Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Schritten. Die Wache stoppte vor der Tür.

      Die Fremden waren bereit!

      Als sich die Tür nach innen bewegte, riss der Auflauernde sie mit aller Kraft auf, dass der erste Wachmann sein Gleichgewicht verlor und in die emporgereckte Klinge stürzte. Mit einem dumpfen Stöhnen sackte er tot auf den Steinboden. Im selben Moment zischten in kurzem Abstand zwei Pfeile durch die Öffnung und trafen den zweiten Wächter in Hals und Brust. Auch er ging, bis auf das leichte Klappern seiner Rüstung und Waffen, nahezu lautlos zu Boden.

      Sofort sprangen die Fremden zu den Toten und zerrten sie hastig in das Wachhaus. Danach machte sich der Bogenschütze auf den Weg hinunter zum Haupttor, während der Anführer die Fackeln der Gefallenen ergriff und auf den Wehrgang hinaus trat. Oberhalb des großen Burgtores blieb er stehen, hob beide Fackeln und schwenkte sie genau drei Mal in großen Bögen auf und nieder.

      Im selben Augenblick löste sich eine dunkle Reiterschar aus den schwarzen Baumreihen des Waldes und überquerte im Galopp die Wiesen vor der Burg. Es dauerte nicht lange und die ersten Pferde hatten den schmalen Pfad hinauf zur Feste erreicht. Das Burgtor öffnete sich langsam und wurde zu einem großen, schwarzen Maul, das bereit war, dem Verderben Einlass zu gewähren.

      Es hatte begonnen!

      * * *

      Sigrun blickte erneut in die windige Nacht hinaus. Das Unwetter näherte sich. Viel konnte sie draußen nicht erkennen, doch irgendetwas beunruhigte sie. Noch einmal überkam sie ein merkwürdiges, bedrohliches Gefühl, das sie näher an das Fenster treten und ihr Haupt über die Brüstung hinausrecken ließ.

      Die Gewitterwolken hatten den Nachthimmel erobert und verbargen den hellen Mond. Das bizarre Wetterleuchten war jetzt nahe und erweckte die Schatten der Nacht zum Leben. Der Donner rollte in schaurigem Rhythmus dazu. In der Dunkelheit der Nacht bemerkte Sigrun ein Licht auf dem fernen Wehrgang am Haupttor. Ein Wachmann rannte mit zwei Fackeln in das Innere des Wachturmes. Diese Eile machte Sigrun stutzig. Ihr Blick schweifte weiter zum Haupttor und mit Verwunderung beobachtete sie, wie sich erst der eine, dann der zweite Flügel des Portals langsam öffnete. Sie verstand nicht, was dort vor sich ging. Doch als sie wenige Augenblicke später eine Reiterschar über die Wiesen vor der Burg preschen sah, begriff sie: Gefahr! Flink rannte sie zurück zum Lager, ließ Rogar darauf nieder und schüttelte Farold.

      „Wach auf, schnell! Ein Überfall. Das Tor steht offen!“

      Farold öffnete die Augen. Als er die Furcht in Sigruns Gesicht sah, wusste er, dass es sich nicht um einen derben Scherz handelte, um ihn aus dem Schlaf zu reißen. Er setzte sich rasch auf, bereute es allerdings sofort. Doch diesmal ertrug er den hämmernden Schmerz und widerstand dem Verlangen, auf das Lager zurückzusinken. Mit einem Mal begriff er, was vor sich ging.

      „Dieser Verräter! Eine List. Nichts weiter als eine hinterhältige List!“

      Mit Schwung wollte er dem Bett entsteigen, doch der Wein forderte noch immer seinen Tribut. Farolds Bewegungen waren viel zu unkontrolliert. Statt auf den Füßen landete er auf den Knien. Sigrun half ihm auf.

      „Du hattest Recht, Sigrun, die ganze Zeit schon. All die Jahre hattest du Recht gehabt und ich war ein blinder Narr!“

      „Wovon sprichst du?“

      Verwirrung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, doch Farold konnte jetzt nicht die Zeit aufbringen, um ihr seine Erkenntnis zu erläutern. Stattdessen versuchte er, seine Gemahlin zur Flucht zu bewegen. „Schnell, geh‘ und bring‘ euch beide in Sicherheit. Ich werde die Männer alarmieren.“

      Sigrun zögerte, denn sie verstand nicht. Als sie trotz seines Drängens nicht gehen wollte, schob er sie sachte von sich. Seine Stimme wurden leise und dadurch noch eindringlicher: „Geht jetzt, schnell! Nehmt die Pferde und versteckt euch im Wald an unserem Platz. Jetzt geh‘ schon, euch bleibt nur noch wenig Zeit.“

      Die Beharrlichkeit seiner Worte flößte Sigrun Furcht ein, doch sie vertraute ihrem Gatten. Sofort stand sie vom Lager auf und ergriff die Hand des Jungen, der sich mit fragendem Blick vom Bett erhob. Farold hatte Recht, sie durfte nicht zu lange warten. Sie musste handeln und zwar jetzt.

