Es war ganz anders. Georg Markus

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Название Es war ganz anders
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902862716



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Zwischenspiel am Burgtheater zurückkehrte. Zu seinen Paraderollen zählten der Karl Moor, der Mark Anton, der Mortimer und der Melchtal.

      Der damals 73-jährige Kaiser erwartete in dieser Zeit jeden Tag den Besuch der »gnädigen Frau« oder ließ sich in ihre Villa führen: in jene Villa in der Gloriettegasse, die sie vom Kaiser als Geschenk erhalten hatte – und die sie jetzt Viktor Kutscheras Ehefrau überlassen wollte.

       »Wie beneide ich die glücklichen Menschen, welche Sie sehen dürfen«

      Die Affäre mit Viktor Kutschera fällt in eine für alle Beteiligten schwere Zeit. Der Kaiser hatte die schlimmsten Schicksalsschläge seines Lebens hinter sich: den Selbstmord seines Sohnes Rudolf in Mayerling und die Ermordung seiner Frau Elisabeth in Genf. Umso einsamer und depressiver zeigte er sich und umso wichtiger war ihm die Gesellschaft der geliebten Frau Schratt, mit der es gerade jetzt immer wieder zu Auseinandersetzungen kam, während der sie den Kaiser zu verlassen drohte. »Wie beneide ich die glücklichen Menschen, welche Sie sehen dürfen«, schreibt Franz Joseph, »während mir nur die Sehnsucht bleibt.«

      Außerdem war der Premiere des Maria Theresia-Stücks, in der sie mit Viktor Kutschera am Volkstheater auftrat, ein riesiger Skandal gefolgt, weil man es als taktlos empfand, dass die Freundin des Kaisers eine Kaiserin spielte. Karl Kraus bezeichnete die Aufführung in der Zeitschrift Die Fackel als »Gipfel der Geschmacklosigkeit«, deren einzige Aufgabe es sei, »die leeren Kassen eines Geschäftstheaters zu füllen«.

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       »In einigen Stunden beginnt unser neues Jahr – hoffentlich bringt es Dir und mir Glück. Du! Du! Du! Victor! Lieb, lieb, lieb hab’ ich Dich über Alles!!! Deine Kathi« – Auszug aus dem fünfseitigen Liebesbrief der Schratt an Viktor Kutschera, Silvester 1903

      Viktor Kutschera war seit 1889 mit der Schauspielerin Elsa Sedlmayr verheiratet, die seinetwegen ihre Karriere aufgegeben und ihm zwei Kinder geschenkt hatte. Es war die große Tragödie seines Lebens, dass sich Tochter Mathilde, die ebenfalls eine bekannte Schauspielerin war, 1920 im Alter von dreißig Jahren das Leben nahm. In seinen späten Jahren wurde Kutschera für den noch jungen Film entdeckt, so spielte er 1921 in Kleider machen Leute die Rolle eines Bettlers neben dem noch unbekannten Hans Moser. Viktor Kutschera starb am 20. Jänner 1933 im Alter von 69 Jahren.

      Während die Namen Wilczeks und König Ferdinands in den Briefen des Kaisers an die Schratt immer wieder auftauchen, wird Viktor Kutschera kein einziges Mal erwähnt. Franz Joseph dürfte also von einer Freundschaft oder gar Beziehung nicht einmal etwas geahnt haben, während er in den beiden anderen Fällen immer wieder panisch reagierte. Katharina Schratts Affären mit Wilczek und Kutschera waren bisher gerüchteweise bekannt, den schriftlichen Beweis halten wir erst jetzt in Händen.

      Es stellt sich die Frage, warum die Schratt von so vielen Männern, die in ihrem Metier herausragende Persönlichkeiten waren, begehrt wurde.

       Von ihr geht ein Zauber aus, der eine erotische Kraft entwickelt

      Von ihr ging zweifellos als Frau und als Schauspielerin ein besonderer Zauber aus, der auch eine große erotische Kraft entwickelte. Was den Kaiser betrifft, der ja wie ein Gefangener in seinen Palästen lebte, kam hinzu, dass sie für ihn »das Fenster zur Welt« war, dass er nur durch sie erfahren konnte, wie die einfachen Leute dachten und fühlten.

      Fest steht, dass sie eine berechnende Frau war, für die nur mächtige, prominente und wohlhabende Männer als Liebhaber infrage kamen. Am meisten wurden diese Eigenschaften natürlich von Kaiser Franz Joseph erfüllt, dem sie allerdings von all ihren Verehrern am wenigsten Zuneigung schenkte. Doch auch ihre anderen Galane mussten erstrangige »Partien« sein; entsprach einer nicht mehr dieser Vorgabe, wurde er – wie ihr Ehemann Nikolaus von Kiss – schnell fallen gelassen.

