Spuren intelligenten Lebens. Len Mette

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Название Spuren intelligenten Lebens
Автор произведения Len Mette
Жанр Юмористические стихи
Серия
Издательство Юмористические стихи
Год выпуска 0
isbn 9783967130072



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Also tatsächlich alles wie beim Thailand-Urlaub. Als hätten sie ein von Anfang an eingebautes GPS und eine Mission, für die sie geboren wurden. Also die Falter. Faszinierend.

      Die meisten von euch wissen es nicht, aber auch der Mensch kennt, abseits vom Thailandurlaub, Verhaltensmuster, die wie genetisch verankert in vielen von uns schlummern. Über Generationen hinweg gehen wir, wie programmiert, denselben triebhaft wirkenden Aktivitäten nach. Ein Beispiel: Der Gartenmöbelangebotstag bei Aldi. Wer kennt ihn nicht?

      Auch ich als Eigenheimbesitzer kann mich diesem genetischen Programm das eine oder andere Mal nicht entziehen. So auch an jenem Feiertag der Konsumgüterhochkultur, als ich, noch früh am Morgen, das Allerheiligste des mitteleuropäischen Mittelstandspießers erspähe: Das alljährliche Sonnenschirmsonderangebot im Aldi-Prospekt! Genauer gesagt ist es ein recht hochwertig anmutender Ampelschirm in der Fassadenfarbe meines Hauses – zum unschlagbaren Preis von gerade einmal 49€.

      Bumms! Das Genetik-Programm ist gestartet. Dieser Preis. Grund genug, ach was, er zwingt mich auf magische Weise dazu, zu Geschäftsstart des hiesigen Aldi-Markts vor Ort zu sein, um auf jeden Fall ein Exemplar dieses Schirms ergattern zu können. Ganz so, wie es vermutlich schon mein Vater, Großvater und die Urväter meiner Population getan haben mögen!

      Machte ich mich als Heranwachsender noch lustig über dieses Verhalten, WILL die Natur nun augenscheinlich, dass ich es an die Nachfolgegenerationen weitergebe. Ich bin also willenlos, kann nicht anders. Ich bin ein Falter inmitten von vielen, um meiner Bestimmung zu folgen. Ich hecke eine Taktik aus, springe kurz nach Sonnenaufgang in die Hose und fliege los gen Aldi!

      Natürlich bin ich mit dieser Taktik nicht allein. Gegen 7:45 Uhr tummeln sich schon etwa zwanzig Menschen vor der Eingangstür des Marktes meiner Wahl, bewaffnet mit der Streitaxt, ja, dem Panzer des kleinen Mannes: Dem Einkaufswagen. Alle stehen sie dort mit einem Ich-bin-die-Ruhe-Selbst- oder Ich-bin-absolut-Cool-Gesichtsausdruck. Das ist Taktik.

      Niemand ist cool. Sie wollen alle Beute machen und schrecken insgeheim nicht einmal vor Blut zurück. Ich weiß das und sie wissen es auch. Aber sie tun cool und zivilisiert, schauen taktisch meditativ ins Leere. Es ist dieser Blick, der ihnen immer nur dann entgleist, wenn irgendwer Anstalten macht, sich eben nicht hinten, sondern seitlich in der Schlange vor der noch geschlossenen Supermarkttür einzureihen. In diesem Moment klappern sie jeweils drohend mit ihren Panzern und rücken noch näher zur Tür, um dem unseligen Konsum-Terroristen von der Seite keine Lücke zum Vordrängeln zu bieten. Ihre Gesichter entspannen sich erst dann, wenn sich der vermeintliche Angreifer doch noch ans Ende der Schlange stellt.

      Zehn Minuten später: Die Sache sieht jetzt schon etwas anders aus. Inzwischen stehen etwa 50 bis 60 absolut gelassene Gesichter vor dem Markt. Jedoch verformt sich die Warteschlange langsam und unkontrolliert zu einer Traube, was den ursprünglichen Kopf der Schlange, also diejenigen die sich die Nasen seit geraumer Zeit an der Tür plattdrücken, zur Weißglut bringt. Sie versuchen, sich das nicht anmerken zu lassen, aber man kann das Adrenalin in der Luft förmlich riechen. Ich fühle, dass der ein oder andere nun seinen Konsumpanzer in Stellung bringen wird, um auf die Menge zu feuern.

      Ich zähle laut: »Drei, zwei, eins, Feuer!«

      Während man sich vor mir umdreht und sich fragt, warum irgendein Nichtsnutz, mitten in der Traube, rückwärts zählt, bricht am Kopf der Schlange wie auf Kommando die Ich-war-zuerst-da-Schlacht los. Erwachsene, zumeist altersentsprechend vermutlich weise Leute, schimpfen wie Kindergartenkinder und Politiker, um ihre Position im Rudel zu verteidigen.

      Mich amüsiert das mächtig. Nicht etwa, weil ich Spaß an der Konfrontation hätte. Nein, nein, es ist viel subtiler, denn alle im Gefecht verwickelten Kämpfer sind mit Panzern ausgestattet, ich aber nicht. Das macht sie schwerfällig, während ich, mit bloßen Turnschuhen gerüstet, flink wie ein Wiesel, um sie herumtanzen könnte.