      Mit schnellen Schritten eilte Sigrun zur Tür. Bevor sie entschwand, hielt sie kurz inne und schaute sich nach ihrem Gatten um. Der saß noch immer auf dem Bett und rang mit seinem schmerzenden Kopf. Noch einmal kam Sigrun zu Farold zurück, gab ihm einen innigen, verzweifelten Kuss und wollte wieder zur Kammertür laufen. Doch diesmal hielt Farold sie zurück und zog sie mitsamt des Jungen zu sich auf das Bettgestell.

      Für einen unendlich langen Moment trafen sich ihre Blicke, die ganz ohne Worte so viel sagten. Schließlich brach Farold die Starre. Er zog eine goldene Kette von seinem Hals, nahm dann seinen Siegelring vom Finger und fädelte ihn auf die Kette. Anschließend streifte er das Schmuckstück über den Kopf seines Sohnes. Rogar verstand nicht, was dieses Geschenk zu bedeuten hatte. Er schaute überrascht auf die Kette und wunderte sich, dass sie so schwer war.

      Sigrun sah ihren Gatten entsetzt an. „Was hat das zu be…?“

      Farold unterbrach sie mit einer sanften Berührung. Seine Worte waren ruhig und besonnen. Er wusste genau, was er tat.

      „Wir beide sind uns sicher, dass Rogar ihn eines Tages tragen wird.“

      „Aber …?“

      „Still jetzt! Lauft lieber. Die Zeit drängt. Ich komme schon zurecht, mit Gottes Hilfe.“

      Sigrun wusste, dass jetzt keine Zeit für einen langen Disput war. Noch ein flüchtiger Kuss, dann eilte sie mit Rogar auf dem Arm zur Tür. Dort drehte sie sich ein letztes Mal um.

      Sie sah, wie Farold auf der Bettkante sitzend versuchte, zuerst seine Kleidung und dann die Rüstung anzulegen. Er hatte sichtlich Schwierigkeiten bei dieser einfachen Aufgabe. Er bemerkte das Zögern seiner Gemahlin und schaute auf. Sigruns Gefühl, dass dies ein Abschied auf ewig sein sollte, wurde immer stärker. Sie blickte ihren geliebten Gatten lange an, als wolle sie sich sein Bild für immer einprägen.

      „Ich liebe dich“, flüsterte sie ihm zu.

      „Ich weiß!“

      Mehr musste Farold nicht sagen. Erneut sprachen ihre Blicke mehr, als Worte es je vermocht hätten. In diesem Moment schien es niemanden sonst auf der Welt zu geben. Für diesen kurzen Augenblick waren sie eins. Dann entschwand Sigrun durch die Tür.

      Flink lief sie mit Rogar die steinernen Stufen der gewundenen Treppe hinunter, bis sie endlich das erste Stockwerk erreichten. Dort befand sich der einzige Übergang zwischen Bergfried und dem Hauptgebäude der Burg, der großen Halle. Sie öffnete die Tür des Turmes und betrat den einfachen hölzernen Steg, der sich ohne Geländer oder Halt etwa drei Mann hoch über dem Burghof befand.

      Sie war auf diesem Steg schon unzählige Male gegangen, bei Tag und Nacht, bei Sonnenschein, Regen und Schneefall. Selbst mit Rogar auf ihrem Arm war sie stets sicher auf der schmalen Brücke gewesen. Doch noch niemals zuvor war sie dabei in solcher Eile gewesen, noch nie hatte sie ihn mit Furcht überqueren müssen.

      Im Falle der größten Bedrängnis konnte der Steg mit wenigen Handgriffen abgebrochen und die kleine Tür des Turmes verriegelt werden. Auf diese Weise konnte der Bergfried zu einer eigenen, schwer einzunehmenden Festung innerhalb der Burg werden. Doch nur dann, wenn sich eine starke Besatzung darin befand, die ihn auch zu verteidigen wusste. Das war heute Nacht allerdings nicht der Fall, denn mit einem Angriff hatte man in der herrschenden Friedenszeit nicht gerechnet. Ein Teil von Farolds Kriegern weilte bei König Otto, der nach dem Feldzug gegen die ungarischen Horden im vergangenen Jahr noch immer ihre Unterstützung benötigte.

      Als Sigrun das Ende des Steges erreichte, schaute sie zum Tor und sah mit Schrecken die ersten Feinde zu Pferd in den Hof eindringen. Ohne jegliche Gegenwehr nahmen sie den inneren Burghof ein. Rasch öffnete Sigrun die Verriegelung der Tür zur großen Halle und verschwand im Dunkel des Saales. Über eine steile Treppe gelangte sie nach unten. Dort, wo abends alle Burgbewohner versammelt eine Mahlzeit zu sich nahmen, Beratungen und Zusammenkünfte abgehalten wurden und des Nachts der Großteil der Mägde, Knechte und Waffengetreuen