Weil sie eine schlechte Mutter ist .... Sheila Catz

Читать онлайн.
Название Weil sie eine schlechte Mutter ist ...
Автор произведения Sheila Catz
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347184718



Скачать книгу

auftauchte.

      Jetzt war sie in ihre Gedanken eingesponnen, sie hörte die Stimme des Therapeuten nur wie von ferne. Auf die mehrmals wiederholte Frage reagierte sie endlich.

      »Gibt es denn noch andere Themen, die sie belasten?«

      »Na ja, - die gesellschaftlichen Pflichten. Früher waren das Kindergarten und Schulveranstaltungen, oder berufliche Fortbildungen mit viel small talk und öden Gesprächspartnern, die sind Gott sei Dank vom Tisch. Aber jetzt sind es Essenseinladungen, auch Verwandtschaftsbesuche.

      Ich bin überall fremd, ich fühle mich nicht verstanden, die anderen spüren das auch und lehnen mich ab. Ich habe keine Lust, endlose Berichte über die Kreuzfahrten anderer Leute zu hören oder Videos von Mutter vor und hinter der Kirche anzuschauen.

      Es interessiert mich nicht die Bohne, wie viel beste Freundinnen wieder zu Besuch waren oder wie viele hohe Geburtstage anstehen.

      Das ist für mich Zeitverschwendung, ich fürchte, die anderen spüren meine Einstellung, auch wenn ich das nie sagen würde. Wenn ein Gespräch interessant wird, über Politik oder Wissenschaft oder über meine ornithologischen Interessen, dann wird das viel zu oft von absoluten Banalitäten unterbrochen, eben meistens von Frauen, die sich offensichtlich dabei auch langweilen. Am schlimmsten sind die Gespräche über die neuesten Arztbesuche und Befunde, die jeweiligen Krankheiten oder wie schwer es die anderen haben.

      Mir fehlt es eben an Interesse und wohl auch an Mitgefühl, das ist alles schon beruflich aufgebraucht worden.«

      Mary hatte jetzt hochrote Wangen, sie hatte sehr schnell und lebhaft gesprochen, ohne die übliche Vorsicht. Sie konnte in ihrem Gegenüber ein mildes Interesse erkennen. Schon bereute sie, so viel preisgegeben zu haben, die Quittung würde ihr sicher bald präsentiert werden.

      Ich bin wie ein seltenes Tier im Zoo, ging es Mary durch den Kopf, es schaut erstaunt auf die Besucher und die Besucher staunen zurück.

      »Haben Sie sich denn schon immer so ausgeschlossen gefühlt?« »Ja, schon seit der Kinderzeit.

      Mein Vater hatte immer Angst vor Entführungen, wir bekamen viele Drohbriefe, vor allem nach einem tödlichen Unfall eines Kindes, den einer unserer Fahrer verursacht hatte.

      Meine ältere Schwester kam mit zwölf ins Internat und ich wurde zur Schule gebracht und abgeholt. Damit wurde ich isoliert und es gab natürlich Neid. Wer wurde denn damals schon mit dem Auto gebracht, oder welche Eltern fuhren dreimal im Jahr in Urlaub? Niemand sonst hatte zuhause eine Köchin oder ein Kindermädchen. Wenn ich wirklich mal zu Fuß unterwegs war zur Schule, dann wurde ich regelmäßig verprügelt von den Jungs aus der Klasse. Einmal hätte ich fast mein rechtes Auge verloren, ich bekam einen Schneeball mit einem Stein drin direkt aufs Auge. Ich konnte vier Wochen lang auf dem Auge nichts sehen, ich musste in der Uniklinik behandelt werden. Da kam auch dann… heute würde man sagen… das Mobbing zutage.

      Dieses Auge ist auch jetzt noch immer ein Thema. Vor zig Jahren hatte ich im Labor einen Unfall mit einem Instrument direkt ins Auge und jetzt der Augeninfarkt.«

      Jetzt rede ich doch auch nur von Krankheiten, dachte Mary, ich bin auch nicht besser.

      Aber kann ich meine Krankheiten einfach wegdrücken im Gespräch? Sie gehören zu mir, sie haben mir viel abverlangt an Zeit und Wissensforschung und starker Selbstbeherrschung. Mary war jetzt in Fahrt, sie redete hastig und ohne lang nachzudenken.

      »Und dann konnte ich natürlich mit meinem Wissen, was ich da gelesen und gehört hatte, nicht den Mund halten, ich hielt anderen lange Monologe schon als Schulkind - über die Zonengrenze, oder die Kommunisten, alles Wissen natürlich von zuhause und aus Büchern. Das kam auch bei Lehrern und Mitschülern nicht gut an.

