Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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hierher?“

      „Vater sagt, es ist soweit.“

      Ein strahlendes Lächeln überzog das Gesicht des Knaben. Er war sichtlich erleichtert, seinen Auftrag ohne Fehl ausgeführt zu haben. Mit großen, erwartungsvollen Augen starrte er Alveradis an.

      „Und was sagt deine Mutter?“

      Die Frage überraschte Brun. Er hatte sich eine klare Anweisung erhofft und sein Lächeln verschwand wieder. Verstört richtete er seinen Blick zu Boden und überlegte. Alveradis wartete geduldig auf eine Antwort und kurz darauf hob der Junge erneut seinen Kopf und schaute sie mit traurigen Augen an. Seine Stimme war belegt, als er sprach.

      „Mutter sagt gar nichts mehr.“

      Alveradis nahm die kleinen Hände in die ihren und zog ihn besorgt näher. „Wie geht es ihr?“

      „Sie stöhnt viel und hält sich den Bauch. Vater meint, das Feuer brenne in ihr.“ „Gut“, kommentierte Alveradis. Es war zwar ganz und gar nicht gut, was sie soeben gehört hatte, doch sie wollte den Jungen jetzt nicht noch weiter verängstigen, indem sie ihre Sorge aussprach.

      „Lauf jetzt rasch zurück und berichte, dass ich mich sogleich auf den Weg machen werde.“

      Statt kehrtzumachen, blieb Brun einfach stehen. In seinen Augen zeigte sich plötzlich eine ungekannte Furcht und er blickte schnell wieder zu Boden. Seine Füße begannen unruhig hin und her zu scharren, als fühle er sich in die Enge getrieben.

      „Du musst mit mir kommen!“, murmelte er schließlich. „Wenn ich ohne dich nach Hause komme, setzt es wieder was.“

      Alveradis verstand nur zu gut, was Brun damit meinte. Ulf, das Oberhaupt der Familie, griff bei Ungehorsam zu Gewalt. Seine drei Söhne kannten das zur Genüge. Sie konnten seine Launen gut einschätzen und wussten sich notfalls von ihm fernzuhalten. Doch beim Überbringen einer schlechten Nachricht dürfte das schwierig werden.

      Anders stand es diesbezüglich um Freya, Ulfs schwangere Frau. Sie musste seine Übellaunigkeit stets erdulden, ohne dagegen etwas ausrichten zu können. Einfach aus dem Haus zu laufen wie ihre drei Sprösslinge, bis sich das Gemüt ihres Gemahls wieder abgekühlt hatte, das durfte sie als sein Eheweib nicht. Sie hatte im Haus zu bleiben, ganz gleich wie ihr Gatte gelaunt war. Immerhin schlug Ulf sie nicht mehr, seit sie das Kind in sich trug. Dazu war er viel zu gottesfürchtig und das Schlagen einer Frau mit der Frucht im Leibe war eine Sünde. Aber das hieß noch lange nicht, dass er Freya in den kommenden Stunden eine Hilfe sein würde, schon gar nicht, wenn Ulf übel gelaunt war.

      Um Brun die Angst zu nehmen, die ihm noch immer im Gesicht stand, drückte Alveradis sachte seine Hände. „Warte hier auf mich, ich muss nur rasch noch einige Sachen zusammenpacken, bevor wir losgehen.“

      Der Knabe nickte erleichtert, und das Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. Alveradis erhob sich und verschwand in ihrer Hütte. Einige Augenblicke später trat sie mit einem prall gefüllten Lederbeutel und einem langen Wanderstab wieder auf die Lichtung. „Komm“, rief sie dem Jungen zu, „lass uns eilen!“

      Zu zweit bahnten sie sich ihren Weg durch den Wald, bis sie nach einer Weile eine alte Straße kreuzten, die auf direktem Wege ins Dorf führte. Alveradis schritt nun weiter aus und Brun hatte Mühe mitzuhalten. Doch er beschwerte sich nicht, denn er begriff, dass sie jetzt nicht trödeln durften.

      Sie folgten der Straße und schon bald tauchten die grauen, strohbedeckten Dächer der Siedlung in der Ferne auf, sanft in die hügelige Landschaft eingebettet. Ulfs kleiner Hof lag in der Nähe des einzigen Tores, direkt hinter dem Palisadenwall, und das war Alveradis ganz recht. So musste sie nicht auch noch das ganze Dorf durchqueren und sich den neugierigen Blicken aussetzen, die sie ernten würde. Die Dorfbewohner nahmen Alveradis’ heilende Fähigkeiten bei Bedarf zwar in Anspruch, gerne gesehen war sie deshalb in guten Tagen aber noch lange nicht. Schließlich war sie weithin als wilde Frau bekannt, die allein an einem gottlosen Ort lebte, den kein guter Christ jemals freiwillig betreten würde.

