Mary und das Geheimnis der Kristallpaläste. Elfriede Jahn

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Название Mary und das Geheimnis der Kristallpaläste
Автор произведения Elfriede Jahn
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783951981307



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ihre Tickets, die Pässe und Wechselgeld, half ihnen beim Einchecken – er war ständig an ihrer Seite. Schweigend warteten sie in der Halle, bis ihr Flug aufgerufen wurde. Immer wieder zählte Doff seine vier Nylonsäcke, die mit Süßigkeiten gefüllt waren. Mary, Larry und Troy trugen kleine Täsch-chen, die sie um die Hüften geschnallt hatten, was wirklich cool aussah, wie Doff neidisch feststellte. Jetzt ärgerte er sich darüber, dass er seine eigene Hüfttasche im Rucksack vergraben hatte. In der Maschine nahmen sie ihre Plätze ein. Mary hatte den Platz am Fenster, neben ihr saß Troy, dann kam Larry und Doff saß am Gang.

      „Es ist so weit“, sagte Larry erstaunlich ruhig, als ihr Flugzeug auf die Startbahn rollte; wie Mary und Doff flog auch er zum ersten Mal.

      Unter ihnen wurde das Lichtermeer von London kleiner und kleiner. Mary sah auf die langsam entschwindende Stadt, über der ein riesiger, voller Mond hing. Sie war aufgeregt und wehmütig zugleich. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie unterwegs sein würden und ob sie ihre Großmutter jemals wiedersehen würde. Troy nahm kurz ihre Hand und drückte sie beruhigend, und als Mary in seine klaren, grünen Augen sah, verlor sich ihre Angst. Zeit, verstand sie plötzlich, war wirklich etwas Relatives. Mary war jedoch zu müde, um darüber nachzudenken, und schloss die Augen. Noch konnte sie es kaum glauben, aber ihr großes Abenteuer hatte tatsächlich schon begonnen!

      Einige Zeit später wurde Mary von merkwürdigen Geräuschen aus dem Schlaf gerissen. Sie rieb sich die Augen und sah sich um. Scheinbar gab es leichte Turbulenzen, denn das Flugzeug schwankte ein wenig hin und her. Sofort gingen die roten Signallleuchten an, die die Passagiere dazu aufforderten, Platz zu nehmen, sich anzuschnallen und ihren Sitz in die aufrechte Position zu bringen. Ohne sich Gedanken zu machen, folgte Mary dieser Anweisung. Sie schaute zu Troy hinüber und stellte fest, dass er aus dem Fenster in die Dunkelheit sah, als ob er etwas suchen würde.

      „Beunruhigt dich etwas?“, wollte sie wissen.

      Troy antwortet zuerst nicht. Er schien zu konzentriert zu sein ... nach einigen Sekunden reagierte er auf Marys Frage: „Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen!“

      Kaum hatte Troy den Satz zu Ende gesprochen, begann das Flugzeug heftig zu wackeln und von draußen war ein Rauschen zu hören, das immer lauter wurde. Einige Passagiere wurden unruhig und Doff und Larry wirkten inzwischen sichtlich nervös.

      „Oh mein Gott, wir werden abstürzen! Ich bin zu jung, um zu sterben“, rief Doff. Er griff nach Larrys Hand und zog seinen Gurt noch ein wenig enger.

      „Reiß dich zusammen!“, fuhr Larry ihn an und zog seine Hand weg. Er wollte es zwar nicht zugeben, aber auch er hatte Angst.

      Mary sah aus dem Fenster und erschrak: War da draußen etwas? Hatte sie da nicht gerade dunkle Schatten an der Außenseite des Flugzeuges gesehen? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass es kein Unwetter war, was diese Turbulenzen verursachte. Troy sah ernst vor sich hin, und Mary wusste, dass sie recht hatte.

      „Was ist da los?“, erkundigte sie sich leise bei Troy.

      „Wo Licht ist, da ist auch Schatten ... Es sind Schattenwesen, sie folgen uns. Du musst wissen, dass es auch Mächte gibt zwischen Himmel und Erde, die unser Vorhaben verhindern wollen. Keine Sorge, sie können uns im Augenblick nichts anhaben!“ Troy lächelte Mary an, um sie zu beruhigen.

      Mary richtete ihren Blick wieder in die Dunkelheit; sie versuchte, mehr zu erkennen. Ihr war so, als wären da draußen große schwarze Körper mit Flügeln unterwegs. Sie musste an Fledermäuse denken, doch das, was sie zu erkennen glaubte, war größer. Zum ersten Mal wurde Mary wirklich bewusst, dass auf dieser Reise auch Gefahren lauern würden. Es gab Mächte, die sie an der Erfüllung ihrer Aufgabe hindern wollten. Doch erstaunlicherweise spürte sie keine Angst: Sie würde sich allem stellen und außerdem hatte sie Troy an ihrer Seite und natürlich auch Larry und Doff. Kurz darauf wurde es wieder ruhiger, die Turbulenzen hatten nachgelassen und das Flugzeug nahm weiter Kurs auf Pakistan. Die dunklen Wesen waren verschwunden und der Nachthimmel war wieder ganz klar. Mary lehnte sich in ihren Sitz zurück und ließ sich von den Sternen ihren Weg in den Schlaf leuchten.

