Der Bergpfarrer Staffel 15 – Heimatroman. Toni Waidacher

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Название Der Bergpfarrer Staffel 15 – Heimatroman
Автор произведения Toni Waidacher
Жанр Языкознание
Серия Der Bergpfarrer Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740951276



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      Ohne abzuwarten ging sie voran. Brigitte bemerkte das leichte Humpeln, als Rosel das rechte Bein nachzog.

      Im Wohnzimmer bot sie ihr einen Platz an. Sie selbst setzte sich in einen alten, zerschlissenen Sessel. Brigitte bemerkte, daß er der war, in dem ihr Vater immer gesessen hatte. Sie schaute sich um. Die Stube sah noch genauso aus wie vor sieben Jahren. Überhaupt strahlte das ganze Haus immer noch denselben Geruch aus, den sie schon als Kind so gehaßt hatte. Selbst die Tapeten waren nicht erneuert worden.

      Und Rosel?

      Sie hatte sich verändert. Obwohl Brigitte nur ein Jahr jünger war, wirkte ihre Schwester sehr viel älter. Verhärmt sah sie beinahe aus, und das einfache Kleid, das sie anhatte, trug nicht gerade zu einem attraktiven Aussehen bei.

      »Vielleicht hätt’ ich vorher anrufen sollen«, sagte Brigitte in das Schweigen hinein.

      »Vielleicht hättest’ dich überhaupt mal melden sollen, in all den Jahren«, entgegnete ihre Schwester bissig. »Oder gar net erst fortgehen und mich mit allem hier allein lassen.«

      Brigitte biß sich auf die Lippe.

      Mit dieser Zurechtweisung hatte sie gerechnet und sie wußte, daß Rosel sie zu Recht ausstieß.

      »Ich weiß«, sagte sie. »Es tut mir auch leid, aber was gescheh’n ist, ist nun mal gescheh’n, und ich kann’s net rückgängig machen.«

      Rosels Gesicht war wie eine Maske.

      »Was willst’ überhaupt hier?« fragte sie. »Treibt dich etwa dein schlechtes Gewissen nach Haus’? Das kann ich net glauben. Als du gleich nach Vaters Tod fort bist, da hast’ ja auch keines gehabt.«

      »Wie willst du das wissen?« begehrte Brigitte auf. »Was weißt du davon, was ich gefühlt hab’? Du warst net dabei, als ich mir die schlimmsten Vorwürfe machte, aber ich hatte keine and’re Wahl. Ich mußte fort hier, wenn ich net ersticken wollte!«

      Der Ausbruch ließ Rosel zusammenzucken. Sie betrachtete ihre Schwester. So etwas hatte sie schon früher erlebt. Sie, als die Ältere, war immer besonnen gewesen und darauf bedacht, es dem Vater recht zu machen, der es schwer hatte, nach dem frühen Tod seiner Frau, die ihn und zwei Töchter zurückgelassen hatte und ihm damit eine schwere Last aufbürdete. Brigitte hingegen hatte nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten und sich gegen alles und jeden aufgelehnt. Selbst die Strenge des Vaters hatte sie nicht zu ändern vermocht. Später änderte es sich dann ein wenig. Karl Granzinger erkrankte nach einem Arbeitsunfall schwer und mußte zu Hause gepflegt werden. Die beiden Schwestern wechselten sich damit ab. Zwei Jahre dauerte der Kampf gegen die Krankheit, bis der ehemalige Sägemühlenarbeiter ihn verlor.

      Am Tag nach seiner Beerdigung verschwand Brigitte und ließ nie wieder etwas von sich hören.

      Bis heute.

      »Wahrscheinlich ist es wirklich sinnlos, darüber zu streiten«, gab Rosel nach. »Du bist deinen Weg gegangen, hast getan, was du deiner Meinung nach hast tun müssen. Daran ist wirklich nix mehr zu ändern.«

      Brigitte stand auf und ging zu ihrer Schwester. Sie ließ sich auf der Lehne nieder und legte den Arm um Rosel.

      »Ich hab’ einen Fehler gemacht«, sagte sie leise. »Den, daß ich dich hier zurückgelassen hab’. Wir hätten das Haus verkaufen und zusammen fortgehen sollen. Dann wär’ alles anders gekommen.«

      Rosel sah sie an, und plötzlich lief ihr eine Träne über das Gesicht. Brigitte küßte sie auf die Wange und wischte die Träne ab.

