Название | Benoni |
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Автор произведения | Hermann Moser |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347153578 |
„Davon habe ich noch nie etwas gehört. Warum?“
„Das ist ein Teil unseres Rätsels. Frank Pottersfeld ist übrigens hier in Wien begraben. Es gab keine Verwandten und die ostdeutschen Behörden waren damals zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich darum zu kümmern. Das Grab wird vom österreichischen Schachbund gepflegt und bezahlt. Wir haben mit der Verwaltung des Zentralfriedhofs gesprochen, ein unbürokratischer Austausch zwischen Beamten. Wenn du heute noch hinfahren willst, lassen sie dich auch nach der Schließung hinein.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll. Ich muss aber vorher noch zu meinem Vater – Adoptivvater - in die Hexenküche. Er ist auch sehr gespannt, was bei der Geschichte herauskommt.“ Er stellte das Bild auf den Ahnenschrein und zündete eine Kerze an.
Lydia Jacobs hatte das Essen dem angekündigten Vortrag von Ernesto Pianomartello angepasst. Es gab Minestrone, Piccata Milanese und als Nachspeise Tiramisu. Neben den Polizisten war auch Wolfgangs Tochter Corinna Zimmermann zu Gast. Die blonde Frau war einen Kopf größer und zehn Jahre jünger als ihr Mann, der Spurensicherer Klaus. Sie beschäftigte sich beruflich im Gegensatz zu ihrem Vater mit lebenden Patienten. Als Haus- und Notärztin aller Keystone Cops samt Familien machte sie sich Sorgen um ihren Patienten Friedrich. „Wie geht es ihm?“
Nyoko, die ihren überbordenden Energieverbrauch am liebsten mit Süßspeisen ausglich, nahm sich ein zweites Stück Tiramisu. „Er ist stolz, der Sohn eines Kasparow-Bezwingers zu sein. Dieses Match kennt er sogar auswendig. Aber wirklich verdaut hat er das alles noch nicht.“
„Er gehört zu den Menschen, für die ein Arztbesuch wie der Weg durchs Fegefeuer ist, neigt aber auch zur Psychosomatik. Wenn er Hilfe braucht, führt ihr ihn am besten mit Handschellen zu mir.“
Christian schaute finster. Nyoko hatte das einmal mit ihm gemacht. Mit seiner hypochondrischen Neigung war er Stammgast bei Corinna, nur nicht, wenn er wirklich krank war. Nyoko hatte ihre Nachspeise verdrückt und war nun bereit für den Fall Pottersfeld. „Leute! Wir helfen Friedrich am meisten, wenn wir alle Unklarheiten um seine Eltern beseitigen. Lasst uns loslegen! Ich schlage vor, dass wir chronologisch erzählen, was wir bisher herausgefunden haben und unsere Veteranen steigen ein, wenn sie zusätzlich etwas beitragen können.“
Sie gingen ins Wohnzimmer. Paul verband seinen Laptop mit dem Fernseher. Wolfgang öffnete den Safe, der sich nicht sehr originell hinter einem Bild befand, und nahm eine kleine Schachtel heraus, die er vor sich legte.
Christian begann. „Frank Pottersfeld stammt aus Leipzig. Er ist Bibliotheksfacharbeiter, seine Leidenschaft gehört aber dem Schach. Seine Lebensgefährtin Irene Kupfer hält sich in der Öffentlichkeit völlig im Hintergrund. Wir haben noch nicht einmal ein Bild von ihr gefunden. 1989 wird sie schwanger. Wir haben ein paar Aufnahmen von Pottersfeld bei Schachturnieren aus diesem Jahr. Die kommentiert am besten Nyoko.“
Die Chefin übernahm das Wort. „Hier im Jänner 1989 ist er etwas unsicher, ängstlich. Er spielt sicher gut, aber der Kampf ist nicht sein Ding. Bei einem Gegner mit dieser Körpersprache weiß ich schon vorher, dass ich gewonnen habe. Im April ist alles anders. Er ist hoch konzentriert, fokussiert und auf Angriff eingestellt. Wenn ich vor einem Spiel solche Augen sehe, stelle ich mich auf eine schwierige Partie ein. Pottersfeld startet eine spektakuläre Siegesserie. Haben ihm die Vaterfreuden Selbstvertrauen gegeben? Oder hat der beginnende politische Aufbruch seinen Geist befreit? Er beginnt, bei Interviews im Ausland leise Systemkritik zu üben. Jetzt sein Meisterstück. Seht euch die zwei Männer an! Testosteron pur! Kontrolliert von hochintelligenten Menschen. Der Grund für Kasparows Niederlage ist nicht eine Formkrise an diesem Tag. Pottersfeld spielt die Partie seines Lebens. Friedrichs Vater verliert danach kein Spiel mehr, bis er im November nach Wien kommt. Wir sehen seine letzte Partie, er hat davor schon zwei verloren. Was ist da los? Nervös, die pure Angst. Er schaut ein paar Mal nach hinten, so etwas macht nicht einmal ein mittelmäßiger Amateur. Und er hat noch einen neuen Tick. Seht ihr es? Jetzt … und noch einmal … schon wieder … er greift sich an die linke Pobacke. Wolfgang, du schaust auf deine Schachtel. Kann es sein, dass du uns jetzt etwas erzählen willst?“
