Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Blick fiel auf Ivo. „Aber ich verstehe: Ihr seid unserem ehrwürdigen Cellerar in sein Reich gefolgt.“

      „Dennoch scheint es, als hättet Ihr uns hier unten gesucht.“ Degenars Tonfall klang ebenso beiläufig wie Walrams. „Jetzt, da Ihr uns gefunden habt, dürft Ihr uns auch mitteilen, welch wichtige und unaufschiebbare Mission Euch in dieses dunkle, feuchte und entlegene Loch unserer Abtei getrieben hat.“

      Walram ignorierte die zynische Betonung, ja ignorierte die Worte überhaupt. Sein Augenmerk blieb auf dem vor ihm liegenden Jungen haften, studierte dessen Gesichtszüge genauestens. Nach einer Weile antwortete er dem Abt schließlich.

      „Ursprünglich kam ich her, um einigen Brüdern zur Erfrischung nach der harten Feldarbeit eine Karaffe mit gewässertem Wein zu holen. Doch es scheint, als sei ich gerade rechtzeitig zur Aufnahme eines neuen Novizen eingetroffen.“

      Walrams prüfender Blick suchte nach einer Reaktion des Abtes, doch Degenars Gesicht blieb ausdruckslos und so fuhr der Prior fort. „Verwunderlich ist, dass ich über diese Aufnahme nicht unterrichtet wurde und dass der Knabe in diesem Gewölbe in das Noviziat aufgenommen wird, schlafend! Weshalb geschieht dies nicht wie üblich in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten? Gibt es einen besonderen Grund für dieses Versteckspiel? Wer ist der Knabe?“

      Walram kam wie immer schnell und ohne Umschweife zur Sache. Trotz seiner vielen Fragen schien der Prior nicht wirklich auf Antworten zu hoffen. Stattdessen nahm er eine der Kerzen vom Tisch und leuchtete dem schlafenden Kind in das verschmutzte Gesicht, als bekäme er auf diese Weise mehr Auskünfte. Als Degenar Walram beobachtete, fiel sein Blick auf das erkaltete Wachs mit dem Abdruck des Siegelrings. Ein Schrecken durchfuhr ihn. Noch hatte der Prior den Abdruck nicht bemerkt, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihm auffallen würde.

      Walram starrte noch immer in das Gesicht des Jungen. Es war ihm anzusehen, wie scharf sein Verstand arbeitete. Um dem Prior nicht zu viel Zeit zu geben, versuchte Degenar ihn mit einer halbwegs erfundenen Geschichte abzulenken. Der Abt erinnerte sich an seine jüngsten Gedanken bezüglich all der Lügen, die er noch auftischen würde. Dass er sie allerdings so früh aussprechen musste, hatte er nicht erwartet.

      „Wir wissen nichts über ihn, hegen allerdings die Vermutung, dass es sich um das ausgesetzte Kind eines fahrenden Händlers oder Spielmannes handelt. Unser ehrwürdiger Kellermeister, Bruder Ivo, hat ihn bewusstlos und nahezu ohne Kleidung am Wegesrand gefunden. Da er einen Sonnenstich bei dem Jungen vermutete, hat er ihn in das kühle Gewölbe gebracht. Wie Ihr seht, ist es alles andere als ein Versteckspiel. Oder hättet Ihr an des Cellerars Stelle besser zu handeln gewusst?“

      Der Prior ging nicht auf die Frage ein. Er wollte sich nicht in Nebensächlichkeiten verstricken, solange es Wichtigeres zu klären galt.

      „Wo ist seine Gewandung? Auch wenn er nur wenig bei sich trug, wie Ihr behauptet, so könnte sie dennoch Aufschluss über Herkunft und Stand geben.“

      In diesem Moment fiel Walrams Blick auf das geschnürte Lederbündel am Ende der Tafel. Sofort griff Degenar schützend nach dem Packen. Er bekam es gerade noch zu fassen und zog es an sich, bevor Walrams vorschießende Hand es erreichen konnte.

      „Darin ist nichts von Bedeutung“, bemerkte Degenar beiläufig, als lohne sich ein weiterer Blick nicht. „Es handelt sich nur um grob gewobenes, schmutziges Leinen von solch schlechter Qualität, wie Ihr es selbst wohl noch nie getragen habt.“

      Walram nahm seine Hand langsam wieder zurück und überhörte die Anspielung auf seine Eitelkeit. Geschlagen geben wollte er sich aber noch nicht: „Ihr könnt das Bündel gerne in meine Obhut geben, damit ich es verwahre, wie ich all die Habseligkeiten unserer Novizen verwahre, sobald sie dem Orden beitreten.“

      Degenar dachte jedoch nicht daran, das Bündel dem Prior zu überlassen, der hartnäckig blieb.

