Krähenflüstern. Regine Kölpin

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Название Krähenflüstern
Автор произведения Regine Kölpin
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264447



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ohne Feier. Schließlich dieser Hausbau, den sie spontan entschieden hatten, verliebt wie sie waren.

      Thiemo war immer die treibende Kraft gewesen. Er hatte sie ganz schnell in sein Leben integriert und sie war einfach nur froh gewesen, endlich irgendwo angekommen zu sein.

      Jetzt konnte sie Laurin, ihrem Sohn, alle Sicherheit geben, die er brauchte und so vermisst hatte. Linda hoffte einfach, dass aus Thiemo jetzt, wo sie ihr Leben zusammen verbringen konnten, ein guter Ersatzvater werden würde. Bei seinem Charme zweifelte sie eigentlich nicht daran.

      »Ich hoffe, ich bekomme es so schön hin, wie ihr es habt«, sagte Linda. Bei Sinje und Hanno wirkte alles perfekt. Selbst der Rasen hatte sich im letzten Herbst noch mit großer Energie durch den kleihaltigen Boden gebohrt. Vor den Fenstern hingen bunte Baumwollgardinen und die Fensterbänke schmückten kleine Tonfiguren.

      »Das wird, keine Sorge. Dauert eben.«

      »Ihr seid schon so weit; als würdet ihr seit Jahren drüben wohnen.«

      Sinje lachte und schüttelte ihre langen tiefroten Locken in den Nacken. »Hanno ist halt ein Pedant. Ihm kann es immer nicht schnell genug gehen, alles muss sofort fertig sein. Und wehe, ein Grashalm wächst schief! Ist manchmal ganz schön anstrengend.«

      Ihre Nachbarin hatte etwas Faszinierendes, was sicher an den schönen, grünen Katzenaugen, aber auch an der dunklen und rauchigen Stimme lag. »Warte erst mal ab, bis du Hanno richtig kennen lernst. Vielleicht denkst du dann anders! Nicht, dass der bei dir noch Unkraut rupft, damit es nicht zu uns weht.«

      »Ich hätte nichts dagegen«, sagte Linda lachend. »Mit der Gartenarbeit kenne ich mich nämlich gar nicht aus. Ich zupfe wahrscheinlich ständig das Falsche aus der Erde.«

      Die Stufen der Leiter knarrten, als die beiden Männer wieder nach unten kletterten. »Nun dauert es nicht mehr lange und wir beiden spielen mit Laurin die perfekte Familie«, sagte Thiemo.

      »Perfekt soll es ja gar nicht sein, aber einfach … gut«, lächelte Linda. Da Thiemo mit der Leitung seines Pflegezentrums Sanfte Wellen in Wilhelmshaven viel zu tun hatte, würde Linda ihren Job als Kassiererin aufgeben und zunächst bei Laurin zu Hause bleiben. Wenigstens so lange, bis sich das Leben zu dritt eingependelt hatte.

      Thiemo sah auf die Uhr. »Seid nicht böse, aber wir müssen los. Kurz was essen und dann muss Linda zu Laurin.«

      »Kein Problem. Wie ich Hanno kenne, gibt es im Haus bestimmt noch was zu tun«, meinte Sinje. »Bevor er nachher zum Training verschwindet.«

      »Ich schaffe es heute bestimmt nicht zu kommen«, sagte Thiemo.

      »Ich entschuldige dich. Bau ist Bau, kenne ich.« Hanno legte die Hand auf Thiemos Schulter, fixierte dabei aber Linda lächelnd. Er hatte eigentümlich helle Augen, die gar nicht so recht zu seinem Gesicht passten.

      1968

      »Du musst verstehen, dass du nicht bleiben kannst, hörst du?« Die Stimme ist weich, streichelt ihn mit den Vokalen. Die Hand gleitet über seine dunklen Haare. Als sie damit aufhört, greift sie ohne zu zögern in seinen Schrank, zieht die Sachen heraus und packt den Koffer. »Ich gebe dir etwas von mir mit«, sagt sie und reicht ihm eine durchsichtige Tüte mit einer kleinen blonden Haarsträhne. »Ich werde immer an dich denken, aber jetzt kann ich nicht mehr bei dir sein. Später werde ich dich wieder holen. Ganz bestimmt. Verlass dich drauf!«

      Sie schließt den abgeschabten Koffer, der dabei ein leises Ächzen von sich gibt. Zur Befestigung zurrt sie einen Gürtel darum. Der Junge freut sich ein bisschen auf die große Reise, aber er hätte es schöner gefunden, wenn sie mitgekommen wäre.

      Angst hat er nicht, denn ihre Stimme klingt recht fröhlich und sie plappert munter weiter. »Du kommst zu netten Leuten. Leute, die fest an Gott glauben und gut auf dich aufpassen werden.«

      Er kennt die Leute aus der Kirche. Sonntags gehen sie immer dorthin. Es ist warm und hinterher gibt es Kekse und Tee.

      Er nickt. Alles ist halb so wild. Sie würde ihn wieder zu sich holen, ganz bestimmt. Sie hat es gesagt.

