Weil sie eine schlechte Mutter ist .... Sheila Catz

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Название Weil sie eine schlechte Mutter ist ...
Автор произведения Sheila Catz
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347184718



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wenn nicht, wenn nicht? Die Gedankenmühle drehte in ihrem Kopf. Ich habe mich versündigt, warum würde ich wohl sonst so bestraft werden. Keiner in meiner Familie hat so etwas, alle sind sie gesund. Ich bin doch erst 20, soll ich jetzt schon sterben?

      Jetzt drang die Stimme der Oberin zu ihr durch.

      »Anna, du musst dein Schicksal, diese Prüfung, in Demut annehmen. Wir werden deiner Familie einen Brief schreiben.«

      Der Beichtvater blickte ihr jetzt direkt ins Gesicht, er wollte ihre Aufmerksamkeit haben.

      »Anna, du kannst heute noch beichten, bevor du fährst. Du hast bestimmt nachher noch Fragen.«

      Fragen dachte Anna, ich brauche Trost, ich brauche Mitgefühl, wer kann mich hier verstehen?

      Sie ging in die Kirche, setzte sich schwerfällig in die Bank. Du musst knien, sagte ihre innere Stimme, der Herr Jesus hat am Kreuz gelitten unter Schmerzen, was ist da schon eine TBC?

      Warum werde gerade ich damit gestraft? Du bist zu stolz, zu ungestüm, ordne dich endlich unter. Und wenn ich sterben muss? Wir müssen alle sterben, früher oder später, dann kommst du vielleicht ins Paradies. Anna waren solche Selbstgespräche vertraut, aber gerade heute empfand sie die vertrauten Sätze ohne Inhalt, ohne Gefühl, wie eine gemurmelte Anweisung.

      Das ist alles so ungerecht, ich habe doch nichts verbrochen. Und wo habe ich mich angesteckt, da müssen doch noch mehr krank sein, zu Hause hatte das niemand.

      Dann wurde ihr inneres Klagen durch praktische Gedanken unterbrochen. Du musst jetzt packen, ach verabschieden kann ich mich von den anderen auch nicht, kein Körperkontakt.

      Sie hatte schon jetzt Sehnsucht nach diesem Ort und war noch gar nicht abgereist.

      Plötzlich fehlte ihr die Mutter, die hatte sie schon monatelang nicht mehr gesehen, ganz nach der Ordensregel. Dabei war ihre Mutter eher eine wortkarge Person, lachte nicht oft, es gab auch keine Berührungen. Würde ich, wenn ich Kinder hätte, auch so hart sein?

      Sie zwickte sich schmerzhaft in den Oberschenkel. Lass diese Gedanken, - Kinder, das ist ja die Höhe, du bist Ordensfrau und jetzt so ansteckend, dass keiner dir die Hand geben will. Anna dachte an ihre vier Schwestern, alle waren sie in Stellung, waren versorgt, anscheinend waren sie mit ihrem Leben zufrieden, die älteste hatte schon einen Verlobten.

      Nur ich, ich wollte mein Leben Gott weihen, was wird jetzt aus mir?

      Im katholischen Jungfrauenverein, im dem sie früher Mitglied war, wurde oft über diese Themen gesprochen. Sich rein zu halten z.B. oder wie man ehrbar einen Mann findet. Es gab da auch viele religiöse Veranstaltungen, die Anna sehr gefallen hatten.

      Zuhause wurde das ständige Besuchen von Veranstaltungen eher mit Skepsis gesehen.

      Das Urteil des Vaters: Reine Zeitverschwendung, arbeite lieber.

      Ihre Mutter war zurückhaltender, betrachtete aber die Frömmigkeit von Anna als vorübergehend. Für alle war der Entschluss von Anna, ins Kloster zu gehen, keine große Überraschung.

      Sie hatte dann in dieser Zeit des Noviziats viele Träume, die sie verstörten. Sich Jesus als Braut zu weihen, auf den Erlöser zu warten, sich ihm hingeben, alles ihm zu opfern, all das waren Träume, aus denen sie bestürzt aufwachte. Sie nahm ihr Verlangen in ihrem Geschlecht wahr, ohne genau zu wissen, was da vor sich ging. Einmal hatte sie in der Beichte dies angesprochen, wurde aber sofort unterbrochen mit der Mahnung, dem Satan kein Eingangstor zu bieten.

      Ich muss wohl schlecht und sündig sein und jetzt habe ich die Quittung.

      Das machte Anna immer unzufriedener und barscher.

      Sie hasste das Lachen der anderen, ihre fröhliche Unbeschwertheit, das Singen der Kirchenlieder bei der Arbeit. Das ist doch ein Sakrileg, Kirchenlieder bei der Arbeit zu singen, so dachte sie oft.

