Das Fußvolk der "Endlösung". Thomas Sandkühler

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Название Das Fußvolk der "Endlösung"
Автор произведения Thomas Sandkühler
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534746217



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als zuvor am Buggraben.58

      3.Der Krieg gegen die Sowjetunion

      3.1Vernichtungskrieg gegen die Juden

      Spätestens Mitte März 1941 erfuhr Hans Frank von Hitler persönlich, dass Deutschland die Sowjetunion angreifen und die Phase der deutsch-sowjetischen Freundschaft enden würde. Der Generalgouverneur war enthusiasmiert:

      »Das Generalgouvernement, wie wir es kennen und wie wir es erarbeitet haben, wird wesentlich reicher sein, glücklicher sein, wird mehr Förderung erfahren und wird vor allem entjudet werden.« Denn Hitler, so Frank im Kreis seiner Paladine, habe ihm zugesagt, das Generalgouvernement werde »als erstes Gebiet judenfrei gemacht.«1

      Der am 22. Juni 1941 begonnene Feldzug Deutschlands gegen die Sowjetunion war ein historisch beispielloser Raub- und Vernichtungskrieg.2 Was in Polen begonnen hatte, wurde nun in ungleich größerem Ausmaß und ungleich radikaler durchgeführt.

      Die wesentlichen Richtlinien für diesen Krieg kamen von Hitler selbst, von der Wehrmachts- und Heeresführung, der Vierjahresplanbehörde des Reichsmarschalls Hermann Göring, vom Reichsführer-SS Himmler und vom Reichssicherheitshauptamt.3 Erneut entsandte Heydrich Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die den deutschen Heeresgruppen in aufsteigender Buchstabenreihenfolge vom Baltikum (A) bis zur Krim (D) zugeordnet waren.

      Ferner gab es zwei SS-Kavallerie-Regimenter und zwei SS-Brigaden, die durch einen besonderen Kommandostab Reichsführer-SS geführt wurden und den Höheren SS- und Polizeiführern Russland-Mitte und Russland-Süd unterstanden.4 Für die Tätigkeit der Einsatzgruppen waren, nach den Erfahrungen in Polen, genaue Absprachen mit dem Oberkommando des Heeres getroffen worden. Sie erfüllten »Sonderaufgaben im Auftrag des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben.«5

      Hitler und die SS-Führung waren davon überzeugt, dass die stalinistische Sowjetunion von Juden beherrscht wurde, die sich der KPdSU bedienten, um den Nationalsozialismus zu beseitigen und die Weltherrschaft zu erringen. Gemäß dieser verqueren Weltsicht hing der erfolgreiche Blitzkrieg gegen das Riesenreich im Osten entscheidend davon ab, dass die vermeintlich jüdische Führungsschicht beseitigt, die UdSSR also gewissermaßen enthauptet wurde. Ferner sollte – dies war eine Obsesssion des baltendeutschen NS-Chefideologen und designierten Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg – der Hass der nichtrussischen Nationalitäten auf »Moskau« angestachelt werden, um die Sowjetunion von den Rändern her aufzulösen und in der Tradition des deutschen Ostimperialismus Vasallenstaaten des Reiches zu bilden. Besonderes Augenmerk galt hierbei, wie schon im Ersten Weltkrieg, der Ukraine.6

      Die Einsatzgruppen hatten sehr wahrscheinlich keine konkreten Befehle zur Ermordung aller sowjetischen Juden, doch dürften allgemeine Weisungen zu einem solchen Massenverbrechen existiert haben.7 Da man zu Beginn des »Unternehmens Barbarossa« noch mit einem schnellen deutschen Sieg rechnete, sahen die Protagonisten der Vernichtungspolitik, allen voran Heydrich, vermutlich noch keine Notwendigkeit, die »Lösung der Judenfrage« vor der Niederlage der UdSSR im vorgesehenen großen Umfang durchzuführen.8 Vorerst sollten die Einsatzgruppen, wie überlieferten Befehlen Heydrichs zu entnehmen ist, insgeheim Pogrome einheimischer Antisemiten gegen den »jüdischen Bolschewismus« auslösen, um den Judenmord als berechtigte Racheaktion gegen bolschewistisches Unrecht erscheinen zu lassen.9 Umstandslos zu erschießen waren sodann

      »alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt die kommunistischen Berufspolitiker schlechthin), die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, der Zentralkomitees, der Gau- und Gebietskomitees, Volkskommissare, Juden in Partei- und Staatsstellungen, sonstigen radikalen Hetzer (Saboteure, Propagandeure, Heckenschützen, Attentäter, Hetzer usw.), soweit sie nicht im Einzelfall nicht oder nicht mehr benötigt werden, um Auskünfte in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht zu geben, die für die weiteren sicherheitspolizeilichen Maßnahmen oder für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der besetzten Gebiete besonders wichtig sind.«

