in der Monarchie nannte, als Schürzenjäger verschrien war. Man weiß auch von seiner Liaison mit der Tänzerin Marie Schleinzer, der zwei Kinder entsprangen. Lisa Lanetts Herkunft als Enkelin der Marie Schleinzer ist nachweisbar, die Beziehung des Erzherzogs mit der Solotänzerin vielfach dokumentiert und unbestritten. Das also war die Geschichte, die Lisa Lanett mir erzählen wollte. Der Name John F. Kennedy war bis dahin nicht gefallen.

      Ob sie selbst auch Kinder hätte, fragte ich Frau Lanett.

      »Ja, einen Sohn«, antwortete sie.

      »Und welcher Ihrer sechs Männer ist der Vater?«, wollte ich noch – eher aus Höflichkeit denn aus ehrlicher Neugierde – wissen.

      »Keiner von ihnen.«

      »Wer sonst?«, staunte ich.

      Frau Lanett wandte sich nun ihrer Freundin Verena Fischer zu, der seinerzeitigen Anruferin, und fragte sie: »Soll ich’s ihm sagen?«

      »Ja«, nickte Frau Fischer, »sag’s ihm.«

      »Der Vater meines Sohnes ist John F. Kennedy.«

      In diesem Moment drohte ich an einem Stück Kuchen zu ersticken, den ich an dem kleinen Kaffeehaustisch zu mir nahm. »Wie bitte? Wer ist der Vater Ihres Sohnes?«

      »Präsident Kennedy.«

      Ich sah sie ungläubig an und ließ Lisa Lanett weiterreden. Sie ist in Wien, Abbazia, Mailand, Paris, London und Salzburg aufgewachsen. Als Hitler 1938 in Österreich einmarschierte, war sie siebzehn und besuchte gerade eine Schauspielschule in Rom. Gemeinsam mit ihrer Mutter beschloss sie, nicht nach Wien zurückzukehren, sondern in die USA zu reisen. Nach ihrer ersten kurzen Ehe ging Lisa mit ihrer Mutter nach Phoenix, der Hauptstadt von Arizona, wo sie mit dem bisschen Geld, das sie aus Europa mitnehmen konnten, ein kleines Motel, das Monterey Lodge, eröffneten.

      Dort wurden während des Krieges amerikanische Offiziere und Soldaten einquartiert. »Einer von ihnen hieß John F. Kennedy«, erzählte Lisa. »Er war auf dem Weg nach Florida und blieb für ein paar Tage bei uns im Monterey Lodge

      Wir schreiben das Jahr 1942. Der gutaussehende Millionärssohn ist 25 Jahre alt, die bildschöne Lisa vier Jahre jünger. »Wir verliebten uns, und ehe er weiterzog, lud er mich ein, ihn in Miami zu besuchen. Danach verbrachten wir ein Wochenende in Kuba und waren dann einige Zeit in New York. Das ging drei Jahre so, bis ich im Frühjahr 1945 feststellte, dass ich schwanger war. Ich fuhr zu ›Jack‹ und teilte es ihm mit. Er bot mir daraufhin an, mich zu heiraten.«

      »Jack«, wie Kennedy von Freunden gerufen wurde, gehörte einer damals schon sehr prominenten Familie an, war aber natürlich noch lange nicht der Kennedy. »Ich hatte bis dahin ein wunderbares, freies Leben geführt«, fuhr Lisa Lanett an jenem Nachmittag im Café Diglas fort, »und dieses freie Leben wollte ich nach meiner ersten Scheidung, die ich bereits hinter mir hatte, auch nicht aufgeben. Deshalb kam eine Ehe für mich zu dieser Zeit nicht infrage. Ich muss auch sagen, dass ›Jack‹ nicht unbedingt die große Liebe meines Lebens war. Wir waren jung, und er hat mir gefallen, weil er fesch war. Und umgekehrt war’s wohl ebenso. Dass mehr daraus wurde als ein Gspusi, wie man in Wien sagt, liegt nur daran, dass ich 1945 unseren Sohn Tony zur Welt brachte. Kennedy ist damals aus allen Wolken gefallen und hat wohl auch nur im ersten Schock gemeint, dass wir heiraten sollten.«

      Und doch blieben Lisa und »Jack« auch nach dem 29. September 1945, dem Tag an dem Tony zur Welt kam, in Kontakt. Auch noch nach 1953, als »JFK« Jacqueline Bouvier, Amerikas spätere First Lady, heiratete. »Wir trafen uns immer wieder, auch als seine politische Karriere begann und er Senator in Massachusetts wurde. ›Jack‹ kam für die Kosten der Peekskill Militärakademie bei New York auf, die unser Sohn Tony besuchte.«

      Das war Lisa Lanetts Erzählung während unseres ersten Treffens in einem Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt. Ich verabschiedete mich, glücklich eine so aufregende Geschichte erfahren zu haben, und beschloss ihr auf den Grund zu gehen.

      Als erstes nahm ich Kontakt mit ihrem Sohn Tony auf. Antonio Bohler lebt in der kalifornischen Stadt Fairfield, er ist mittelgroß, hat graue Haare, einen dichten Bart und ist als kaufmännischer Angestellter bereits in Pension. Seine Ehe mit einer gebürtigen Sizilianerin, der die Söhne Richard und Michael entsprangen, ist geschieden.

      Tony Bohler sprach gleich ganz offen mit mir. »Als ich jung war, sagte mir meine Mutter, dass ihr erster Mann, Juan del Puerto, mein Vater sei. Eine Zeitlang habe ich das geglaubt, aber irgendwann begann ich daran zu zweifeln. Denn Juan war Mexikaner und sah auch sehr mexikanisch aus. Ich aber gar nicht. Als ich etwa dreißig war und sie meine Zweifel bemerkte, gestand sie mir, dass mein tatsächlicher Vater ein anderer sei. Ich fragte sie nach seinem Namen. Und sie sagte John F. Kennedy.«

      Und dann erzählte sie ihrem Sohn, wie sie den späteren US-Präsidenten kennen gelernt und sich in ihn verliebt hätte.

      Tony Bohler war, wie er mir berichtete, zunächst fassungslos. »Ich bin mit Mutters Geschichten von österreichischen Erzherzögen aufgewachsen, die ich in meiner Kindheit alle nicht recht glauben konnte, aber heute weiß ich, dass sie stimmen. Also vielleicht stimmt auch die Geschichte mit Kennedy.