Verfluchtes Taunusblut. Osvin Nöller

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Название Verfluchtes Taunusblut
Автор произведения Osvin Nöller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783746939667



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hatte ich keine Ahnung?“

      Die Mutter atmete tief ein, sah zum Fenster und Julia befürchtete zunächst, dass sie nicht antworten würde. Plötzlich ging ein Ruck durch sie und Julia glaubte einen Moment, ein zartes Lächeln gesehen zu haben.

      „Es war sicher ein Fehler, dass wir dir nichts davon gesagt haben. Anfangs gab es widrige Umstände, irgendwann, befürchte ich, war es zu spät. Ich weiß nicht, ob du mir glaubst, dass ich mir fest vorgenommen hatte, dir alles zu erzählen, bevor ich endgültig gehe. Mir fehlte bisher allein der Mut.“ Sie tupfte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab. Mit einem Mal klang sie eifrig. „Woher kam sie? Wie hat sie dich gefunden? Ist sie noch da?“

      Julia schaute sie nachdenklich an. „Ja, sie ist in der Stadt. Ich treffe sie heute Abend.“ Dann berichtete sie, was ihr Diana erzählt hatte. Barbara legte die Stirn in Falten.

      „Was ist das für ein Wahnsinn? Wie kam Renate an die Informationen? Warum hat sie mir nichts gesagt?“ Sie strahlte plötzlich. „Sie hat es mir zuliebe getan!“ Ein Schatten überzog ihr Gesicht. „Jetzt ist sie tot und ich kann mich nicht einmal bedanken!“

      Julia überging ihr Selbstmitleid. Sie war überrascht, wie standhaft ihre Mutter die Ereignisse, zumindest äußerlich, verkraftete, befürchtete sie doch jeden Moment, dass ein Zusammenbruch bevorstehen könnte. Derzeit erfüllte das Adrenalin in den Adern seine Aufgabe. Obwohl sie ein schlechtes Gewissen bekam, musste sie dies ausnutzen, um mehr zu erfahren. „Weshalb gabst du sie zur Adoption frei?“

      „Hat sie sich nach mir erkundigt? Wie ist sie?“, ignorierte die Kranke die Frage. Ihre Stimme zitterte ein wenig.

      „Ja, sie hat gefragt, ob sie dich treffen könne. Ich weiß nicht. Willst du das denn? Noch einmal, warum hast du sie damals weggegeben?“

      Die Mutter lächelte und entspannte sich merklich. Sie rutschte kaum sichtbar hin und her. Julia erahnte ihre Schmerzen. „Du triffst sie und lernst sie kennen. Ich möchte sie unbedingt sehen! Lade sie für morgen Abend ein und komm mit ihr hierher. Dann erkläre ich euch alles. Verzeih mir, mein Kind.“ Sie lehnte sich zurück.

      Julia kannte sie und begriff, dass sie in diesem Moment nicht mehr sagen würde.

      „Endlich kann ich gehen“, hauchte Barbara.

      Es klingelte. Julia erhob sich und ging zur Haustür, vor der zwei Männer standen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der eine war ein glatzköpfiger Riese mit einem massigen Körper und einem grauen Vollbart. Er steckte in einem dunklen Anzug und einem weißen Hemd mit einer einfarbig dunkelgrünen Krawatte. Sie schätzte ihn auf um die Fünfzig. Der andere schien ein paar Jahre jünger zu sein, war dürr wie ein Spargel, höchstens einen Meter siebzig groß und damit einige Zentimeter kleiner als sie selbst. Seine schwarzen, gewellten Haare reichten ihm bis zu den Schultern. Er trug eine dunkelblaue Jeans, ein beiges Shirt und Sportschuhe.

      Der Ältere ergriff das Wort und wie auf Kommando zeigten beide ihre Ausweise vor. „Guten Tag, ich bin Kriminalhauptkommissar Harald Berger.“ Er deutete auf den Begleiter. „Das ist mein Kollege, Kriminaloberkommissar Martin Schubert. Mit wem haben wir das Vergnügen?“

      Sie stellte sich kurz vor und führte die Beamten in die Bibliothek.

      „Frau Lautrup, wir müssen sie leider noch einmal belästigen“, begann der Beamte, nachdem er sich in den zweiten Sessel hatte fallen lassen. Julia, die neben Schubert stehen blieb, wunderte sich, dass das Möbelstück unter dem Gewicht des Hauptkommissars nicht zusammenbrach.

      Barbara sah die Polizisten mit wachem Blick an, als Schubert Berger eine Mappe gab.

      Dieser blätterte einen Moment scheinbar zufällig darin. „Sagen Sie, warum könnte die Verstorbene Unterlagen über den Absturz Ihres Mannes gesammelt haben?“ Er zeigte auf den Ordner, wobei seine Stimme unbeteiligt klang.

