Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Wehe über Freya herein. Sie stöhnte nur noch leise, apathisch und kraftlos. „Der Kopf ist frei“, verkündete Alveradis mit leisem Flüstern, als die Wehe abklang, und das Strahlen in ihren Augen gab Georg Mut und Zuversicht.

      „Brun, lass die Flammen jetzt richtig auflodern, damit es hier drinnen schön heiß wird. Das Kind wird sonst frieren, wenn es auf die Welt kommt, selbst bei dieser Sommerhitze. Der Wind ist tückisch und pfeift durch die Ritzen.“

      Der Junge lief sofort los und holte Holz, in Sorge um das Neugeborene. Da erhellte ein gleißender Blitz für einen Augenblick das Innere des Hauses, tauchte es in grelles Weiß und belebte es mit dämonischen Schatten, die den Anwesenden vor Schreck den Atem raubten. Ein gewaltiger, schmetternder Donnerschlag folgte. Das Gewitter war direkt über dem Dorf und der Sturm brach mit aller Macht los. Der Wind jagte in das kleine Haus und ließ die Tür auf- und zuschlagen, drückte die Flammen nieder, als wollte er sie zunichte machen. Doch Brun hatte rechtzeitig Scheite nachgelegt und die Flammen waren kräftig genug, um gegen die Böen zu bestehen.

      Niemand kümmerte sich um die offene Tür, denn die nächste Wehe kündigte sich an. Alveradis nahm den Kopf des Kindes sanft in ihre Hände und zog ganz sachte, während Georg drückte und schob. Das leise Stöhnen Freyas und der tobende Sturm begleiteten ihre Mühen. Die Tür schlug in einem merkwürdigen Rhythmus immer wieder auf und zu. Die Welt schien zusammenzuschrumpfen; es existierten nur noch die drei schweißgebadeten Menschen auf dem kleinen Strohlager.

      Donner und Türschlag, begleitet von Blitz und Feuer.

      Eine Schulter hatte sich bereits ihren Weg in die Welt gebahnt, als die Wehe verebbte und beide Helfer ablassen mussten. Die Flammen des Feuers loderten wild. Draußen hämmerten schwere Regentropfen laut gegen Dach und Wände; auf dem staubtrockenen Erdboden bildeten sich in kürzester Zeit Pfützen. Die Bäume krümmten sich unter der Last des Sturmes. Trotz des tosenden Unwetters und des prasselnden Feuers herrschte eine verschworene Stille unter den Dreien auf dem Lager.

      Die nächste Wehe brach los. Alveradis zog erneut an dem kleinen Kopf des Kindes, stärker, als sie es vorgehabt hatte. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Das Kind musste jetzt kommen. Freya lag bewusstlos da. Georg verspürte die gleiche Dringlichkeit wie Alveradis. Sein Drücken wurde stärker als es ihm die Heilerin gezeigt hatte und die schweißnassen Hände drohten auf dem nackten, prallen Bauch abzurutschen. Die Wehe ließ bereits nach und zu Alveradis Schrecken war die zweite Schulter des Kindes noch immer nicht zu sehen.

      „Weiter!“, rief Alveradis. „Noch ein Stückchen. Die Schulter ist beinahe frei.“

      Kaum hatte sie es ausgesprochen, kam bereits die nächste Wehe. Sie schoben und zogen und plötzlich löste sich die zweite Schulter mit einem kleinen Ruck, dass Alveradis beinahe hinten über fiel. Sofort griff sie nach dem kleinen Oberkörper des Kindes und nutzte die abklingende Wehe, um noch einmal kräftig zu ziehen. Wie auf ein Signal hin erlangte Freya plötzlich wieder das Bewusstsein und begann noch einmal mit allen Kräften zu pressen.

      Mit einem Schrei der Erleichterung aus Freyas Munde kam das Kind frei und glitt auf das bereitliegende Leintuch. Schnell wickelte Alveradis es darin ein, um den nassen Körper gegen den Wind zu schützen.

      Georg ließ seine Mutter sachte auf das Stroh sinken, stand auf und schloss die Tür. Das Brüllen des Sturmes war ausgesperrt und der enge Raum wandelte sich in einen Ort der Stille. Die Flammen beruhigten sich und züngelten friedlich an den Holzscheiten.

      Alveradis hielt das eingehüllte Kind auf dem Arm, nahm ein angefeuchtetes Tuch und säuberte den kleinen Kopf mit dem zierlichen Gesicht und dem roten Haar. Da öffneten sich die kleinen Augen und in diesem Augenblick schien die Welt den Atem anzuhalten. Der Sturm war fern, das Feuer glimmte nur noch. Es war nichts zu hören. Weder Sorgen noch Nöte, einzig das kleine, unschuldige Kind zählte. Alle Blicke waren auf das Neugeborene gerichtet. Die jungen, strahlend blauen Augen schauten sich neugierig um, als wollten sie die Welt mit den ersten Blicken verstehen. Kein Laut erklang aus dem kleinen Mund.

