Verfluchtes Taunusblut. Osvin Nöller

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Название Verfluchtes Taunusblut
Автор произведения Osvin Nöller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783746939667



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auf dem Rücken strafte sie Lügen!

      ***

      Julia holte Diana Viertel vor sechs in einem weißen Opel Corsa mit der Aufschrift BioGenüsse – Leben Sie gesund vor dem Hoteleingang ab.

      Wenige Minuten später bogen sie in der Nähe des Schlosses in die Tannenwaldallee ab. Wer wohnte in den herrschaftlichen Häusern mit deren riesigen Grundstücken?

      Weiter ging es linkerseits in eine schmale Straße. Kurz darauf bremste Julia vor einem eisernen, zweiflügeligen Tor. Eine mehr als zwei Meter hohe Hecke verdeckte den Einblick in das Anwesen. Sie nahm einen Funksender. Sofort glitten die Tore im Zeitlupentempo auf.

      Diana stieß einen überraschten Schrei aus, als die lange Auffahrt auftauchte. Das war unzweifelhaft die Villa auf dem Foto, das ihr Renate Hubert in Celle gegeben hatte.

      Ihre Zwillingsschwester lachte. „Sieht dekadent aus, nicht wahr?“

      „Entschuldige, ich hatte mit so etwas nicht gerechnet.“ Dianas Blut geriet in Wallung. War das hier ihre Welt?

      Julia parkte das Auto auf einem geschotterten Streifen, sie stiegen aus. Diana folgte ihrer Schwester zum rechten Gebäude. Diese öffnete die Haustür, sie betraten die Eingangshalle. Als ihr die Dimension des Raums bewusst wurde, wäre Diana um ein Haar auf dem Absatz umgekehrt und weggelaufen. Im Vergleich zu ihrem, von den Großeltern geerbten, Fachwerkhaus, handelte es hierbei um ein Schloss! Julia ging auf eine breite dunkle Holztür zu, durch die sie in das Wohnzimmer eintraten.

      Man musste nicht Medizin studiert haben, um zu erkennen, dass die weißhaarige Frau, die in einem Sessel neben dem Kamin saß, dem Tode geweiht war und unter Schmerzen litt. Im krassen Gegensatz dazu leuchteten die flink hin und her schweifenden Augen. Diana zitterte ein wenig und ihr Mund wurde dermaßen trocken, als ob sie die letzten Stunden in einer Wüste ohne Wasser verbracht habe.

      „Mein Kind, herzlich willkommen. Lass mich dich ansehen.“ Barbara streckte die Hände aus.

      Diana blieb stehen, saß dort doch eine Wildfremde, die so tat, als ob ihre Tochter aus einem Kurzurlaub komme. Dennoch fühlte sie, dass sich ihre Mutter ehrlich über ihr Erscheinen freute, und begrüßte sie.

      „Nehmt Platz, Mädchen.“ Die Kranke zeigte auf den zweiten Sessel und ein Sofa. „Gießt euch Kaffee ein und esst von dem Kuchen. Wir haben eine Menge zu erzählen.“ Auch die feste Stimme passte nicht zu ihrem äußeren Erscheinungsbild.

      Sie schaute Diana an, während Julia die Tassen füllte. „Ich bin froh, dass du gekommen bist, und kann mir vorstellen, wie du dich fühlen musst. Ich weiß, dass ich eine Erklärung schuldig bin!“

      Barbara trank einen Schluck. „Euer Vater und ich haben in unserer Jugend ein wildes Leben geführt. Ich liebte ihn abgöttisch. Die kleine Studentin aus einfachen Verhältnissen, wie ich es war, und er, der Unternehmersohn. Einmal haben wir nicht aufgepasst. Ich vergaß die Pille. Da war ich neunzehn. Kurz zuvor hatte ich das Studium begonnen. Seine Eltern, die mich von Anfang an abwiesen, gebärdeten sich fuchsteufelswild. Sie forderten die Abtreibung! Was ich strikt ablehnte! Karl-Heinz stand zunächst auf der Seite der Alten. Es stellte sich heraus, dass ich Zwillinge erwartete. Daraufhin kam es zu einer schrecklichen Erpressung: Der Vater verlangte, dass ich zumindest ein Kind zur Adoption freigeben müsse. Ansonsten werde Karl-Heinz die Vaterschaft leugnen und alle juristischen Hebel in Bewegung setzen, dass ich nie wieder einen Fuß auf den Boden bekäme. Ich war geschockt und verzweifelt!“ Sie nahm vorsichtig die Tasse und trank einen Schluck.

      Diana hörte gebannt zu, ihr Herz begann zu rasen.

      Die Mutter fuhr fort. „Einerseits wusste ich, dass Lautrup senior das richtige Netzwerk besaß und ich keine Chance gegen ihn gehabt hätte. Anderseits liebte ich Karl-Heinz trotz seines Verhaltens. Naiv, wie ich war, sah ich in ihm den Schlüssel, in eine unbeschwerte Welt einzutreten. Letztlich willigte ich ein, dich, Diana, wegzugeben.“

      „Warum sie“, fragte Julia.

