Gin - Alles über Spirituosen mit Wacholder. Karsten Sgominsky

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Название Gin - Alles über Spirituosen mit Wacholder
Автор произведения Karsten Sgominsky
Жанр Кулинария
Серия
Издательство Кулинария
Год выпуска 0
isbn 9783905834406



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ein ganz neues Geschmacksbild ergab. Das brachte über die folgenden Jahrzehnte den uns heute bestens bekannten «London Dry Gin»-Stil hervor. Der Name ist schnell erklärt: «London», weil der Großteil der Gin-Hersteller in ­London seinen Produktionsstandort hatte; «Dry» nicht etwa, weil er «trocken» wäre, sondern weil er ohne die Zugabe von Zucker hergestellt wird, im Gegensatz zum ­gesüßten «Old Tom Gin».

      Die Bezeichnung «London Dry Gin» wurde daher anfangs oftmals noch mit erklärenden Zusätzen wie «unsweetened» (ungesüßt) ver­sehen, da der normale Konsument nichts mit der Bedeutung von «Dry» anfangen konnte.

      Etwa zeitgleich mit Coffeys revolutionärem Brennapparat entstanden in London die ersten Trinkhallen unter der Bezeichnung «Gin Palace». Es waren von außen und innen aufwendig dekorierte, außergewöhnlich ­geschmackvoll eingerichtete und mit Stuck verzierte Großraumbars, die sogar Gaslampen als Beleuchtung zu bieten hatten und in denen aus geschliffenen Gläsern getrunken wurde. Charles Dickens beschreibt in «Sketches by Boz» (1836) einen solchen «Gin Palace» in der Drury Lane mit einem aufmerksamen Auge fürs Detail und ist sichtlich beeindruckt, denn er resümiert: «Das Gebäude […] ist einfach umwerfend, wenn man es im Kontrast mit der Düsterkeit und dem Dreck sieht, der gerade hinter uns liegt.»

      Ebenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand über dem großen Teich in den USA der Begriff «Cocktail» (erstmals 1806 in der New Yorker Zeitung «The Balance and Columbian Repository» erwähnt und erläutert), der sich über die kommenden Jahrzehnte als Sammel­begriff für Mixturen von Gesellschaftsgetränken durchsetzte. Gleich­zeitig entwickelte sich der Berufsstand «Bartender», denn es wurden stets neue Mixgetränke kreiert, die großen Anklang fanden. Große ­Namen wie Jerry Thomas, Harry Johnson und George J. Kappeler ­leisteten Pionierarbeit in einem weltweit neuen Genre namens «Barkultur». ­Diese meisterhaften Bartender brachten die ersten Bücher mit ­Cocktailrezepturen und Anleitungen für den Barmann heraus, wie z. B. «Bar-Tenders Guide – How To Mix Drinks» (1862), «Bartenders’ ­Manual» (1882) und «Modern American Drinks» (1895). Dieser Trend wurde auch in London aufgegriffen, obschon in kleinerem Stil. Die erste richtige American Cocktail Bar wurde um 1874 am Piccadilly Circus eröffnet, «The Criterion». Deren erster Barkeeper Leo Engel ließ es sich auch nicht nehmen, selbst ein Barbuch unter dem Titel «American & other Drinks» (1878) zu verfassen.

      Hier ein kurzes Streiflicht, wie es zu jener Zeit um die koexistierenden Spirituosen Genever und Gin stand. Obwohl in England die Verbrauchssteuer für ins Ausland exportierten Gin schon seit 1850 aufgehoben war, lief der London Dry Gin im internationalem Maßstab noch seinem Konkurrenten Genever hinterher. Holland exportierte in den 1870ern jährlich über 50.000 Hektoliter Genever. Das Schiedamer Jahrbuch von 1878 vermeldet sage und schreibe 341 Brennereien und 64 Mälzereien in der Stadt. Die USA importierten 1880 sechsmal soviel Genever wie Gin.

      Doch plötzlich kam es in Holland zur Krise. Zu viele Betriebe rangen um schwindende Absatzmärkte, da immer mehr holländische Kolonien wegfielen und Dry Gin immer stärker auf den Markt drückte. Ein Viertel aller Hersteller Schiedams ging bis 1884 in Konkurs. Die Industrialisierung zeitigte ebenfalls einen unvorhergesehenen Effekt: Durch modernere Produktionsmethoden, billigere Rohstoffe (wie Melassealkohol) und starke Konkurrenz aus Frankreich in der Hefeherstellung konnten fortschrittlich orientierte Produzenten schneller und kostengünstiger größere Mengen Genever herstellen als mit den traditionellen ­Methoden. Der Zusammenbruch der Malzweinindustrie Schiedams ­wurde 1897 durch die Einführung der Verbrauchssteuer auf Zucker weiter beschleunigt.

      Expandierende Unternehmen wie Beefeater, Tanqueray und Gordon’s füllten mit ihren Gins schnell die entstandene Marktlücke aus, sodass sich um die Jahrhundertwende der Name «London Dry Gin» als fester Begriff für einen ungesüßten Gin in den Köpfen festgesetzt hatte.