      In der Fremde

      Einige Stunden später landeten sie in Islamabad. Mary hatte im Anflug auf Pakistans Hauptstadt einen Blick auf das fruchtbare Industal und die ersten Ausläufer des Himalaja-Gebirges werfen können. „Dort liegt das Dach der Welt“, hatte sie ehrfürchtig gedacht, wobei sie sich winzig vorkam.

      Mary und Doff konnten es nicht fassen, dass sie sich plötzlich in einem fremden Land befanden, und Larry schien vollends weggetreten zu sein. In der Ankunftshalle summte es wie in einem Bienenstock. Die drei folgten Troy, um den es stets eine kleine Insel der Ruhe zu geben schien, wie in Trance durch das Gerangel und Gedränge zur Gepäckausgabe und sammelten dort rasch ihre Rucksäcke ein. Danach passierten sie ohne Probleme die Passund Zollkontrolle und verließen erleichtert den Flughafen. Doff schwenkte euphorisch seine Fahne in den Landesfarben, die er zu Hause selbst aus Segeltuch angefertigt hatte. Ein Zeichen der Verbundenheit mit dem Land und dessen Bevölkerung, das die nachdrängenden Menschen gutmütig zur Kenntnis nahmen, während sie das ungleiche Paar, den dünnen, langen Larry und den kleinen, dicken Doff bestaunten.

      Sie nahmen ein Taxi, dessen Fahrer – ein kleiner, untersetzter Mann mit einem prächtigen schwarzen Bart – sofort einen Schwall unverständlicher Wörter auf sie losließ. Zu ihrer Überraschung unterhielt Troy sich mit ihm in der Landessprache, was Mary, Larry und Doff ein Gefühl der Sicherheit gab. Ein zäher Verkehrsstrom ergoss sich über ein weitläufiges Straßennetz. Sie fuhren an Grünflächen mit modernen Wohnhäusern und an einem See vorüber und tauchten in Straßenschluchten mit Wolkenkratzern und Bürogebäuden ein.

      „Ist das zu fassen?!“, rief Doff enttäuscht. „Hier sieht es ja genauso aus wie in London!“

      Larry schien plötzlich aus seiner Starre zu erwachen.

      „Wo sind wir?“, fragte er dermaßen erstaunt, dass Mary hell auflachte.

      Dann schien sich Larry, der beinah den ganzen Flug verschlafen hatte, zu erinnern. Plötzlich ganz der Alte, holte er tief Luft, und Mary, die Schlimmes ahnte, kicherte in sich hinein. Da ging es auch schon los: „Islamabad ist eine planmäßig angelegte Stadt am Nordrand des Potwar-Plateaus. Berühmt ist diese Stadt für ihre prächtigen Moscheen und Paläste und ihre vielen Gärten.“

      Doff verdrehte die Augen, doch Larry war noch nicht fertig.

      „Das Potwar-Plateau wird im Norden von den Bergketten des Himalaja begrenzt und im Westen von Indus.“

      „Das reicht!“, maulte Doff, während Mary dachte, dass ein beinah fotografisches Gedächtnis nicht immer ein Segen sei. Und wie üblich, setzte Larry noch eins drauf: „Die Landessprache ist Pandschabi, das auch in Nordindien gesprochen wird.“

      „Danke für den Unterricht, Larry“, schaltete Troy sich lachend ein. „Vielleicht sollte ich hinzufügen, dass wir uns in Südasien befinden, im ehemaligen Gebiet West-Pakistan im Nordwesten des indischen Subkontinents. Außer an Indien im Osten und Südosten grenzt Pakistan im Nordosten an China, im Nordwes -ten an Afghanistan beziehungsweise den Iran und im Süden an das Arabische Meer.“

      „Wo müssen wir hin?“, erkundigte sich Mary.

      „In den Norden“, antwortete Troy. „Genauer gesagt in den westlichen Pandschab.“

      „Nicht ins Industal?“, fragte Mary enttäuscht.

      „Doch“, antwortete Troy. „Rawalpindi ist unser Ausgangspunkt.“

      Mary dachte an einen wunderbar weichen Pullover ihrer Mutter und erkundigte sich: „Kommt da die Kaschmirwolle her?“

      „Ja“, bestätigte Troy, „sie stammt von den berühmten Kaschmirziegen.“

      Eine Weile schwiegen alle. Sie fuhren gerade durch eine belebte Geschäftsstraße, der Verkehr kam beinah zum Erliegen, und ein heftiges Hupkonzert setzte ein. Abgesehen von den vielen, für sie fremdländisch wirkenden Passanten, schien Islamabad eine moderne Großstadt wie jede andere zu sein. Vielleicht hupte man hier öfter, aber der Lärm und der Gestank waren der Gleiche. Außerdem