      Heydrich unterschied auch hier zwischen einem Nahziel deutscher Besatzungspolitik, nämlich der »politische[n], d. h. im wesentlichsten (sic!) sicherheitspolizeiliche[n] Befriedung der neu zu besetzenden Gebiete«, und einem »Endziel«, der »wirtschaftliche[n] Befriedung«, für welche die politische Befriedung die Voraussetzung darstelle.10 Die auffällige Hervorhebung der ökonomischen Kriegsziele findet ihre Erklärung zunächst in dem Plan, die Ernährung der Truppe »aus dem Lande« zu gewährleisten, damit das deutsche Millionenheer nicht durch Nachschubprobleme an dem schnellen Vormarsch gehindert werden konnte, der den Sieg innerhalb weniger Wochen bringen sollte.

      Für die Zeit danach war vorgesehen, die agrarischen Überschussgebiete der Sowjetunion – hier besonders die Ukraine – als Kornkammer für Deutschland zu nutzen, um die ›Heimatfront‹ zu stabilisieren und einen Aufstand hinter dem Rücken der Truppe zu verhindern, den die NS-Führung als wesentliche Ursache der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg ausgemacht hatte. Die agrarischen Zuschussgebiete der Sowjetunion sollten hingegen nicht mehr mit Lebensmitteln beliefert werden. Auf diese Weise wollte der NS-Staat die industriellen Zentren der UdSSR systematisch von der Ernährung abschneiden.

      Dies bot aus deutscher Sicht den zusätzlichen Vorteil, dass die als besonders bolschewistisch betrachtete Arbeiterschaft Moskaus und anderer Großstädte durch Hunger umkommen würden. Die an diesem »Hungerplan« beteiligten Instanzen verurteilten also Millionen sowjetischer Zivilisten kaltblütig zum Tode. Die sowjetischen Juden rangierten jedoch auf der Stufenleiter nationalsozialistischer Rassenideologie ganz unten. Zudem verhungerten in den Großghettos des benachbarten Generalgouvernements bereits zehntausende jüdische Männer, Frauen und Kinder. Auch diese ökonomischen Hintergründe sprechen dafür, dass die jüdische Zivilbevölkerung der UdSSR mit Ausnahme unentbehrlicher Arbeitskräfte ermordet werden sollte, wenngleich dazu noch keine konkreten Weisungen vorlagen.11

      Die deutsche Kriegführung gegen die Sowjetunion war nach alledem grenzenlos aggressiv.12 Hitler begrüßte in der Euphorie der deutschen Anfangserfolge den von Stalin ausgerufenen Partisanenkrieg ausdrücklich, weil Deutschland nunmehr jeden, der auch nur schief schaue, totschießen könne. Die deutsche Politik in der UdSSR habe zur Aufgabe, das riesige Land zu beherrschen, auszubeuten und zu verwalten. Unerwünschte Bevölkerungsteile seien zu ermorden und/oder auszusiedeln.13 Damit bekräftigte Hitler seine Utopie, die Sowjetunion zu einer Kolonie auf »rassischer« Grundlage zu degradieren, zu einem »deutschen Indien« auf dem Kontinent.

      Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD erschossen gemäß Heydrichs Rahmenbefehl zunächst Zehntausende jüdischer Männer.14 Diese Morde wurden auch auf dem Territorium des Generalgouvernements (in den Grenzen vom 1. August 1941) durchgeführt, nämlich im Gebiet um Lemberg, das gemäß den deutsch-sowjetischen Verträgen vom August/September 1939 erst nach Kriegsbeginn zur UdSSR gekommen war. 1940 wurde Ostgalizien/die Westukraine der Ukrainischen Sozialiatischen Sowjetrepublik einverleibt.15

      Diese Annexion – wie auch diejenige Westpolens durch Deutschland – war völkerrechtswidrig und wurde international nicht anerkannt.16 Gegen die Sowjetisierung des neuen Territoriums leistete die im Untergrund mit verdeckter deutscher Unterstützung tätige Organisation Ukrainischer Nationalisten entschiedenen Widerstand, den die UdSSR mit Massenverhaftungen und Deportationen ahndete.17

      Das Ziel der Nationalisten war die Errichtung eines formal unabhängigen ukrainischen Staates in der Tradition der deutschen Ostpolitik während des Ersten Weltkriegs. Diese selbstständige Ukraine sollte das Gebiet um Lemberg und die Ukrainische Sowjetrepublik umfassen.18 Die Organisation Ukrainischer Nationalisten war seit 1940 in zwei Flügel gespalten, die OUN-M unter Andriy Melnyk, die Hitler im Juli 1941 eine Ergebenheitsadresse und den Wunsch zur militärischen Zusammenarbeit übermittelte, und die faschistische OUN-B unter Stepan Bandera, die dem Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus« in der sowjetischen Westukraine das Wort redete und mit der militärischen Abwehr unter Admiral Canaris eng kooperierte.19