      »Einen Schirm werde ich auch noch so tragen können und dadurch wendiger sein«, hatte ich zuvor, in einem abgedunkelten und abhörsicheren Raum, während meiner taktischen Planungen für diesen Morgen, erdacht.

      Diese akribische Einsatzplanung wird sich jetzt auszahlen. Ich muss mich also lediglich still verhalten, im richtigen Moment, flink, aber mit gemächlicher Außenwirkung an der streitenden Meute vorbeispazieren, mir meinen Schirm nehmen und ebenso elegant wieder verschwinden.

      So der Plan.

      Es ist der Plan, den schon die Urahnen meiner Familie nachgingen. Es ist der Plan meiner Gene. Es ist meine Vorsehung! Die Rechnung meiner Urahnen geht sogleich auf, denn während die Panzer rasseln und ihre Kommandeure sich noch bekriegen, öffnet sich pünktlich um acht Uhr die Pforte des Marktes.

      »Jetzt ist er da, der Moment meiner Vorsehung!«, drängt es in mein Bewusstsein!

      Während die Ellenbogen fliegen, spaziere ich friedfertig, wie Ghandi durch die sich auftuenden Lücken zwischen den kämpfenden Artgenossen, schnurstracks in den Aldimarkt, suche die Ware meines Begehrs und schnappe mir einen Schirm.

      »Zeit zur Kasse zu spazieren«, denke ich noch triumphierend und es kommt der Moment, der so nicht geplant war: Die Meute hat in der Zwischenzeit erkannt, dass sie ihr Krieg von der Beute abhält. Sie haben sich eiligst entknotet und den Laden gestürmt. Vor mir taucht eine Wand aus wildgewordenen, mit Gehhilfen um sich schlagenden Rentnern auf, die sich nun auf Gartenstühle und Sonnenschirme stürzt.

      Wer braucht schon Wunderheiler, wenn er Aldi hat? Der hilfsbedürftige Senioren-Teil unserer Gesellschaft vollbringt vor meinen Augen olympische Höchstleistungen: Gewichtheben, Weitsprung, Boxen. Die haben alle Chancen, mal wieder ordentlich sportliches Gold nach Deutschland zu holen, wenn man ihnen nur ein Sonderangebot in Aussicht stellt! Das ist vielleicht die rettende Idee für unser angeschlagenes Gesundheits- und Pflegesystem! Wir haben keinen Pflegenotstand, uns fehlen schlicht die richtigen Sonderangebote ... Und ganz nebenbei steuern die Individuen dieser Seniorenarmee sogar noch ihre Konsum-Panzer!

      »Gelernt ist eben gelernt«, geht mir noch amüsiert durch den Kopf, während mich der Prothesen-Tsunami überrollt. Da stehe ich also mit meinem Schirm und werde von den Wogen der Konsumgesellschaft hin und her geschoben. Eine Kriegsherrin ergreift meinen Schirm, um ihn zur Lanze umzufunktionieren und mich gewaltsam wegzuschieben.

      Moment mal ... Greift mich da etwa jemand an? Im Aldi? Wegen eines Gartenartikels? So nicht! Nun ist Schluss mit pazifistisch! Ghandi war gestern, jetzt mache ich mit.

      Ich stelle meinen Schirm ab, ziehe mir die eben noch so mutige Kriegsherrin an Lanze und Kragen heran, schaue ihr tief in die fragenden Augen und sage leise:

      »Ich bin genau die Sorte Mensch, vor denen dich deine Eltern immer gewarnt haben. Du benimmst dich hier wie eine offene Hose, weil du geil auf nen Gartenstuhl bist? Auch das hätten sich deine Eltern so sicherlich nicht vorgestellt. Du hast jetzt genau diese eine Möglichkeit, noch einmal über dich nachzudenken und wortlos aus meinem Tanzbereich zu verschwinden, bevor mein Schirm wundersam in dir verschwindet!«

      Habe ich das gerade wirklich gesagt? Mich auf das Niveau der Meute begeben? Ich habe! Noch bevor ich Zeit habe, darüber nachzudenken, dass ich selbst zum Tier geworden bin, verschwindet die Kriegsherrin so flink, wie wortlos in der Menge. Mehr noch: Scheinbar hat der eine oder andere die Szene bemerkt, sodass ich freies Geleit durch eine schmale Gasse aus der Menschentraube heraus bekomme, nachdem ich freundlich lächelnd meine Jacke gerichtet habe. Den Schirm hat in der Zwischenzeit ebenfalls niemand angerührt, sodass ich auch ihn in aller Seelenruhe mitnehme, um bald darauf als erster Kunde des Tages an der Kasse zu stehen. Ein bisschen fühle ich mich wie einer dieser Kriegsherren aus einer Mittelalterserie, der mit Bärenfell und Schwert auf dem Rücken die Szenerie betritt, während das Volk eine Gasse für ihn bildet ...

      Ich rate der Kassiererin noch freundlich, sich nicht provozieren zu lassen, denn die Meute dort hinten sei unberechenbar. Sie dankt mir freundlich, teilt mir aber mit, dass das der ganz normale Wahnsinn sei.

      »Armes Deutschland«, denke ich, verstaue meinen Schirm im Auto und fahre heim.

      Hey, ihr respektgierigen Wiederaufbauer Deutschlands da draußen: Ihr seid´s, die sich über angetrunkene Jugendliche