      „Habt keine Angst, ich gedenke beileibe nicht die Gewandung aufzutragen. Der Junge wird sie zurückerhalten, sobald er das Kloster verlässt. Oder sie wird am Tage des Mönchsgelübdes verbrannt, sofern er sich für diesen Weg entscheiden sollte. Ganz so, wie es der Ritus verlangt.“

      „Habt Dank für Euer großzügiges Angebot, Bruder Walram“, antwortete Degenar freundlich. „Unser ehrwürdiger Cellerar ist der unumstößlichen Meinung, er müsse die verdreckten Leinen erst einmal reinigen, bevor man sie Euch zur Aufbewahrung überantworten kann. Ganz so, wie es seine Pflicht ist.“

      Ohne den Blick vom Prior zu nehmen, warf Degenar seinem Freund das Bündel zu. Das kurze Zucken von Walrams Händen nach dem fliegenden Päckchen entging dem Abt nicht und er empfand eine gewisse Genugtuung dabei. Die glücklosen Hände des Priors ballten sich langsam zu Fäusten, die er hinter seinem Rücken verbarg. Seine Gesichtszüge verhärteten sich dabei und Walrams Unterkiefer mahlte im Zorn. Er rang um Beherrschung. Um ihm dies zu erleichtern, wechselte der Abt das Thema.

      „Weshalb seid Ihr überhaupt schon von der Feldarbeit zurück? Bis zur Vesperandacht ist es noch einige Zeit hin und die Arbeit auf den Feldern, wie ich sie für heute vorgesehen hatte, ist mit Sicherheit noch nicht erledigt.“

      „Nein, die Arbeit auf den Feldern ist wahrlich noch nicht getan! In Anbetracht der herrschenden Hitze muss ein Teil auf den morgigen Tag verschoben werden. Offensichtlich habt Ihr die Arbeitskraft unserer Mitbrüder unter diesen schweren Bedingungen überschätzt.“

      Walrams Kritik an Degenars Führung blieb ohne Reaktion. Der Abt ließ sich nicht provozieren und übte sich in Gleichgültigkeit, so dass Walram fortfuhr: „Für einige der Brüder war die Belastung in der Hitze zu groß oder besser gesagt: die von unserem ehrwürdigen Cellerar in seiner Weitsicht zugeteilte Menge an gewässertem Wein war zu gering. Beinahe wären einige Brüder vor Erschöpfung zusammengebrochen. Und da es der allmächtige Herr in seiner Weisheit und Macht für richtig befunden hat, uns heute einen heißen Tag zu bescheren, habe ich die ausstehenden Arbeiten verschoben. Nur zum Schutz, damit keiner der Brüder die eine oder andere Andacht im Hospital verbringen muss.“

      Ganz gezielt versuchte Walram Degenar und Ivo mit dieser Blasphemie zu reizen. Unter normalen Umständen wäre der Abt entschieden dagegen vorgegangen, doch die augenblickliche Situation ließ ihn stumm verharren. Sollte der Prior jedoch glauben, er könne mit dieser Taktik Degenar aus der Fassung bringen, so hatte er sich getäuscht.

      „Ehrwürdiger Prior, Ihr habt sicherlich richtig gehandelt, indem Ihr die erschöpften Brüder ins Kloster zurückgeführt habt. Weshalb jedoch keiner von ihnen auf die Idee kam, im Schatten der Bäume am nahen Bachlauf Erholung und Erfrischung zu suchen, statt auf eine Karaffe Wein zu hoffen, ist mir rätselhaft. Wie dem auch sei, natürlich habt Ihr das Problem auf Eure besondere Weise und zu aller Zufriedenheit gelöst.“

      Die Augen des Priors blieben starr auf den Abt gerichtet. Lediglich die kleinen Zuckungen der Lider verrieten, dass es Walram größte Anstrengung kostete, den Blick zu halten. Schnell sprach er weiter, als wäre keine Kritik an seinem Handeln geäußert worden.

      „Was wird mit ihm geschehen?“

      „Ich denke, die betreffenden Brüder sollten viel Wasser zu sich nehmen, sowie Sonne und größere Anstrengungen meiden, damit sie schnell wieder zu Kräften kommen.“

      „Ich spreche von dem Jungen, ehrwürdiger Abt!“

      „Vielleicht müsst Ihr Eure Fragen in Zukunft präziser formulieren, um solche Missverständnisse zu vermeiden! Was den Jungen betrifft, so gibt es in dieser Hinsicht klare Regeln unseres Ordens. Der Knabe bleibt zunächst als Novize bei uns. Sollten eines Tages Verwandte erscheinen und Anspruch auf ihn erheben, so darf er das Kloster jederzeit verlassen. Diese Verwandten müssten allerdings eindeutig beweisen, dass dies ihr Knabe ist. Ansonsten bleibt er bei uns.“

      „Ihr seid Euch Eurer Sache sehr sicher, nicht wahr, ehrwürdiger Abt?“

      „Gibt es denn einen Grund dies nicht zu sein, ehrwürdiger Prior? Es ist unser aller Aufgabe, den Bedürftigen und vor allem den Kindern zu helfen und ihnen Gott nahe zu bringen. Daher steht dieser Knabe unter meinem persönlichen Schutz.“

      Die Augenbrauen des Priors hoben sich