Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Freya wusste nach sieben Niederkünften genau, was es bedeutete, wenn ein Kind nicht richtig im Mutterleib lag. Sie hatte bereits drei Kinder durch Tot- oder Fehlgeburten verloren, ein viertes Kind war während eines harten Winters gestorben.

      Bisher hatte Freya ausnahmslos Knaben zur Welt gebracht. Ulf war mächtig stolz darauf, auch wenn er zu den Geburten nicht das Geringste beigetragen hatte. Diesmal hoffte Freya auf ein Mädchen, doch diesen Wunsch hegte sie schon seit Jahren. Wahrscheinlich würde es wieder ein Junge werden. Im ganzen Dorf rechnete man schon damit, war es doch bekannt, dass Ulf nur Knaben in seinem Haus duldete. Ein Mädchen wäre ihm ein Dorn im Auge und bedeutete nur, ein weiteres Maul zu stopfen.

      „Brun, lauf und hole deinen Vater!“ Der Junge sprang sofort auf und lief aus dem Haus. Alveradis widmete sich wieder der Schwangeren. „Hier, trinke von diesem Gebräu. Es wird dir bei den nächsten Wehen helfen.“

      Freya folgte der Kräuterfrau ebenso willig wie ihr jüngster Sprössling. Sie leerte die Schale mit dem würzigen Trank in einem Zug. Kurz darauf betrat Ulf zögerlich das Haus. Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut und blieb an der Tür stehen. Alveradis verlor keine Zeit. „Ulf, komm her und hilf mir. Wir müssen das Kind drehen!“

      Ulf regte sich keinen Fingerbreit. Alveradis ging davon aus, dass er ihre Worte verstanden hatte, doch auf seinem Gesicht zeigte sich erneut dieser schafsähnliche Ausdruck. Statt wie gefordert herzukommen, schüttelte Ulf nur zögernd den Kopf. In diesem Augenblick begriff Alveradis, dass der kräftige Mann Angst vor der Geburt hatte. Es verwunderte sie nicht, denn eine Geburt war etwas, was nur die wenigsten Männer begriffen und mit dem die meisten von ihnen auch nichts zu tun haben wollten. Jetzt allerdings benötigte sie eine starke Hand. Sie hatte weder die Zeit noch verspürte sie die Lust dazu, mit Ulf darüber zu diskutieren und so traf Alveradis eine Entscheidung.

      „Dann schicke mir Georg, deinen Ältesten. Aber beeil dich!“

      Erleichtert von dieser Aufgabe entbunden zu sein, stolperte Ulf aus der Tür. Kurz darauf betrat ein muskulöser, groß gewachsener Jüngling in staubiger Kleidung das Haus.

      Schnell eilte Georg an das Lager seiner Mutter, kniete neben ihr nieder und streichelte voll Zuneigung die heißen Wangen. Alveradis gönnte ihnen einen kurzen Augenblick, unterbrach sie dann aber und sprach mit ruhigem Ton auf Georg ein.

      „Wir müssen dem Kind helfen und es im Bauch drehen.“

      Die Kräuterfrau erklärte Georg ihr Vorhaben. Seine Augenbrauen zogen sich dabei angestrengt zusammen, doch Alveradis war davon überzeugt, dass er ihre Anweisung begriff. Zur Bestätigung nickte er mit dem Kopf und raffte sich sofort auf. Georg war schon immer wortkarg gewesen und Worte waren jetzt auch nicht gefragt.

      Bevor sich die nächste Wehe anbahnte, brachten sich die beiden in Position. Alveradis gab ein kurzes Zeichen, als sich Freyas Atem beschleunigte und ihr Bauch sich verhärtete. Georg tat, was die Heilerin von ihm erwartete, und sie begannen zu zweit, das Becken der Schwangeren zu heben und hin und her zu bewegen. Mit zunehmender Intensität der Wehe verstärkten sie auch das Schaukeln, bis sie schließlich den Unterleib regelrecht durchschüttelten. Erst als Freya sich entspannte, ließen beide Helfer wieder von ihr ab.

      Diese Prozedur wiederholten sie mehrere Male, danach erhob sich Alveradis erschöpft und dankte Georg, dem vor Anstrengung ebenfalls der Schweiß auf der Stirn stand. Seine Hilfe wurde im Augenblick nicht mehr benötigt und Alveradis stellte ihm frei, zu bleiben oder zu gehen. Georg versprach seiner Mutter, so schnell wie möglich zurückzukehren und ging hinaus, um sein Tagewerk zu beenden. Brun hatte alles stumm und angespannt beobachtet. Abwechselnd blickte er seine Mutter und Alveradis an.

      „Keine Sorge, mein Junge. Mit den nächsten Wehen wird sich das Kind seinen Weg neu bahnen“, erklärte Alveradis.