Der Gerichtsmediziner nickte anerkennend. „Nicht schlecht! Was ich euch jetzt zeige, sollte unter uns bleiben. Wenn das offiziell wird, ist meine Karriere beendet. Ich war damals Assistent in der Gerichtsmedizin. Der Institutsvorstand war ein Schreibtischmensch, der schon lange keine Obduktion durchgeführt hatte. Nur Pottersfeld wollte er selbst untersuchen und ich durfte nicht einmal dabei sein. Ich habe mich daher in der Nacht davor ins Institut geschlichen und die Leiche untersucht. Dabei habe ich in seiner Gesäßbacke das hier gefunden. Christian, du kennst dich mit Geschichte aus. Willst du uns erklären, was es ist? Du wirst die Lupe von Klaus benötigen.“
Christian öffnete die Schachtel und betrachtete mit der Sehhilfe das Objekt, eine Kugel mit etwa einem Millimeter Durchmesser, in der sich zwei kleine Löcher gegenüberliegend befanden. „Auch das noch! Das sieht aus wie das Ding, das beim Regenschirm-Attentat verwendet wurde. 1978 tötete der bulgarische Geheimdienst einen Dissidenten, indem er ihm so eine Kugel mit Gift verabreichte. Das geschah mit einer Vorrichtung, die in einen Regenschirm eingebaut war. Der scheinbar harmlose Zusammenstoß mit einem Passanten war ein perfider Mordanschlag.“
Klaus übernahm das Kügelchen und seine Lupe. „Wird das jetzt eine Geheimdienstverschwörungsgeschichte? Dann können wir aufhören.“
Christian wandte sich wieder zum Bildschirm. „Das schaut auf den ersten Blick so aus, aber wenn es tatsächlich mit den anderen Fällen zusammenhängt, könnte jemand aus Wien involviert gewesen sein. Beenden wir den Exkurs und kehren zurück zu Pottersfeld. Er kommt nach Wien und kauft sich das Schachbuch ‚Benoni – Schlachten auf dem Damenflügel‘, wird hypernervös, verliert zum ersten Mal seit Längerem wieder Spiele, bekommt diese Geheimdienstkugel in den Hintern und stirbt daran. Klaus, du bist dran.“
„Der Gerichtsmediziner hat seinen Bericht ohne Befund abgeschlossen, auch der Einstich, wo der Großvater meiner Kinder in seiner nächtlichen Aktion dieses Giftding herausgeholt hat, ist nicht dokumentiert. Es gibt natürlich die Sachen, die er bei sich getragen hat und jene aus dem Hotelzimmer. In einer Jackentasche haben die Kollegen eine Quittung über den Kauf des Schachbuches gefunden, das Christian so fasziniert. Das Buch selbst ist nicht unter den Beweismitteln. Hat er es weggeworfen, weil es so schlecht war? Oder verloren? Hängt es mit dem Fall zusammen? Wir wissen es nicht. Irene Kupfer ist einige Tage nach Pottersfeld angereist. Als sie dann untergetaucht ist, hat sie vorher noch gepackt, es waren keine Sachen von ihr im Hotelzimmer. Damit sind wir bei Nyokos Teil.“
„Kupfer verschwindet nach dem Anschlag auf Pottersfeld. Sie bringt an einem unbekannten Ort Friedrich zur Welt. Als die Krankenschwester Stephanie Kleindienst den Buben in einem Wäschelager der Rudolfstiftung findet, ist er wenige Stunden alt. Ich gehe aufgrund des zeitlichen Ablaufs davon aus, dass sie den Buben nicht zufällig findet, sondern in die Sache verwickelt ist. Seine Babywäsche war ein westliches Fabrikat, nicht aus der DDR. Kleindienst wird wenige Wochen später als Geisel bei einem Banküberfall erschossen. Der Fall ist ungeklärt.“
Nyoko übergab mit einem Augenzwinkern an Klaus. „Es waren zwei Schüsse, zuerst ein nicht tödlicher in die Brust und dann die gezielte Hinrichtung mit einem Kopfschuss aus kurzer Distanz. Die Waffe war eine Heckler & Koch MP5. Es wurden keine vergleichbaren Überfälle in dieser Zeit verübt. Die Kamerabilder und die Zeugenaussagen lassen den Schluss zu, dass der Banküberfall nur inszeniert worden ist, um das wahre Motiv für die Tötung von Kleindienst zu verschleiern.“
Nun war Johann an der Reihe. „Wir springen in das Jahr 1996. Die Wiederaufnahme des Pottersfeld-Falles wird vom Mord an Inge Stockhammer beendet. Sie wird mit einer MP5 erschossen. Die gesamte Kriminalpolizei jagt den Mörder der Frau eines Kollegen und ist erfolgreich. Der Killer wird aber wegen eines Formfehlers aus der Untersuchungshaft entlassen. Einen Tag später werden ihm drei Finger abgeschnitten und er verblutet. Der Täter wird nicht gefasst, in diesem Fall ist die Polizei nicht sehr motiviert. Es gibt sogar Gerüchte, dass es ein Kollege war,