      Zuhause bei ihren Schwestern war sie mit deren Unbeschwertheit ganz schlecht zurechtgekommen. Immerzu hatten die zu lachen und zu gickeln, sich kleine Geheimnisse erzählt aus den Gasthöfen, in denen sie arbeiteten.

      »Ach Anna, davon verstehst du nichts, du bist dafür viel zu fromm. Wir können dir nichts erzählen, du gibst das doch gleich an die Mutter weiter.“

      Anna hörte noch mit halbem Ohr beim Einschlafen, wie die Ältere der anderen Schwester erzählte, dass sie im Fremdenzimmer einen vollständig nackten Mann gesehen hatte.

      Sie hätte erschrocken die Tür zugeschlagen und wäre vor dem Gelächter des Mannes über die Treppe geflohen.

      »Ja und dann?«

      »Na, ich habe es der Köchin erzählt und die meinte, ich soll mich nicht so anstellen, das wäre nicht der letzte nackte Mann, den ich sehen würde.«

      Das unterdrückte Kichern und die ausführliche Beschreibung der Genitalien hörte Anna schon nicht mehr, sie schlief tief und fest.

      Und so schlich sich in Annas Herz erst tiefe Abneigung und dann Abscheu vor Fröhlichkeit ein. Hat nicht unser Herr Jesus gelitten, wie kann ich da lachen und leichtsinnig sein?

      2. Generation:

      Betty sprach mit dem Hausarzt

      »Sie haben ein wenig zugenommen, Betty, ich glaube es geht Ihnen besser.«

      »Ja, schon«.

      »Haben Sie immer noch Anfeindungen in der Verwandtschaft?«

      Betty schaute ihn mit abwesendem Blick an.

      »Ja, glauben Sie, die hören damit einfach auf? Ich bin nichts, ich habe kein Geld in die Ehe gebracht, ich bin eine kleine unwichtige Friseuse, in dieser Familie wird sonst nur Geld zu Geld geheiratet. Ich bin nicht energisch genug, ich kann mit diesen lauten Grobheiten in der Familie nicht umgehen, ich schäme mich für deren Benehmen. Überall wollen sie die erste Geige spielen, geben im ganzen Dorf den Ton an - so war es schon immer. Und ich habe jede Nacht Albträume, seitdem ich wieder einigermaßen schlafe.«

      »Was träumen Sie, können Sie sich erinnern?«

      »Ich träume immer den gleichen Traum, nur mit einigen Abweichungen. Ich bin wieder beim Bombenangriff in Bamberg. Es war kurz vor Kriegsende im Februar 1945. Ich wollte einen großen Weidenkorb mit neuen Federbetten am Bahnhof abholen. Das war ein Aussteuer Geschenk meiner Eltern, hart vom Mund abgespart. Ein Fuhrwerk hatte mich und meine jüngere Schwägerin mitgenommen, das war Elly, die war noch ängstlicher als ich.

      Auf dem Heimweg, wir hatten wieder einen Fuhrmann anhalten können, wurden wir auf den Feldern vor der Stadt von Tieffliegern angegriffen, die Sirenen für den Bombenalarm hatten wir schon aus der Stadt gehört.

      Der Fuhrmann schrie, wir sollten uns in die Gräben werfen. Der Graben war nass, schlammig, es roch nach Abfällen. Ich konnte nur an meine Federbetten denken, betete, dass denen nichts passierte. So was Unsinniges in diesem Augenblick.

      Wir überlebten es, die Pferde auch, Gott sei Dank. Es war wie ein Wunder. Die Pferde sind allerdings durchgegangen. Das war wohl ihr Glück. Das Ziel hatte sich für diese Lumpen da oben nicht mehr gelohnt. Zivilisten anzugreifen, das war deren Masche.

      Das träume ich immer wieder.«

      Betty spürte jetzt wieder den Krampf in der Brust, sie schmeckte wieder das faulige Wasser im Graben wie damals.

      »Betty, das waren schlimme Erfahrungen, das haut auch gestandene Männer aus den Stiefeln. Sprechen Sie manchmal mit jemandem darüber?«

      »Ich möchte gern mit Elly, aber die schreit auf und läuft dann weg, sie will nichts davon hören.«

      »Betty, schreiben Sie ihre Erinnerungen auf, das hilft ein bisschen, glauben Sie mir. Haben Sie Freundinnen, Gleichgesinnte?«

      »Ach, das wird nicht gern gesehen. Eine verheiratete Frau braucht keine Freundin. Mit Leni spreche ich oft, die hat auch viele schlimme Erfahrungen auf der Flucht gemacht. Manchmal weinen wir ein bisschen zusammen. Und dann lachen wir wieder, weil wir uns so albern finden.«

      »Können