Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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weil er feinere Gewandung trug. Nein, seine gesamte Erscheinung war es, die Autorität ausstrahlte.

      Plötzlich löste sich einer der Reiter aus dem Dunkel der hinteren Baumreihen, statt wie befohlen an seinem Platz zu warten, und hielt auf den großen Krieger zu. Auch dieser Mann war anders gekleidet. Trotz der sommerlichen Schwüle hüllte er sich in einen schwarzen Mantel, unter dem er weder Waffen noch Rüstung trug. Eine Kapuze verbarg sein Gesicht völlig, doch sein Blick war unverkennbar ebenfalls starr auf die Burg gerichtet. Nach einem kurzen Zögern wandte er sich dem Anführer zu und seine raunende, eindringliche Stimme brach das Schweigen. „Die Männer und die Pferde werden langsam unruhig.“

      Der Kommandant reagierte nicht. Unsicher wandte sich der Verhüllte wieder der Burg zu und schwieg für eine Weile. Der Krieger erkannte an den unruhigen Händen die Nervosität des Mannes und so wunderte er sich nicht, dass dieser das befohlene Schweigen bald erneut brach: „Wo bleibt das vereinbarte Zeichen? Es ist längst überfällig! Wer weiß, ob Eure Spießgesellen nicht volltrunken bei einer Dirne liegen, statt ihren Auftrag auszuführen.“

      Einzig eine hochgezogene Augenbraue deutete darauf hin, dass der Krieger die Worte vernommen hatte. Trotz des soeben geäußerten Zweifels an seinem Durchsetzungsvermögen und der Loyalität seiner Verbündeten blieb seine Stimme ruhig, als er zum Gegenzug ansetzte. „Ich kann mich auf meine Männer verlassen. Es sind einfache Handgriffe, die ich von ihnen erwarte, und glaubt mir, sie führen diese nicht zum ersten Mal aus. Im Glauben seid Ihr doch stark, nicht wahr?“

      Der Seitenhieb saß und die verhüllte Gestalt schwieg für einige Augenblicke, schluckte die Enttäuschung und die eigene Angst herunter. Doch lange konnte sie die Stille nicht bewahren: „Die Männer können sich und ihre Tiere kaum noch zurückhalten. Seht Ihr denn nicht, wie angespannt sie sind? Ein Wiehern oder ein Husten kann uns verraten. Der aufkommende Wind trägt die Geräusche heute Nacht weit und es würde mich nicht wundern, wenn er den Gestank der Leichen bereits bis zur Feste getragen hat.“

      „Habt Ihr schon einmal eine Schlacht erlebt? Ward Ihr schon einmal bei der Erstürmung einer Burg dabei? Oder vielleicht bei dem galoppierenden Ritt der Vorhut auf das feindliche Heer zu? Habt Ihr schon einmal das bebende Zittern der Erwartung kurz vor dem Zusammentreffen von Lanze mit Schild, Rüstung und Fleisch gespürt?“

      Wäre das verhüllte Gesicht unter der Kapuze zu sehen gewesen, so hätte der Krieger Abscheu erkannt. So war allerdings nur die Stimme zu vernehmen, die nicht viel mehr als eine gezügelte Entrüstung preisgab. „Was denkt Ihr? Natürlich nicht! Schließlich bin ich ein Diener des Herrn und kein Krieger!“

      „Dann tut das Eurige, um die Männer zu beruhigen und erteilt die Absolution!“

      Der Befehlshaber duldete keine Widerrede. Obwohl der Kleriker kein Getreuer des Kriegers war, fügte er sich dennoch, wenn auch zögerlich. Als er sein Pferd bereits gewendet hatte, hielt er noch einmal inne, um dem Kommandanten erneut die Stirn zu bieten. „Vergesst nicht, ich riskiere viel mit meiner Anwesenheit.“

      „Wer in seinem Leben nichts wagt, der wird auch nichts gewinnen. Und gewinnen ist doch genau das, was Ihr am meisten wollt, und zwar noch im Diesseits, nicht wahr? Wenn ich Euch richtig einschätze, so haltet Ihr es nicht ganz so streng mit den Worten, die von den Kanzeln der Kirchen gepredigt werden. Ihr vertraut doch nicht nur auf eine nicht greifbare Belohnung im Jenseits. Oder täusche ich mich?“

      Der Priester suchte nach einer passenden Antwort, entschied sich jedoch zu schweigen und bewegte seinen Gaul schließlich zu den wartenden Reitern, um seinen Beitrag zum Gelingen des nächtlichen Vorhabens zu leisten.

      Erst jetzt richtete der Kommandant seinen Blick für einen kurzen Moment auf den Kleriker, als wollte er sich vergewissern, nicht weiter durch unnötiges Gerede gestört zu werden. Dann wandte er sich wieder der Burg zu. Gerade noch rechtzeitig, um ein kleines, flackerndes Licht zu bemerken, das in einem der oberen Fenster des Bergfrieds unerwartet aufleuchtete.

      Das war ein ganz und gar schlechtes Zeichen, denn es bedeutete, dass entweder der Graf oder dessen Gemahlin erwacht war. Das könnte den Plan des Kriegers vereiteln. Umso mehr war jetzt Schnelligkeit gefragt. Wo blieb nur das verabredete Zeichen?

