Das Fußvolk der "Endlösung". Thomas Sandkühler

Читать онлайн.
Название Das Fußvolk der "Endlösung"
Автор произведения Thomas Sandkühler
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534746217



Скачать книгу

der logistischen Vorbereitung von Deportation und Massenmord.18

      Bereits die Militärverwaltung hatte in vielen Fällen von sich aus die Kennzeichnung der Juden angeordnet. Vor dieser Rückkehr zu mittelalterlichen Stigmatisierungspraktiken waren Hitler und seine Untergebenen im Reich noch zurückgeschreckt; zu unpopulär erschien der gelbe Fleck. Im besetzten Polen glaubte man, auf die Volksmeinung weniger Rücksicht nehmen zu müssen. Seit dem 23. November 1939 mussten Juden beiderlei Geschlechts ab dem 10. Lebensjahr eine Armbinde mit dem Zionsstern am rechten Arm tragen. Auch Geschäfte jüdischer Inhaber waren zu kennzeichnen.19 Eine Definition der jüdischen Personeneigenschaft wurde allerdings erst im Juli 1940 nachgeschoben, als man die Vorschriften der Nürnberger Gesetze auf das Generalgouvernement übertrug. Mehr als eine symbolische Wirkung dürfte diese Normsetzung nicht entfaltet haben. Letztlich war es der Willkür deutscher Funktionäre vor Ort überlassen, wen sie als Jüdin oder Jude definierten.20

      Die durch die Kennzeichnung sichtbare Isolierung des jüdischen Bevölkerungsteils zielte anfänglich nicht auf die dauerhafte Ghettoisierung der Juden. Vielmehr waren Aufenthaltsbeschränkungen bis in das späte Jahr 1941 den übergeordneten Zielsetzungen nationalsozialistischer Bevölkerungsverschiebungen nachgeordnet. Heydrich hatte im September 1939 durchblicken lassen, dass die vorübergehende Konzentration der Juden an verkehrsgünstigen Orten ihren baldigen Abtransport in das ostpolnische »Reservat« vorbereiten sollte. Kurzfristigkeit war in den Augen deutscher Herrenmenschen eine kaum verhüllte Aufforderung zur Ausplünderung der recht- und wehrlosen Minderheit, die man besitzlos »in den Osten« abzuschieben gedachte.21

      Protoyp einer solchen räumlichen Konzentration unter schlimmsten Lebensumständen war die Industriestadt Łódź im Warthegau, als »Litzmannstadt« zugleich Sitz der von Himmler eingesetzten »Umwandererzentrale« für die Aus- und Ansiedlungspolitik. Im April 1940, als deutlich wurde, dass an eine baldige Deportation der jüdischen Einwohner nicht zu denken war, ordnete die Reichsstatthalterei unter Gauleiter Greiser die hermetische Abschließung des Ghettos an. Die Bewohner wurden nunmehr systematisch unterernährt und als Zwangsarbeiter ausgebeutet.22 Ziel dieser Politik war es, durch bewusst herbeigeführte Problemlagen Druck auf die deutsche Führung auszuüben und doch noch eine Abschiebung der Gefangenen zu erzwingen. Ein ökonomischer Nutzen sollte aus der Arbeit der Juden nicht gezogen werden. Sie wurden im Sinne von Hans Frank »körperlich angegangen«.23

      Diese Schaffung »unhaltbarer Zustände«, war ein typisches Merkmal jener sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, die allenthalben die antisemitische Politik Deutschlands in Osteuropa prägten.24 NS-Funktionäre sorgten selbst dafür, dass die verhasste »ostjüdische« Minderheit dem Zerrbild entsprach, das die Propaganda von ihnen zeichnete: Arbeitsscheu sei sie, schmutzig und daher hauptsächlich für die Übertragung des Fleckfiebers verantwortlich, das von jeher zu den Obsessionen deutscher Seuchenexperten gehört hatte.25

      Und so war es auch kein Zufall, dass Arthur Greiser als erster Gauleiter der NSDAP schon im Herbst 1941 mit dem Vorschlag an die Adresse Himmlers vorpreschte, die angeblich arbeitsunfähigen, seuchenbringenden und mit deutschen Ressourcen nicht zu ernährenden Juden kurzerhand zu töten.26

      Ähnliches vollzog sich zeitversetzt im Generalgouvernement. Hier richtete die Zivilverwaltung im November 1940, offenkundig wegen des gescheiterten Madagaskar-Plans, einen »Seuchensperrbezirk« in der Stadt Warschau ein, der durch Mauern von der Außenwelt abgeschlossen wurde. Rund 600 000 Juden waren hier eingekerkert. Auch die Warschauer Juden wurden ausgehungert, bis im Mai 1941 ein Kurswechsel hin zur »Produktivierung« des völlig überfüllten Ghettos durch Fertigungsaufträge an deutsche Unternehmen erfolgte. Diese Änderung trug aber erst Mitte 1942 Früchte, als die enorme Sterblichkeit im Warschauer Ghetto zurückging. Im Juli begannen jedoch bereits die Massendeportationen aus Warschau in das Vernichtungslager Treblinka.27