      Während Alveradis wartete, dass das Pulsieren der Nabelschnur nachließ, legte sie das Kind auf den Bauch der erschöpften Mutter. Tränen der Freude und der Erleichterung liefen über Freyas Wangen. Sie war noch zu schwach, um das Kind mit all ihrer Wärme zu empfangen, und so half ihr Alveradis. Der Kontakt mit der Mutter gefiel dem Kind und es suchte instinktiv nach der Brust.

      Nach einer Weile überließ Alveradis das Halten des Säuglings Georg, schaute sich um und sah Ulf an der Tür stehen. Der unerbittliche Regen hatte ihn in das Haus zurückgetrieben. Er hielt es offensichtlich nicht für nötig, das Neugeborene in Augenschein zu nehmen, geschweige in den Armen zu halten.

      Ruhig kam Alveradis auf den Bauern zu. Ulf vermied es, ihr in die Augen zu blicken und starrte nur auf sein Weib. Der Kräuterkundigen warf er lediglich ein kurzes, aber forderndes „Und?“ an den Kopf.

      „Deiner Frau geht es nicht gut!“ Als keine Reaktion von Ulf kam, fuhr Alveradis verärgert fort. „Das Fieber brennt heiß in ihr, als ginge sie durch die Gluten der Hölle. Du musst sie jetzt gut pflegen. Sie ist schwach und benötigt deine Hilfe.“

      Ulfs Gesichtszüge verrieten nicht, wie er darüber dachte. „Was ist mit dem Kind?“

      Alveradis wurde wütend. Freya hatte soeben unter schwierigsten Umständen sein Kind zur Welt gebracht und ihn interessierte es offensichtlich nicht im Geringsten, wie es um sie stand.

      „Was soll schon damit sein?“, erwiderte Alveradis gereizt.

      „Was ist es?“

      „Was es ist?“, wiederholte die Heilerin, obwohl sie genau wusste, was Ulf eigentlich hören wollte. Doch so ohne Weiteres wollte sie ihm die Antwort nicht geben. „Es ist ein Menschenkind, mit Armen, Beinen und einem Kopf. Es hat Augen und Mund, Nase und Ohren. Der Heiligen Schrift nach ist es die Krönung der Schöpfung und …“ Alveradis hielt kurz inne und beugte sich Ulf entgegen, um ihm mit einem zufriedenen Lächeln zuzuflüstern. „… es ist ein Mädchen!“

      Ulf war entsetzt, seine Augen weiteten sich. Enttäuschung und Zorn waren ihm unverhohlen anzusehen. Mit verbitterter Miene wandte er sich langsam ab und ging mit gesenktem Haupt hinaus in den peitschenden Regen. Wahrscheinlich würde er jetzt die Dorfschenke aufsuchen, um sein Leid zu beklagen und die Enttäuschung zu ertränken. Vielleicht würde er Mitleid bei anderen Männern finden.

      ‚Welch bedauernswerte Geschöpfe sie doch manchmal sein konnten, diese Männer’, dachte Alveradis, als sie kopfschüttelnd dem davonstapfenden Ulf nachschaute.

      Sie schloss die Tür und ging zu Georg, um leise mit ihm zu sprechen. „Du musst dich jetzt um deine Mutter kümmern. Das Fieber wütet in ihr und verzehrt sie. Ich weiß, sie ist stark, sonst hätte sie die Geburt nicht überstanden. Doch im Augenblick ist sie sehr geschwächt. Ich werde sie nicht allein lassen, doch in der nächsten Zeit musst du ihr ebenfalls zur Hand gehen.“

      Anders als sein Vater war Georg um Freya sehr besorgt und Alveradis wusste, dass er sie nicht im Stich lassen würde, trotz der vielen Arbeit auf Hof und Feld vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang.

      Georg stellte nur eine knappe Frage: „Wie steht es um sie?“

      „Ich weiß es nicht“, gestand Alveradis. „Das Fieber bereitet mir Sorge. Es raubt Freya die letzten Kräfte. Ich muss die Nachgeburt abwarten, bevor ich mehr sagen kann.“

      Ihr Blick schweifte kurz zu Freya, an deren Seite die beiden jüngeren Söhne knieten. Sie kümmerten sich um die Mutter und um ihre neue Schwester. Mit gedämpfter Stimme sprach Alveradis weiter. „Ich möchte keine falsche Hoffnung wecken und spreche offen zu dir. Es kann sich zwar alles zum Guten wenden, doch es könnte auch sein, dass sie es nicht überlebt. Wenn sich die Nachgeburt nicht richtig löst und deine Mutter zu viel Blut verliert, dann kann auch ich nichts ausrichten.“

      In Georgs Augen zeigte sich Schrecken. Schnell packte Alveradis ihn am Oberarm, zog ihn näher zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr. „Behalte es für dich. Weihe deine Brüder noch nicht ein, auch wenn es Freya sichtlich schlechter gehen sollte. Sie hängen noch zu sehr an ihrer Mutter. Ich werde euch zur Seite stehen,