      Barbara zögerte. „Du wurdest zuerst geboren. Das hat den Ausschlag gegeben,“ flüsterte sie.

      Die Geschichte hörte sich unwirklich an. Die Ausführungen klangen sachlich und dennoch spürte Diana, dass sich ihre Mutter sehr beherrschen musste, denn einige Male bebte ihre Stimme. Sie war sicherlich nicht derart gefasst und geradlinig, wie sie vorgab!

      Was Diana vor allem schockte, war der Umstand, dass ihr Schicksal an zwanzig Minuten gehangen hatte! Unglaublich!

      Julia schien ähnlich irritiert zu sein. „Wie ging es weiter?“

      „Wir heirateten und ich zog in die Familie ein. Damit begann die härteste Zeit in meinem Leben. Der Vater war nicht nur ein Patriarch, wie er im Bilderbuch stand, sondern behandelte mich wie den letzten Dreck. Karl-Heinz versuchte, mir beizustehen, war ihm gegenüber aber viel zu schwach. Ich schwor mir, stark zu sein und Widerstand zu leisten. Ich wollte verhindern, eine sklavische Ehefrau und Schwiegertochter zu werden. Dieser Kampf, den ich neben dem Studium führte und der mir einige Erniedrigungen bescherte, dauerte ein Jahr.“

      Ihr brutaler Gesichtsausdruck spiegelte Hass wider. Was mochte passiert sein?

      Urplötzlich wurden Barbaras Züge weich. „Ich hatte unsagbares Glück. Das Scheusal starb plötzlich während eines Urlaubs. Wir bekamen unsere Chance!“

      Die Zwillinge starrten ihre Mutter an. Diana war nicht fähig zu sprechen. Die geschilderten Erlebnisse trafen sie bis ins Mark.

      „Davon hast uns nie erzählt!“, meldete sich Julia.

      „Das hätte euch nur belastet.“ Barbara machte eine winzige Pause. „Außerdem bin ich bis zum heutigen Tag alles andere als stolz auf das, was damals geschah! Ich bezahlte die Freiheit und ein besseres Leben, indem ich meine Tochter verstieß!“ Sie zögerte wieder. „Ich habe furchtbare Schuld bei all dem auf mich geladen!“, flüsterte sie.

      Julia ließ nicht locker. „Wolltest du nie wissen, was aus Diana geworden war?“

      „Doch!“ Sie wandte sich Diana zu. „Ich beauftragte Hugo ein paar Monate nach der Hochzeit, dich zu suchen. Er hatte keinen Erfolg. Die Behörden waren nicht bereit, Auskunft zu gewähren. Bis gestern hörte ich nichts von dir und hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass wir uns wiedersehen.“

      Diana saß steif im Sessel, ihr Kopf war leer. Wie schaffte sie es, ruhig zu bleiben? Spätestens jetzt war der Augenblick gekommen, um aufzuspringen und Barbara zu beschimpfen. Die lapidar klingende Begründung, dass einige bornierte und grausame Menschen ihrem Leben einen anderen Verlauf gaben, hätte sie gehen und nie mehr wiederkommen lassen sollen. Stattdessen saß sie hier still, und betrachtete die Weißhaarige. Warum? War es die Wärme, die ihre Stimme jetzt ausstrahlte und überhaupt nicht zum Inhalt passte? Die lachenden und herzlichen Augen, die im Moment Freude ausdrückten? Irgendetwas ließ sie trotz der rationalen Rede und den schrecklichen Erlebnissen eine Verbindung zu der Frau entwickeln. Sie spürte die Zerrissenheit, die diese damals in sich gehabt haben musste.

      Plötzlich ergriff Julia das Wort. „Wieso hast du mir nie gesagt, dass ich eine Zwillingsschwester habe?“

      „Ich schämte mich und konnte es nicht zugeben! Irgendwann war es zu spät!“

      „Du machst es dir sehr einfach, Mama!“ Als die Angesprochene aufsah, sprach Julia weiter. „Ist die Geschichte auch der Grund, warum ich Papa gleichgültig war?“

      Barbara erschrak sichtlich. „Vater hat dich geliebt!“

      „Hör doch auf!“ Julias wurde lauter. „Für ihn gab es nur Björn und Christian. Du warst meine einzige Bezugsperson!“

      Die Mutter gab keine Antwort und stierte vor sich hin.

      „Woher hat Renate gewusst, wo Diana lebt? Hast du eine Idee?“ Julia hatte sich anscheinend etwas beruhigt.

      Barbara seufzte. „Wenn ich das wüsste! Wir gern würde ich sie fragen! Schließlich hat sie mir ein wunderbares Geschenk gemacht!“ Ihre Augen glänzten feucht. „Jetzt ist sie tot!“, murmelte sie.

      Die