      »Vielleicht ist es ja noch net zu spät«, meinte sie, »und wir können uns doch irgendwie zusammenraufen.«

      »Meinst’ wirklich?« fragte Rosel, und so etwas wie ein Hoffnungsschimmer tauchte in ihren Augen auf.

      »Ganz bestimmt«, nickte Brigitte. »Wir müssen’s halt versuchen.«

      *

      Sie stand auf und ging in die Küche.

      »Hast’ Kaffee im Haus’?« rief sie.

      »Im Küchenschrank«, antwortete Rosel. »Da, wo er immer steht.«

      Brigitte nickte und öffnete lächelnd die Klappe.

      Nein, es hatte sich wirklich nichts verändert. Es war immer noch so wie früher.

      »Oben steht noch Kuchen drinn«, meinte ihre Schwester, die nachgekommen war. »Rührkuchen mit Rosinen.«

      »Was? Sag’ mal, hast du geahnt, daß ich herkommen werd’?«

      Rosel schmunzelte. Rührkuchen mit Rosinen, das war schon immer Brigittes Lieblingskuchen gewesen. Das Rezept stammte von der Mutter, und nach deren Tod war es die große Schwester gewesen, die ihn immer gebacken hatte.

      »Was macht das Bein?« erkundigte sich Brigitte, als sie später wieder im Wohnzimmer saßen und Kaffee tranken.

      Rosel zuckte die Schultern.

      »Es geht so«, erwiderte sie. »Ich hab’ mich halt dran gewöhnt, und es schmerzt nur noch ein bissel, wenn’s einen Wetterumschwung gibt.«

      Als junges Madl war sie von einem Baum gestürzt und hatte, neben einer Gehirnerschütterung, einen komplizierten Bruch des rechten Beines davongetragen. Zweimal mußte operiert werden, mit dem Ergebnis, daß sie das Bein nachzog.

      »Manchmal ist’s zwar lästig«, meinte sie. »Hat aber auch den Vorteil, daß es mir die Burschen vom Leibe hält. Mit mir tanzen wollen s’ nämlich net.«

      Sie sagte es so betont munter, daß es wie Galgenhumor klang, aber Brigitte glaubte auch eine gehörige Portion Bitterkeit aus den Worten herauszuhören.

      »Dann hast’ keinen Freund?« fragte sie vorsichtig.

      Rosel schüttelte den Kopf.

      »Den brauch’ ich auch net«, behauptete sie fest.

      Sie schenkte Kaffee nach.

      »Jetzt aber mal zu dir«, sagte sie. »Wo lebst du, was machst du? Und warum bist hergekommen?«

      Brigitte holte tief Luft.

      »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete sie.

      Am Tag nach der Beisetzung ihres Vaters, war sie nach München gefahren. Brigitte war eine gute Schülerin gewesen und hatte, im Gegensatz zu Rosel, die nach zwei Jahren auf dem Gymnasium abbrach, um den Vater zu pflegen, das Abitur gemacht. Eigentlich hatte sie nach dem schweren Unfall in der Sägemühle auch die Schulausbildung abbrechen wollen, doch ihre Schwester war strikt dagegen gewesen. Dank des guten Abiturs wurde sie an der Universität angenommen. Schon immer hatte sie das Fernsehen fasziniert, und so schlug sie eine entsprechende Richtung ein. Neben dem Studium arbeitete sie als »Mädchen für alles« bei einem Sender und bekam auf diese Weise die Chance, in ihren zukünftigen Beruf hineinzuschnuppern.

      »Seit drei Jahren bin ich bei der Delta-Filmproduktion«, beendete sie ihren Bericht, »und seit einem Jahr Produktionsassistentin.«

      Rosel nickte.

      »Dann hast du’s ja geschafft.«

      Die Worte klangen bewundernd und ohne Neid.

      Brigitte griff über den Tisch nach ihrer Hand.

      »Und das hab’ ich dir zu verdanken«, sagte sie. »Wenn du mich damals net davon abgehalten hättest, das Gymnasium zu schmeißen…«

      Sie rührte Milch in ihren Kaffee.

      »Und jetzt bin ich dabei, mein Baby zur Welt zu bringen«, lächelte sie.

      Rosel sah sie überrascht an.

      »Du bist schwanger? Man sieht ja gar nix.«

      »Nein, nicht so«, schüttelte ihre Schwester den Kopf.

      »Ich rede von einer Telenovela, die hier im Wachnertal gedreht werden soll. Genauer gesagt, in St. Johann und Umgebung. Ich hab’ mich mächtig