      Prohibition und Kriegsjahre

      Der Begriff «Prohibition» ist im deutschsprachigen Raum zum Teil ­besser bekannt unter «Alkoholverbot in Amerika». Die Prohibition war ein Verbot der Herstellung, des Verkaufs, des Transports sowie der Ein- und Ausfuhr von Alkohol, der mehr als 0,5% Vol hat.

      Ziel war es, den sozialen und gesellschaftlichen Problemen wie Trunksucht und Kriminalität entgegenzuwirken bzw. diese zu bekämpfen. US-Präsident Wilson legte gegen die Prohibition zwar sein Veto ein, trotzdem wurde sie 1919 vom Kongress beschlossen und trat 1920 in Kraft.

      Das neue Verbot von Ausschank und Verkauf von Alkohol hatte selbstverständlich massive Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Bars und Clubs gingen als sogenannte «Speak Easy»-Lokale in die Illegalität. Eintritt erhielt man nur auf Empfehlung oder per Losungswort. Der Name «Speak Easy» – zu gut Deutsch «sprich leise» – ist ­darauf zurückzuführen, dass man nur gedämpft oder im Flüsterton miteinander sprechen sollte, um nicht die Aufmerksamkeit von Passanten, Nachbarschaft und Gesetzes­hütern auf sich zu ziehen. Mit Alkohol beliefert und betrieben wurden die Speak Easys von Banden der organisierten Kriminalität. In New York soll es 1922 ca. 5.000 von diesen ­Lokalitäten gegeben haben. Bis 1927 steigerte sich diese Zahl Schätzungen zufolge auf 30.000 – 60.000.

      Dieses Alkoholverbot erreichte sein Ziel in Bezug auf die Trunksucht nur teilweise, schlug aber in Sachen Kriminalität völlig fehl und hatte viel mehr einen umgekehrten Effekt mit fatalen Folgen. Es half nämlich der organisierten Kriminalität, sich strukturell erst richtig durch Schwarzbrennereien und Alkoholschmuggel zu entwickeln. Gangsterbosse wie Al ­Capone in Chicago oder die «Cosa Nostra» (und viel mehr noch die «Kosher Nostra») in New York verdienten Unsummen. Korruption war bei Polizei, Kontrollorganen und in der Politik gang und gäbe. Für private Partys sowie für die Versorgung der Speak Easys mit Gin diente sogenannter «Badewannen-Gin»: Rohalkohol wurde in das ­größte verfügbare Haushaltsgefäß, die Badewanne, gegossen und mit Wacholderessenzen und anderen künstlichen Aromatika versetzt. Aufgrund mangelnder Strukturen und Mittel, später zusätzlich verstärkt durch die amerikanische Wirtschaftskrise ab 1929, war die Prohibition von Anfang an nicht wirksam umsetzbar. Sie wurde nicht umsonst als «The noble experiment» («Das ehrenhafte Experiment») bezeichnet. Im Dezember 1933 wurde unter der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt das Gesetz zur Prohibition wieder aufgehoben, es aber den einzelnen Staaten der USA überlassen, es beizubehalten oder aufzuheben. Bis 1948 war die Prohibition in drei Staaten immer noch gültig.

      Nach Aufhebung des Alkoholverbots ging das Trinken von Alkohol und (Gin-)Cocktails in gewohnter Manier weiter, jetzt aber eben wieder legal und mit qualitativ besseren Spirituosen.

      Als die Prohibitionszeit begann, wurden viele Bartender brotlos und eine baldige Zurücknahme des Verbots war nicht absehbar. Deshalb machten sich nicht wenige von ihnen auf den Weg nach Europa, wo sie offiziell ihrem Beruf nachgehen konnten, und brachten dadurch die Barkultur verstärkt in die Alte Welt. Gin war groß in Mode und in Cocktails sehr gefragt. Doch im Wandel der Zeiten und auf der steten Suche nach Neuem ermattete in England das Interesse an Cocktailpartys schon gegen Ende der 30er-Jahre. An ihre Stelle traten jetzt Sherry-Empfänge. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs fiel für Cocktails gänzlich der Vorhang. Gin wurde nur noch in stark reduzierten Mengen hergestellt. Alle Getreide­kapazitäten waren der organisierten Versorgung der Truppen und Zivilbevölkerung zugeführt worden, denn der Seekrieg verursachte unübersehbare Lücken. Gin gab es nur noch rationiert und unter dem Ladentisch. Cocktails waren ausschließlich noch jenen möglich, die entweder genügend Vorräte hatten oder privilegierten Zugriff auf die Alkoholbestände.

      Über dem Ärmelkanal in den Niederlanden und Belgien sah man hin­gegen eine Wiederholung dessen, was man teils schon aus dem Ersten Weltkrieg kannte: Deutsche Besatzungstruppen beschlagnahmten Destillieran­lagen, um diese einzuschmelzen und der Rüstungsindustrie zuzuführen. Dieses Vorgehen beeinträchtigte zusätzlich die ohnehin schon über die letzten Jahrzehnte rückläufige Genever-Industrie, zumal internationale Absatzmärkte fehlten, denn Exporte waren zu Zeiten des Krieges wohl gänzlich unmöglich.

      So begab es sich, dass ab der Nachkriegszeit Genever ein Produkt von rein regionaler Bedeutung wurde, das Interesse am Old Tom Gin stark zurückgegangen war und die internationale Showbühne ganz dem ­London Dry Gin gehörte.

      Gin-Renaissance

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