      In Krakau, dem Regierungssitz des Generalgouverneurs, wurde kein geschlossenes Ghetto errichtet. Frank ließ vielmehr den größeren Teil der in der Stadt ansässigen Juden in die benachbarten Landkreise und den Distrikt Lublin vertreiben.28 Die in Krakau Zurückbleibenden, durchweg Handwerker und Facharbeiter, mussten in einen Vorort der Stadt ziehen. Hier stand also die vorübergehende Ausnutzung des jüdischen Arbeitskräftepotenzials im Vordergrund.29

      Umfassende Truppenverlegungen ins Generalgouvernement beschleunigten seit März 1941 die Ghettobildung, denn in den Städten herrschte bald akute Wohnungsnot durch Militärbelegung. Auf Anordnung des Distriktsgouverneurs Zörner wurden in diesem Monat rund rund 10 000 Juden aus der Stadt Lublin vertrieben. Anschließend verfügte die Zivilverwaltug den Umzug der verbleibenden jüdischen Einwohner in ein Ghetto, das absichtlich viel zu klein gehalten war, um mehr als 30 000 Menschen Unterkunft zu bieten. Bald wüteten Typhusepidemien im Ghetto, was wiederum die zuständige Gesundheitsverwaltung auf den Plan rief, die drastische Maßnahmen zur wirksamen Abschließung des Ghettos forderte.30 Ähnliche Initiativen kamen auch aus Warschau und anderen Städten. Seit Oktober 1941 waren Juden, die den ihnen zugewiesenen »Wohnbezirk« ohne Erlaubnis verließen, mit der Todesstrafe bedroht. Wenig später erhielt die Ordnungspolizei den Befehl, auf »wandernde« Juden ohne Vorwarnung zu schießen.31 Sie waren damit praktisch vogelfrei.

      Jedoch konnte von einer umfassenden Ghettoisierung im Generalgouvernement kaum die Rede sein. Die großen Ghettos in Łódź und Warschau waren eher die Ausnahme als die Regel. Zwar durfte die Zivilverwaltung von der Regierungs- bis zur Kreisebene ab September 1940 Aufenthaltsbeschränkungen gegen Juden verhängen.32 Es blieb aber in der Praxis weitgehend der Initiative der Kreishauptmänner überlassen, ob sie ›offene‹ oder geschlossene Ghettos für die oft sehr verstreut wohnenden Juden einrichteten. Geld- und Baustoffmangel standen solchen Vorhaben des Öfteren entgegen.

      1942 wurden vermehrt Ghettos eingerichtet, wiederum als kurzfristige Maßnahme: Sie dienten meist schon der unmittelbaren Vorbereitung von Deportationen in die Vernichtungslager. Nicht selten, so auch im ostgalizischen Lemberg, wurden Ghettos überhaupt erst dann gebildet oder abgeschlossen, als die Massenmorde bereits im vollen Gang war.33

      2.3Zwangsarbeit

      Die Heranziehung der Juden zu körperlicher Arbeit hatte bereits im September 1939 begonnen und vielfach zunächst vor allem dazu gedient, die Betroffenen durch sinnlose Verrichtungen zu ›erziehen‹. Schnell setzte sich die Praxis durch, die Judenräte Arbeiterkolonnen zusammenstellen zu lassen, die u. a. Aufräumungsarbeiten in den kriegszerstörten Städten leisten mussten.34

      Mit einer der ersten Verordnungen, die Frank erließ, wurde am 26. Oktober 1939 der Arbeitszwang für Juden eingeführt. Die Durchführung oblag dem Höheren SS- und Polizeiführer.35 Umstritten war der Zugriff auf die Judenräte, die zur karteimäßigen Registrierung der Juden und zur Gestellung von Zwangsarbeiterkolonnen verpflichtet waren.36

      Da im Reich wegen der Hochrüstung und des Krieges ein zunehmender Arbeitskräftemangel herrschte und die Arbeitsverwaltung die jüdischen Zwangsarbeiter als Ersatz für ins Reich ›abgeworbene‹ Polen benötigte, ging mit Wirkung vom 5. Juli 1940 die Kompetenz für die Vermittlung jüdischer Arbeitskräfte an die Zivilverwaltung über. Die Polizei war weiterhin für die Beaufsichtigung der Zwangsarbeiter verantwortlich. Der Höhere SS- und Polizeiführer hatte zunächst angestrebt, die Zwangsarbeit im geschlossenen Einsatz bzw. in Zwangsarbeitslagern durchzuführen. Nun durften Juden auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gegen geringes Entgelt eingehen, um das beträchtliche Facharbeiterpotenzial im Generalgouvernement besser für die deutsche Kriegswirtschaft ausnutzen zu können.37

      Globocnik hatte im Distrikt Lublin wiederholt versucht, eine vom übrigen Generalgouvernement abweichende Politik zu betreiben. Er betrachtete die Zwangsarbeit als Schlüsselbereich der Judenverfolgungspolitik und zog diese an sich, um die »Judenpolitik« insgesamt zu monopolisieren. Gleichzeitig verfolgte er das Ziel, mithilfe jüdischer Zwangsarbeit ein persönliches Wirtschaftsimperium aufzubauen.38

      Im Dezember 1939 ließ Globocnik an der Lipowastraße in der Stadt