Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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höheren Mächten entschieden.“

      Die Kräuterfrau blickte Georg noch einmal tief in die Augen und sah darin Verwirrung, Angst und Hoffnung zugleich. Er war ein starker, junger Mann und er würde alles unternehmen, um seine Mutter zu retten. Alveradis gab sich einen befreienden Ruck, dankte Georg noch einmal für seine Hilfe und begab sich wieder an das Lager. Ihre Arbeit war noch nicht getan. Die Nabelschnur pulsierte noch, wenn auch schwach. Zu Alveradis Schrecken war das Stroh um Freyas Unterleib jetzt blutiger als unmittelbar nach der Geburt. Das war kein gutes Zeichen!

      Sie wollte gerade etwas dagegen unternehmen, da bemerkte sie, wie sie von dem winzigen, rothaarigen Menschenkind genau betrachtet wurde. Alveradis spürte, wie das Kind in diesem Moment einen Platz in ihrem Herz beanspruchte. Zärtlich strich sie dem Kind über das feuchte Haupt.

      „Welchen Namen soll sie bekommen?“, fragte sie die Mutter.

      „Sie soll Svea heißen.“

      „Svea …“, wiederholte Alveradis und ließ den Namen im Raum klingen. „Ein schöner Name.“ Mit einem Lächeln wandte sich Alveradis an das Kind. „Ja, ein wirklich besonderer Name, Svea! Willkommen in dieser Welt.“

      Das Blut sickerte weiter in das Stroh, und Alveradis wusste noch nicht, wie der heutige Tag enden würde.

      Anno 956 – Sigrun

      Die Pferde wurden unruhig, als der plötzlich aufkommende Wind die Blätter des nächtlichen Waldes in Bewegung setzte. Das ein oder andere Tier schnaubte laut und begann, nervös mit den Hufen im weichen Waldboden zu scharren. Ihre Reiter, mehrere Dutzend an der Zahl, konnten sie mit besänftigenden Worten wieder beruhigen. Sie waren in Rüstungen gekleidet und mit Langschwertern, Äxten und Schilden bewaffnet. Für sie galt es jetzt unbedingt, im Verborgenen zu bleiben.

      Die vorderen Reihen der Bewaffneten, etwa die Hälfte, standen nahe am Waldesrand. Diese Reiter unterschieden sich in ihrer Erscheinung von den hinteren durch ihre Kleidung und Waffen, die in diesem Landstrich nicht üblich waren. Ein erfahrenes Auge konnte sofort erkennen, dass ihre seltsam bemalten Rundschilde, eigenartig kurzen Schwerter und Wurfäxte der Art des rauen Nordens entsprachen. Es waren die Waffen und Rüstungen der gefürchteten Nordmänner, der gnadenlos raubenden und mordenden Wölfe aus den kalten Landen jenseits der nördlichen Meere, die mit dem Auftauchen ihrer schlanken, schnellen Boote überall Angst und Schrecken verbreiteten.

      Hier allerdings saßen sie völlig ruhig zu Pferd, als wären sie zuhause. Ein ungewöhnlicher Anblick, denn ein befahrbarer Fluss war etwa einen Tagesmarsch entfernt und es war bisher nicht überliefert, dass die Eiswölfe, wie sie im Volksmund auch genannt wurden, zu Pferd derart tief in fremdes Gebiet vordrangen, um Beute zu machen.

      Umso seltsamer muteten die hinteren Reihen der Bewaffneten an. Selbst ein hiesiger Bauer hätte sie sofort als Landsleute erkannt. Ihre Rüstungen und Waffen entsprachen denen eines jeden Kriegers in der Grafschaft. Verwunderlich war, dass die beiden ungleichen, sonst feindlich gesinnten Gruppen, beinahe regungslos und friedlich miteinander warteten und die nahe, auf einer Felsenkuppe trutzende Burg jenseits des Waldes beobachteten.

      Die Nacht war sternenklar. Das Mondlicht tauchte die Wiesen zwischen dem Wald und der Burg in ein fahles Licht. Es schien eine ungünstige Nacht für das Vorhaben zu sein, doch ein fernes Grollen aus dem Westen kündete einen heraufziehenden Sturm an. Erste Wolken verdunkelten bereits den Horizont. Bald würden sie den gesamten Himmel bedecken und das verräterische Licht des Mondes verbergen.

      Bisher galt die Burg des Grafen als uneinnehmbar. Die Festung, mit einem starken Tor geschützt und von dicken Mauern umgeben, strahlte Macht und Sicherheit aus, als wolle sie die Wartenden verspotten. Stark prangte sie auf dem Felsen und wurde ihrem Namen gerecht, der landläufig die Greifburg lautete. Wie der Horst eines Raubvogels war auch diese Feste für Angreifer unerreichbar.