      »Du musst lange fahren«, plaudert sie weiter und steckt ihm ein Malbuch ein. »Damit es nicht langweilig wird.« Ihre Stimme klingt jetzt doch komisch. Als ob sie weinen würde, wenn sie weiterredet. Und so sagt sie nichts mehr, schaut nur immer wieder aus dem Fenster.

      Als der weiße VW-Bus mit der roten Schrift auf den Hof rollt, nimmt sie ihn in den Arm und versinkt mit ihrer Nase ganz in seinem Haar. »Es ist nur für kurz, mein Kleiner. Bestimmt. Nur für kurz. Bis ich es hier im Griff habe. Vertrau mir!«

      Sie winkt ihm hinterher, bis er um die Ecke gefahren ist. Er starrt aus dem Fenster, wo die Bäume an ihm vorbeisurren. Der Mann am Steuer hat noch nichts zu ihm gesagt. Der Junge nimmt seinen Plüschhasen und zieht ihn vor das Gesicht. Der Hase ist der Einzige, der merken darf, dass er doch weint.

      Sie würde ihn holen, hat sie gesagt. Ihre blonden Haare würden sich mit seinen vermischen, so wie es immer gewesen ist.

      Montag, 13.2.

      »Herr Hanken?«

      Thiemo blickte von seinem Schreibtisch auf. Selbst sein Lächeln gelang ihm heute nicht so recht, er hatte das Gefühl, als falle es schief aus. Er war so müde. Die Arbeit auf dem Bau, die sich am Wochenende arg in die Länge gezogen hatte, und die Renovierungsarbeiten in seiner alten Wohnung forderten langsam ihren Tribut. Die letzten Nächte hatte er bei Linda in der kleinen Wohnung in der Anton-Günther-Straße in Jever verbracht, aber es war für zwei Erwachsene und ein Kind einfach zu eng dort. Laurin war zwar ein netter Kerl, aber eben fünf Jahre alt. Thiemo war Kinder nun mal nicht gewohnt. So hatte er verdammt schlecht geschlafen. Schließlich war er auf das Sofa ausgewichen, weil Laurin partout bei Linda im Bett bleiben wollte und er die nackten Kinderfüße an seinen behaarten Beinen nicht mehr ertragen konnte.

      »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Thiemo. Er versuchte, sich auf den grauen Mann ihm gegenüber zu konzentrieren.

      »KripoWilhelmshaven, Rothko, guten Tag.«

      Thiemo setzte sich auf. Die Kripo hatte er noch nicht im Haus gehabt.

      »Am Freitag ist bei Ihnen Elfriede Lambacher verstorben«, sagte der Mann. Thiemo fiel auf, dass er noch nie so kleine Augen gesehen hatte. Nicht, dass sie in irgendwelchen Fettpolstern verschwanden. Der Mann war eher hager, aber die Augen wirkten rund und winzig, viel zu eng zusammengestellt. »Schweinsaugen«, dachte Thiemo und bemühte sich, konzentriert auszusehen, was ihm aber nicht gelang. Er strich sich über den Kopf, gab sein Passwort ein und rief am PC die Patientendaten auf, um etwas Zeit zu gewinnen. Thiemo kannte die Bewohner meist nur flüchtig, da er nur noch für die Organisation und den Ablauf zuständig war. Aber bei Frau Lambacher war das anders. Sie hatte sich so oft über das Haus, das Personal oder sonstige Dinge beschwert, dass selbst er über diese Frau voll informiert war.

      Thiemo überflog die Akte. »Ja, Elfriede Lambacher ist am Freitagabend in ihrem Zimmer aufgefunden worden. Sie saß reglos im Rollstuhl. Das Pflegepersonal hat alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet, aber wir konnten nichts mehr für sie tun. Frau Lambacher verstarb an einem hypoglykämischen Schock, also Unterzuckerung. Alles dokumentiert und vom Hausarzt so abgezeichnet. Da sind wir sehr genau mit der Erfassung, wissen Sie.« Thiemo wies auf den Bildschirm. Es war alles in Ordnung. Gut, dass er konsequent auf korrekten Eintragungen beharrte, dafür hatte er extra ein digitales System eingeführt.

      »Wir haben einen anonymen Hinweis bekommen, dass es kein natürlicher Tod war.«

      »Frau Lambacher war Diabetikerin und eine undisziplinierte dazu«, sagte Thiemo. »Sie können die Einträge in den Akten verfolgen. Eigentlich hätte sie mit ihrer Krankheit selbstständig sein sollen, aber immer wieder kam es zu Entgleisungen, sowohl nach oben als auch nach unten. Frau Lambacher kontrollierte ihren Blutzucker selbst und hatte zwei Insulinpens mit Plan zur Verfügung. Nur pflegte sie sich nicht an die verordneten Einheiten zu halten, sondern spritzte so, wie es ihr passte. Vielleicht hat sie auch am Freitag wieder ihr Ding gemacht. Sie wusste immer alles besser! Fragen Sie ihren Sohn, der