      Ich habe als Kind und Jugendliche Wissen wie ein Schwamm aufgesaugt, ich war nachmittags stundenlang nicht auffindbar, immer versteckt mit einem Buch auf den Knien. Zuhause wurde das natürlich als Drückebergerei von den Pflichten gesehen. Aus heutiger Sicht war das für mich Flucht aus der Wirklichkeit.«

      »Möchten Sie denn von den anderen verstanden werden?« »Nein, das wäre jetzt für mich eine Last.«

      »Respektiert ja, das wäre schön. Ich brauche Abstand, Distanz verstehen Sie?«

      Der Therapeut schaut sie lange und sehr nachdenklich an, Mary wurde es ganz heiß im Gesicht. Schon wieder meine Arroganz, mein Stolz oder was auch immer, das war schon im Kloster so.

      »Schreiben Sie doch bis zum nächsten Mal die Gelegenheiten auf, bei denen Sie sich verstanden fühlten, abgesehen von Ihrem Mann.«

      Dieser Auftrag beschäftigte sie auf dem Heimweg mehr, als sie selbst zugeben wollte.

      Wo fühle ich mich eigentlich wohl? Im Wald, im Park, im Garten, wenn ich den Vogelstimmen lausche. Sie wurde nie müde, die Arten zu bestimmen. Sie beobachtete Spatzen in der flimmernden Hitze, die ein Sandbad nahmen, aufgeregt tschilpend.

      Wo ich mich verstanden fühle? Das ist nicht an eine Person gebunden, dachte sie. Es sind Bücher, die in mir etwas berühren, anklingen lassen. Es sind die Erfahrungen, die ich mit den jeweiligen Autoren teile, eine Art Seelenverwandtschaft.

      Sie setzte sich auf eine Parkbank, als sie ein rotbraunes Eichhörnchen entdeckte, das war wohl auf der Suche nach Eiern aus den Vogelnestern und huschte von einem Holundergebüsch zu großen Stauden. Heiseres Hundegebell verscheuchte das Eichhörnchen, Mary stand auf und ging mit schnellen Schritten, obwohl ihre Beine schmerzten, nach Hause.

      1. Generation:

      Anna sprach mit der Oberin und dem Beichtvater

      Anna saß zusammengesunken da, die Augen auf den Boden gerichtet, als erwartete sie ein Urteil. Und wahrscheinlich ist es eins, fuhr es ihr durch den Kopf. Der Doktor hat mich so merkwürdig angeschaut, auch seine Schwesternhelferin, so bedeutungsvoll. Und die Novizenmeisterin hatte da noch strenger gewirkt als sonst.

      »Anna wir haben jetzt die Untersuchungsergebnisse vom Krankenhaus, von den Aufnahmen, die der Doktor dort eingereicht hat.«

      Es entstand eine Pause, sie hörte Stuhlrücken auf dem Steinboden, es war sehr kalt im Besprechungsraum, trotz der Sommertemperaturen draußen.

      Jetzt kam die Stimme der Oberin, tonlos mit schleppender Stimme.

      »Anna du hast eine ernste Erkrankung. Du kannst nicht im Kloster bleiben, diese Krankheit ist sehr ansteckend.«

      Durch das offene Fenster drang das Klappern einer Grasschere. Annas Kopf war plötzlich ganz leer, sie konnte sich kaum rühren, es war, als würde sie sich unter Wasser bewegen. Ein erstickender Hustenanfall schüttelte sie, sie bekam kaum Luft.

      Als sie sprechen wollte, merkte sie, dass sie nur unter Mühen ihre Stimme unter Kontrolle hatte. »Was habe ich denn?«

      »Tuberkulose. Genauer gesagt, Lungentuberkulose. Wie lange schon, weiß man nicht. Du musst das Kloster sofort verlassen, du darfst auch ab jetzt nicht mehr in die Küche.«

      »Wo soll ich denn hin?«

      Sie schrie es fast, mit hoher Diskantstimme.

      »Anna, wir haben Krieg wie du weißt. Es wird nicht leicht werden, dich gut unterzubringen.«

      Anna hatte natürlich die Rationierungen miterlebt, auch das Kloster blieb davon nicht verschont. Die Reisebeschränkungen hatten sie bisher kaum interessiert, sie hatte ja hier im Kloster ihren Platz. Hier gab es auch eine kleine Abteilung für verwundete Soldaten, die wurden nach der ersten Versorgung gesund gepflegt. Aber von diesen Gebäudeteilen hielt sich Anna fern, sie wollte die Amputierten und die Blinden gar nicht sehen, die jagten ihr Angst ein. Einmal hatte sie ein Blinder angesprochen, er bat sie, zum Verwundeten Trakt geführt zu werden. Anna tat es, aber mit wachsender Panik, sie wollte keinen fremden Mann berühren.

      Die Stimme der Oberin klang jetzt ganz sachlich:

      »Wir sorgen für dich. Du fährst noch heute Abend mit dem Nachtzug in die Schweiz, du weißt doch, wir haben da ein Ordenshaus, ziemlich hoch gelegen auf 1200 Metern. Dort kommst du in die Obhut eines