      Die Anhöhe stieg vom Westen her steil an und bildete im Nordosten ein hoch aufragendes Felsmassiv, das in einem fast senkrechten Abgrund endete und unmöglich zu erklimmen war. Dieser zerklüftete Abschnitt des Felsens bildete einen Teil des Außenwalls der Burg. Die übrigen Mauern der Wehranlage bestanden aus festem, solidem Stein. Die meisten Burgen in den Landen besaßen nicht mehr als einen Palisadenwall mit einem Wehrgang und einem Bergfried zur Verteidigung, doch die Burg des Grafen war anders. Mit mehreren Türmen, überdachten Wehrgängen, schützenden Zinnen und einem mächtigen Burgtor war die Feste gegen einen direkten Ansturm gut gewappnet und sie würde einem solchen standhalten können, ohne größeren Schaden davonzutragen. Eingeteilt in Vor- und Hauptburg, befanden sich alle wichtigen Gebäude innerhalb der Feste, um als eine eigenständige Siedlung im Falle einer Belagerung bestehen zu können. Das Wichtigste, die Versorgung mit Wasser, wurde durch ein Brunnenhaus mit einer großen Zisterne gesichert. Zudem hatte der einstige Bauherr zahlreiche Vorratsstollen im Fels anlegen lassen, die meist gut gefüllt waren. Die Burgbesatzung mittels einer Belagerung auszuhungern, wäre ein langes Unterfangen.

      Den einzigen Zugang zur Burg gewährte ein schmaler, sich links am steilen Hang anschmiegender Pfad. Er war gerade breit genug für einen Karren oder zwei Pferde nebeneinander. Jedem, der die Absicht hatte die Burg zu erstürmen, blieb nur dieser Weg und er war gezwungen, den Schild zum Schutz in die rechte Hand zu nehmen und das Schwert im Futteral zu belassen. Andernfalls wäre er den Bogenschützen der Verteidiger schutzlos ausgeliefert. Sollte trotz aller Wehranlagen das Tor dennoch einmal fallen, so müsste der Feind noch gegen zahlreiche innere Verteidigungsanlagen bestehen, bevor er endlich zum Innenhof der Hauptburg und dem Bergfried gelangen konnte. Mit bloßer Gewalt war die Greifburg nicht einzunehmen. Wer es dennoch wagte, musste mit immensen Verlusten rechnen. „Die Gefallenen wären so zahlreich, dass man auf ihnen wie auf einer Stiege die Mauern mühelos erklimmen könnte“, hatte es einst ein Hauptmann geschildert, als man nach seiner Einschätzung, die Burg zu erstürmen, gefragt hatte.

      Die wartenden Männer im Walde waren nicht für eine Belagerung ausgerüstet. Ihr Vorhaben musste schnell vonstatten gehen und ihr Erfolg hing nicht von ihrer Zahl, Überlegenheit und Kampfkraft ab, sondern von ihrer List, Schnelligkeit und Stille. So verharrten sie weiter geduldig, wenn auch angespannt in ihrem Versteck und beobachteten die Burg. Sie hofften auf das Zeichen für den baldigen Angriff.

      Die Pferde traten nervös auf der Stelle. Es lag am Geruch der Leichen, die quer auf den Rücken einiger Rösser lagen. Immer wieder blähten sie ihre Nüstern auf, als wollten sie mit einem heftigen Schnauben den abstoßenden Gestank der Verwesung vertreiben.

      Ein Blitz erhellte den Himmel kurz und grell.

      Einige Pferde scheuten, als der Donner, unerwartet nahe, laut grollend zuschlug. Für einen kurzen Augenblick wurden die Gesichter der Männer erhellt. Manche zuckten ängstlich zusammen und einige Lippen sandten wohl Stoßgebete gen Himmel, dass der gerechte Herr ihnen nicht zürnen möge. Manche unter ihnen hielten sicherlich noch an dem fast vergessenen, heidnischen Glauben fest und riefen alte Gottheiten an. Welche Macht sie auch immer anflehen mochten, sie baten um deren Gunst und Beistand.

      Nur das Gesicht eines Mannes war gänzlich unerschrocken. Er blickte ruhig auf die Burg, wirkte dabei entspannt, aber sehr bestimmt. Auf seltsame Weise strahlte dieser Mann sogar Zufriedenheit aus. Er hatte sein Pferd gut im Griff. Im Gegensatz zu vielen seiner Artgenossen regte sich das Tier nicht ein einziges Mal während des Donners. Dies war kein gewöhnliches Pferd, sondern ein gewaltiges, edles Schlachtross. Ein solches Tier war nicht so leicht zu erschrecken, waren ihm doch lärmende Kämpfe, Gewalt, Blut und der Geruch des Todes vertraut. Das Pferd passte aufgrund seiner großen und muskulösen Statur ausgesprochen gut zu seinem Herrn, denn dieser überragte die meisten Männer um nahezu eine Haupteslänge. Er war ein Fels von einem Krieger, groß, spröde und hart.

      Auch die Gewandung des Mannes hob sich von jener der übrigen Krieger deutlich ab, war von weitaus feinerer Qualität. Beinkleider, Wams, Schulterschutz und Armschienen bestanden aus bestem Leder. Oberhalb des Kragens schimmerte schwach die eiserne Brünne des unter dem Leder getragenen Kettenhemdes hervor, die den gesamten Hals bis unter das Kinn schützte. In einem fein gearbeiteten Lederfutteral zu seiner Linken befand sich ein Langschwert und ein runder, mit Metall beschlagener Schild hing rechts an seinem Sattel.

      Ohne Zweifel oblag diesem Krieger die