      Kurz darauf kündigte sich schon die nächste Wehe an. Zu dritt ließen sie einige mit geduldigem Schweigen verstreichen. Danach tastete Alveradis erneut gründlich den Bauch ab. Schließlich nahm sie ihre Hände wieder zu sich und lächelte. „Sehr gut, jetzt liegt es richtig.“

      Erleichtert entspannte sich Freya auf dem Strohlager. Von nun an nahm alles einen geregelten Verlauf. Die Abstände der Wehen wurden gleichmäßiger. Um das Ungeborene machte sich Alveradis inzwischen kaum noch Sorgen. Was sie unter der Bauchdecke ertastet hatte, schien ein kräftiges und gesundes Kind zu sein. Vielmehr bereitete ihr Freyas Zustand Kummer. Fieber glühte heiß in ihr und die lange Zeit der Wehen hatte die Schwangere sichtlich geschwächt. Die eigentliche Geburt und die damit verbundenen Phasen voll schmerzhafter Wehen würden ihr noch einiges an Kraft abverlangen.

      Alveradis bezweifelte, ob Freya diese am Ende noch würde aufbringen können.

      Zur Stärkung wollte die Kräuterfrau ihr ein süßliches Gebräu einflößen, doch selbst das strengte Freya derart an, dass sie nur wenig zu sich nehmen konnte. So verstrich die Zeit, unterbrochen von den regelmäßigen Wehen und dem rhythmisch wechselnden Atem der Gebärenden.

      Am frühen Abend kündigte ein fernes, dumpfes Grollen den lang ersehnten Redie langsam nahende, gen an. Die offene Haustür gewährte einen Blick auf die langsam nahende, schwarze Wolkenfront, die den westlichen Horizont bereits verdunkelte. Die tief stehende Sonne verschwand allmählich dahinter, und der späte Tag wurde merklich düsterer. Eines der kostbaren Talglichter wurde entzündet, um Alveradis etwas mehr Licht zu spenden. Wind erwachte zum Leben und blies frische Luft in das schäbige Haus, deren Kühlung alle Anwesenden dankbar annahmen.

      Plötzlich verkrampfte sich Freya stärker als jemals zuvor. Die Wehen des Übergangs, auf die Alveradis schon lange wartete, setzten endlich ein.

      In diesem Augenblick betraten Georg und Thorben, der zweitälteste Sohn, das Haus. Sie spürten die Anspannung, setzten sich stumm neben ihren jüngsten Bruder auf die Bank und beobachteten mit sorgenvollen Blicken die Anstrengungen ihrer Mutter.

      Eine Kontraktion jagte die nächste in so kurzen Abständen, dass sich Freya in den Pausen kaum erholen konnte. Ihre Hände umklammerten die Unterarme der Heilerin, ihre Fingernägel bohrten sich tief in die Haut. Alveradis’ Gesichtsausdruck verriet nicht, ob sie es überhaupt wahrnahm. Sie konzentrierte sich ganz auf Freya. Alles verlief gut, und wie erwartet, folgte bald darauf die erste Anstrengung des Pressens.

      Bei jeder neuen Verkrampfung des Bauches hielt Freya den Atem an und versuchte mit aller Kraft, das Kind aus dem Leib zu drücken. Schweiß rann ihr über Gesicht und Hals, und Alveradis war überrascht, welche Kräfte die Gebärende noch aufbrachte.

      „Ich kann den Kopf schon sehen“, rief Alveradis plötzlich aufmunternd. Freya hörte es nicht. Sie war erschöpft und hatte kaum noch Kraft, die Augen offen zu halten, geschweige die nächste Wehe zu meistern. Alveradis versuchte, sie zu ermutigen. „Nur noch wenige Male, dann hast du es geschafft.“

      „Ich kann nicht mehr“, hauchte Freya nahezu tonlos.

      „Doch, du kannst. Du musst! Es ist fast da.“

      „Keine Kraft, keine Kraft!“ Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern. Alveradis reagierte sofort.

      „Brun, lege Holz nach! Thorben, sorge für ein paar möglichst saubere Leintücher und warmes Wasser.“ Beide Jungen sprangen sofort auf und erledigten, was von ihnen verlangte wurde.

      Kaum hatte Alveradis Freya ein wenig Wasser eingeflößt, kam bereits die nächste Wehe. Doch die verlief anders als die vorherigen, denn Freya presste nicht mehr. Sie hatte alle Reserven aufgebraucht. Alveradis rief laut nach Ulf, der sich irgendwo vor dem Haus herumtrieb. Als er trotz wiederholten Rufens nicht erschien, erhob sich Georg und bot seine Hilfe an.

      Auf Anweisung der Heilerin kniete er sich hinter seine Mutter und stützte sie in einer aufrechteren Haltung. Während Alveradis ihm tief in die Augen blickte, legte sie die Hände des Jünglings vorsichtig auf den prallen Bauch. „Bei den nächsten Wehen musst du von oben her immer wieder fest über den Bauch streichen und das Kind dadurch voranschieben. Wenn sie enden, nimmst du deine Hände wieder weg. Drücke nicht zu fest und nicht zu schnell, doch mit Bestimmtheit und Gefühl, etwa so.“ Alveradis übte einen sanften, aber deutlichen Druck auf Georgs Unterarme aus.