      Er war so nahe daran, endlich das zu erlangen, wonach er sein Leben lang gestrebt hatte. Durch nichts würde er es sich heute Nacht nehmen lassen!

      * * *

      Sigrun entzündete weitere Kerzen im dunklen Schlafgemach, hoch oben im Bergfried. Sie ging dabei sehr vorsichtig und geschickt vor und ließ keinen einzigen Tropfen des kostbaren Wachses fallen. Auf dem Arm trug sie ihren einzigen Sohn, Rogar, der weinend mitten in der Nacht aufgewacht war. Er hatte sich sofort wieder beruhigt, als er die Wärme und Nähe seiner Mutter spürte. Jetzt schmiegte er sich an sie und beobachtete, wie sie die Lichter entzündete.

      Sigrun wusste, dass ihr Junge nach einem solchen Nachtschrecken etwas Helligkeit benötigte, um die Schatten aus den Ecken des Raumes zu vertreiben. Manchmal hatte sie ein schlechtes Gewissen wegen der Kerzen, denn sie waren ein teures Gut, das sich nur wenige leisten konnten. Dann aber besann sie sich, dass sie das Licht für ihren kleinen Jungen in Anspruch nahm und für ihn war ihr nichts zu kostbar.

      Obwohl Sigrun zierlich von Gestalt war, empfand sie das Gewicht des beinahe siebenjährigen Kindes keineswegs als Last. Im Gegenteil, sie trug den Jungen gerne. Vielleicht lag es daran, dass er für sein Alter recht zart gebaut war. Doch tief in ihrem Innern wusste sie, dass vielmehr ihre Liebe zu ihm ihr die Kraft gab, ihn mit Freude zu tragen. Vor allem während seiner schweren Krankheit hatte ihr diese Liebe immer wieder die erforderliche Stärke gegeben, ihn über Stunden hinweg tragen zu können.

      Trotz der nächtlichen Unruhe durch das Weinen des Kindes und das flackernde Kerzenlicht war Sigruns Gemahl Farold nicht erwacht. Dem leisen Schnarchen nach zu urteilen, schlummerte er noch tief und fest. Als sie ihn so friedlich auf dem Bett liegen sah, erinnerte sie sich an den Tag ihres Kennenlernens, was ein liebevolles Schmunzeln bei ihr hervorrief.

      Damals war sie ein unwissendes Mädchen gewesen, dessen Vater einen völlig fremden und viel zu alten Mann als ihren Gemahl auserwählt hatte. Es war eine arrangierte Hochzeit aus politischen Gründen gewesen, deren einziges Ziel es war, Macht zu erlangen und Verbündete zu finden. Liebe spielte dabei keine Rolle.

      Sigrun bekam ihren zukünftigen Ehegatten erst wenige Tage vor der Vermählung zum ersten Mal zu Gesicht und war, gelinde ausgedrückt, fassungslos gewesen. Nicht nur wegen seines Anblicks, sondern vor allem wegen seines Alters. Man hatte ihr damals zwar mitgeteilt, dass er bereits nahezu dreißig Jahre zählte und Sigrun hatte daher auch keinen Jüngling erwartet. Als er dann jedoch leibhaftig vor ihr stand, zerbrachen all ihre Vorstellungen in tausend Scherben.

      Aufgrund der blumigen Erzählungen ihrer Mutter über die Stattlichkeit des Grafen hatte Sigrun ihn sich immer als einen hoch gewachsenen, edlen und fein gekleideten Herrn vorgestellt, der nur so vor Kraft strotzte. Als einen Mann, der allein schon durch seine Anwesenheit jede Frage von Autorität beantwortete. Als Sigrun schließlich das erste Mal vor Farold stand, konnte sie nicht glauben, dass er der Graf sein sollte. Hätte man ihn ihr nicht mit Namen und Stand vorgestellt, wäre sie an ihm wie an einem getreuen Krieger ihres Vaters vorbeigeschritten, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Weder war er hoch gewachsen, noch trug er besonders feine Kleidung. Im Gegenteil! Seine Gewandung bestand zwar aus gutem, aber auch sehr einfachem Leder. Was seine Größe betraf, so überragte sie ihn sogar um knapp zwei Fingerbreit. Seine Statur war kräftig, wirkte leicht untersetzt und entbehrte jeglicher Eleganz des Mannes ihrer mädchenhaften, naiven Träume.

      Ihre Enttäuschung und Ernüchterung hätte sie vielleicht mit einem Wimpernschlag verbergen können. Doch was ihr sichtlich den Atem verschlug, war sein unglaublicher Bart! Es war nicht etwa ein kleiner, gestutzter, zierlicher Bart. Nein, es handelte sich dabei um einen kräftigen, dichten Vollbart aus dunklem, krausem Haar in einem kaum zu erkennenden Gesicht, das sie in Zukunft lieben, ehren und sogar küssen sollte! Diese Behaarung traf sie wie ein Schlag. Ihr zukünftiger Gatte wirkte bedrohlich auf sie und hatte etwas Animalisches an sich, fern jeder Anmut.

      Sigrun hatte damals all ihre Willensstärke aufbringen müssen, um nicht einen Schritt zurück zu machen. Ihr kurzes