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       Während Franz Joseph die Schratt geliebt hat, erwiderte sie seine Gefühle eher mit Sympathie und Zuneigung: Katharina Schratt und der Kaiser in Bad Ischl

      Klar ist auch, dass sich die Schratt ihre Gunst, vor allem vom Kaiser, teuer bezahlen ließ. Dennoch muss man ihr zugutehalten, dass sie sehr wohl wusste, wo die Grenzen liegen: Als Franz Joseph 1916 starb, bekam sie Angebote amerikanischer Buch- und Zeitschriftenverlage, die ihr für die Veröffentlichung ihrer Erinnerungen an der Seite des mächtigsten Monarchen Europas Millionen Dollar boten. Sie aber lehnte alle Angebote ab und schwieg. Und das, obwohl sie damals schon in wesentlich bescheideneren Verhältnissen lebte und den Großteil ihres Schmucks hatte verkaufen müssen.

      Die einst gefeierte und von außergewöhnlichen Männern umschwärmte k. u. k. Hof-Schauspielerin starb am 17. April 1940 im Alter von 87 Jahren vereinsamt in Wien. Sie hatte alle ihre Verehrer bis auf einen überlebt. Nur Ferdinand I., der im Oktober 1918 als König von Bulgarien abdanken musste, war noch am Leben. Er hatte jedoch sein Exil im fernen Coburg gefunden.

Zwei Mal Kennedy

       Ein geheimnisvoller Besuch John F. Kennedy am Wörthersee

       Als die Bänder auftauchen, ist klar, dass sie eine Sensation enthalten

      Die beiden Reden, die John F. Kennedy bei seiner Ankunft und seinem Abflug im Juni 1961 am Flughafen Wien-Schwechat hielt, waren längst in Vergessenheit geraten. Sie enthielten ja auch nur ein paar Höflichkeitsfloskeln, mit denen er sich für die Einladung der Republik Österreich zum Gipfeltreffen mit Kremlchef Nikita Chruschtschow bedankte. Doch als die Bänder mit diesen Reden ein halbes Jahrhundert später auftauchten, war klar, dass sie eine kleine Sensation enthielten. Denn Kennedy erwähnte darin, dass er Österreich schon einmal besucht hatte. Und das war bis dahin vollkommen unbekannt. In der Akustischen Chronik der Mediathek des Technischen Museums in Wien sind historische Reden abrufbar, darunter auch jene beiden, die der US-Präsident am Flughafen Schwechat hielt. John F. Kennedy, so hatte die Welt gedacht, war einmal in Österreich. Doch es war wieder einmal ganz anders. Insgesamt ist er vier Mal hier gewesen!

      Bei seiner Ankunft am Morgen des 3. Juni 1961 sagte er in einem Nebensatz: »Ich war vor 20 (Kennedy korrigiert sich) vor 21 Jahren fast einen Monat in Klagenfurt am Wörthersee in Ihrem wunderschönen Land, und ich freue mich über die Gelegenheit, nun wieder hier sein zu können.«

      Als Kennedy zwei Tage später von Wien-Schwechat seine Rückreise antrat, richtete er wieder ein paar Dankesworte an seinen Gastgeber, Österreichs Bundespräsident Adolf Schärf. Und er ging noch einmal auf seinen einstigen Aufenthalt ein: »21 Jahre liegen zwischen meinen beiden Besuchen in dieser Stadt, und ich hoffe, dass bis zu meiner nächsten Ankunft nicht wieder so viel Zeit vergehen wird.«

      In diesen Worten liegt die ganze Tragödie seines Lebens: John F. Kennedy konnte nicht noch einmal kommen, er wurde zweieinhalb Jahre nach seinem Wien-Besuch, am 22. November 1963, in Dallas/Texas ermordet.

       Es besteht kein Zweifel an der Echtheit der Aufnahmen

      Niemandem sind die beiden Nebensätze in Kennedys Reden in Wien-Schwechat aufgefallen – zu groß war die politische Bedeutung des Treffens der beiden mächtigsten Männer der Welt auf österreichischem Boden. Bis der ORF-Redakteur und Zeit im Bild-Moderator Eugen Freund bei Recherchen im Herbst 2010 durch Zufall auf die Bänder stieß. Da es unter den erstaunten Experten der Mediathek »keinen Zweifel an der Echtheit der Aufnahmen« gab, stellte sich die Frage: Warum war Kennedy – damals Student der Elite-Universität Harvard – in Österreich? Noch dazu, seinen eigenen Angaben zufolge, im Kriegsjahr 1940?

      Kollege Eugen Freund erzählte mir von seiner Entdeckung, und ich schickte die Bänder zunächst an die John F. Kennedy Presidential Library in Boston/USA, in der Kennedys Leben minuziös, praktisch Tag für Tag, dokumentiert ist. JFK-Archivar Stephen Plotkin zeigte sich ebenfalls überaus erstaunt und antwortete mir: »Die Bänder beweisen tatsächlich einen