      Barbaras Augen wurden ein wenig schmaler. Sie schüttelte den Kopf. „Weiß ich nicht. Woher haben Sie das?“

      „Aus ihrer Wohnung. Auffällig erscheint uns, dass es handschriftliche Notizen gibt, aus denen wir schließen, dass sie den Verdacht hatte, das Unglück könne mutwillig herbeigeführt worden sein. Wollen Sie uns bitte berichten, was damals geschah?“

      Barbara sah den Kommissar fest an. „Das ist schnell erzählt. Karl-Heinz litt unter einer hochgradigen Nussallergie. Er wollte an diesem Tag einen Rundflug vom Flugplatz Anspach aus über den Taunus und Westerwald unternehmen. Die Maschine ist direkt vor der Landung am Großen Feldberg abgestürzt. Später hat man festgestellt, dass er etwas Nusshaltiges gegessen haben musste und bewusstlos wurde. Die Polizei vermutete einen Unfall und stellte die Ermittlungen ein. Da gibt es sicher eine Akte bei Ihnen.“ Sie hustete.

      Berger nickte. „Die haben wir angefordert. Was haben Sie denn damals gedacht?“

      Barbara schwieg einen Moment, als ob sie nachdachte. Julia beobachtete sie und wurde das Gefühl nicht los, dass sie irgendetwas verschwieg. „Ich konnte mir das nicht vorstellen. Karl-Heinz kannte seine Allergie und verhielt sich äußerst penibel. Er hatte beim Fliegen stets zwei Schokoriegel dabei, immer dieselbe Sorte, die ganz bestimmt keine Nüsse enthielt. Mehr nicht.“

      „Hat Frau Hubert Zweifel geäußert oder einen Verdacht erwähnt?“

      „Renate war von Anfang an der Meinung, dass jemand nachgeholfen habe. Eine Weile hat sie versucht, mir das einzureden. Ich glaubte das nie, denn wer sollte so etwas tun?“

      Berger gab sich zufrieden und wandte sich an Julia. „Was wissen Sie darüber?“

      „Nichts, was über das hinausgeht, was meine Mutter erzählt hat.“ Was bezweckten die Beamten? Sie spürte zwar eine gewisse Neugier, wurde jedoch auch zunehmend verwirrter.

      Der Kommissar gab Schubert den Hefter zurück und nahm eine Fotografie aus der Innentasche seines Jacketts. Die Bildqualität ließ den Schluss zu, dass es sich um eine ältere Aufnahme handelte.

      „Kennen Sie dies? Können Sie mir sagen, wer die Leute darauf sind?“ Er hielt Barbara das Foto hin. Sie zuckte einen winzigen Augenblick zusammen, als sie es betrachtete, um sich sofort wieder in den Griff zu bekommen.

      Julia stellte sich hinter sie. Fünf Personen standen vor einem Haus, das sie nicht kannte. Zwei Männer und drei Frauen, alle ungefähr zwanzig Jahre alt. Die Jungen trugen schulterlange Haare, Bärte und weit ausgeschnittene Hosen. Die Kleidung der Mädchen bestand aus sehr kurzen Röcken und bunten Blusen.

      „Woher haben Sie das?“, fragte Barbara leise. „Kann sein, dass ich es mal gesehen habe. Das sind Karl-Heinz und ich, sowie Renate und unser Freund Hugo Hausmann.“ Sie deutete auf eine Rothaarige in der Mitte. „An die erinnere ich mich nicht. Wir vier waren damals eine Clique und dauernd unterwegs. Wird irgendeine Bekannte von Hugo sein. Keine Ahnung! Wissen Sie, das muss in den Siebzigern gewesen sein. Wo haben Sie es denn gefunden?“ Julia war sich jetzt sicher, dass ihre Mutter nicht alles preisgab, was sie wusste.

      Berger runzelte die Stirn. Ob er Barbaras kurze Veränderung beim Blick auf das Bild wahrgenommen hatte?

      „Das lag im Wohnzimmer unter dem Sofa. Nicht weit von der Toten entfernt. Okay, lassen wir das.“ Er steckte das Foto ein.

      Julia wurde es zu viel. „Sagen Sie, meine Herren, warum stellen Sie diese Fragen?“

      Der Kommissar überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete. „Es tut mir leid, wir müssen Ihnen mitteilen, dass ihre Freundin getötet wurde. Jemand hat sie mit einem Sofakissen erstickt!“

      ***

      Auf dem Rückweg zum Hotel schwirrte Diana der Kopf. Das Treffen mit ihrer Schwester war aus ihrer Sicht besser als erwartet verlaufen. Sie hatte das Gefühl, dass Julia ähnlich überrascht gewesen war wie sie selbst nach dem Besuch von Renate Hubert in der vergangenen Woche. Allerdings hatte Diana die Nachricht über deren Tod aus der Bahn geworfen. Die Frau, die ihr Leben durcheinandergebracht hatte, war gestorben!

      In ihrem Hotelzimmer angekommen, legte sie sich auf das Bett und grübelte. Sie wusste nicht, wohin das führen würde,