      Vor der schäbigen Tür eines maroden Hauses angekommen, klopfte Alveradis mit ihrem Stab an und verkündete laut ihren Namen. Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern öffnete die Tür und betrat einen engen, stickigen Raum, der im Winter sowohl Mensch als auch Tier beherbergte.

      In der Mitte befand sich eine Feuerstelle mit kalter Asche. Die Sonnenstrahlen, die durch den offenen Rauchabzug im First des Daches eindrangen, erhellten das Dunkel des Raumes ein wenig. Staubkörner tanzten wirbelnd in dem schwachen Licht zum Dach empor.

      Neben einem einfachen Tisch mit zwei Holzbänken befand sich das mit altem, schmutzigem Stroh aufgefüllte Lager, auf dem sich die schwangere Freya befand. Sie lag mit geschlossenen Augen, tief atmend und mit beiden Händen ihren prallen, runden Bauch haltend, als befürchte sie, er könnte jeden Augenblick bersten. Ihr Haar war schweißnass und das einfache Leinenkleid klebte an ihrem Körper.

      Alveradis näherte sich dem Lager und ignorierte Ulf, der aufgebracht von der Bank gesprungen war. Die Kräuterkundige legte Tasche und Stab beiseite, kniete auf den gestampften Erdboden neben dem Lager nieder und betrachtete Freya mit prüfenden Augen. Mit Schrecken erkannte sie den Zustand der Frau. Ihr vorwurfsvoller Blick traf den Bauern, doch der reagierte nicht. Ulf stand nur mit halboffenem Mund da und glotzte wie eines seiner wenigen tumben Schafe.

      „Freya“, flüsterte Alveradis leise. Keine Reaktion. Nur das gleichmäßige, tiefe Atmen. „Freya! Ich bin es, Alveradis.“

      Die Schwangere öffnete ihre glasigen Augen und versuchte mit Mühe, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Schließlich erkannte sie die Besucherin. Erleichterung zeigte sich auf ihrem erschöpften Gesicht und ihre Worte kamen geflüstert über die spröden Lippen. „Alveradis! Dem Herrn sei gedankt, du bist gekommen. Das Kind ist früh dran.“

      „Ich weiß, Freya. Doch nicht zu früh. Es wird mit Sicherheit gesund und kräftig sein.“

      Die Worte wirkten beruhigend und während Alveradis Freya beim Trinken aus einer Schale half, wies sie Ulf an, Wasser abzukochen, ein paar Gefäße bereitzustellen und frisches Stroh für das Lager zu bringen. Sie würdigte ihn dabei nicht eines Blickes und Ulf gab keinen Laut von sich. Entweder war er verblüfft, wie diese Frau mit ihm umsprang, oder froh darüber, in dieser Situation klare Anweisungen zu erhalten. Alveradis war nur wichtig, dass er gehorchte, und er tat es wortlos.

      Die Heilerin beobachtete Freya während ihrer unregelmäßigen Wehen genau und Ulf kam seinen Aufgaben nach. Wasser wurde in einem verbeulten Kessel über einem frisch entfachten Feuer erhitzt und in Becher und Schalen gegossen. Anschließend verließ der Bauer fluchtartig das Haus, als befürchtete er, noch weiter in das Geschehen mit einbezogen zu werden.

      Alveradis ließ ihn ziehen. In einige Schalen streute sie ausgewählte Kräuter, um verschiedenes Gebräu herzustellen. Der aufsteigende Wasserdampf wandelte die trockene Hitze des Tages in eine unerträgliche, bleierne Schwüle. Der starke Duft der Kräuter hingegen befreite den Geist und schärfte sämtliche Sinne.

      Freyas Zustand blieb unverändert. Die Wehen kehrten nach wie vor in unregelmäßigen Abständen wieder und trugen nicht dazu bei, die Geburt voranzutreiben. Alveradis tastete den Bauch sanft ab.

      „Was spürst du?“, fragte sie Freya.

      „Etwas stimmt nicht“, antwortete sie mit zitternder Stimme. Alveradis nickte kurz und schloss die Augen, um sich ganz auf das Kind zu konzentrieren. Erneut tastete sie den Bauch ab.

      Sie fühlte, wie das Ungeborene ihren forschenden Händen auszuweichen versuchte, doch es hatte nicht mehr viel Platz.

      Brun, der seit Ulfs Verschwinden stumm in einer Ecke gesessen hatte, hielt in der nahezu unerträglichen Stille des stickigen Raumes den Atem an. Erst als Alveradis wieder den Kopf hob, hörte man ihn leise nach Luft schnappen. Die Blicke der beiden Frauen fanden sich.

      „Es liegt falsch!“

      Freya nickte stumm. Sie hatte es befürchtet. Angst zeichnete sich in ihren Augen ab, doch Alveradis sanfte Worte und Lächeln beruhigten sie wieder. „Nicht so falsch, dass wir es nicht ausrichten