Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Ebene des Bergfrieds fand Brandolf menschenleer vor. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes. Hoffnung keimte in ihm auf. Das Schwert fest in beiden Händen, spurtete er die steinerne, gewundene Treppe hinauf. Auf der nächsten Ebene sah er die ersten Toten. Die Nordmänner waren also doch schon im Bergfried! Er schaute sich kurz um. Die Toten waren nicht bewaffnet. Wahrscheinlich waren sie aus der großen Halle geflohen und hatten Zuflucht in der letzten Bastion der Burg gesucht. Statt Schutz hatten sie nur den Tod gefunden.

      Abscheu über diese sinnlose Metzelei überkam Brandolf. In dieser Nacht schien alles möglich zu sein. Schließlich handelte es sich bei den Angreifern um Barbaren, die in ihrer heidnischen Sprache offensichtlich kein Wort für Gnade kannten. Brandolf musste jetzt vorsichtig sein und durfte trotz seiner Eile nicht in einen Hinterhalt geraten. Er rannte die unübersichtliche, schmale Treppe zur nächsten Ebene hinauf. Plötzlich vernahm er Poltern und Kampfeslärm nur einen Stock darüber.

      ‚Der Graf, dachte Brandolf alarmiert. Er hatte am vergangenen Nachmittag mit ansehen müssen, wie sein Herr einen Becher Wein nach dem anderen geleert und sich erst nach dem Drängen seiner Gemahlin zurückgezogen hatte. Brandolf hatte sich gefragt, welche schlechte Nachricht Farold dazu veranlasst haben konnte, derart gegen seine Prinzipien zu handeln. Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mochte: Mit großer Wahrscheinlichkeit befand er sich jetzt noch lange nicht in der Verfassung, sich seiner Feinde zu erwehren.

      Mit langen Schritten stürmte Brandolf die letzten Stufen hinauf und durch die offene Tür in die Kammer des Grafen. Mit einem schnellen Streich fällte er den ersten Nordmann in seinem Weg. Ohne zu zögern eilte er auf zwei weitere Schergen zu. Die waren von dem unerwarteten Ansturm so überrascht, dass Brandolf den Kampf mit beiden gleichzeitig aufzunehmen wagte. Ein paar harte, flinke Schwerthiebe drängten sie bald in eine Ecke des Raumes, wo sie ihr jähes Ende fanden.

      Rasend vor Wut wandte sich Brandolf dem letzten Eindringling zu. Der Anblick, der sich ihm bot, traf ihn jedoch wie ein Schlag und drohte ihm seine ganze Kraft zu rauben. Der Graf wurde vor seinen Augen von der Wucht einer Barbarenklinge zu Boden geschmettert. Schwer verwundet und stark blutend hatte Farold den Breitsax zwar ablenken können, doch seine Kräfte waren am Ende. Einem weiteren Streich würde er mit Sicherheit nicht standhalten können!

      Dessen war sich auch der Nordmann bewusst. Mit einem feisten Grinsen stand er über Farold und hob seine Waffe genüsslich zum Todesstoß empor. Diese Überheblichkeit nutze Brandolf. Obwohl zu einem weiteren Schwertstreich noch nicht bereit, stürmte er brüllend auf den Nordmann zu und hieb ihm den Schwertknauf mit voller Wucht ins Gesicht. Der Barbar fiel mit einem Schrei nach hinten. Das eben noch triumphierende Gesicht des Nordmannes hatte sich zu einer zahnlosen Fratze gewandelt, aus deren Mundwinkel das Blut tropfte. Er hatte keine Zeit mehr, sich Gedanken darüber zu machen, wie entstellt er sein mochte, denn Brandolfs letzter Schwertstreich trennte den unansehnlichen Kopf vom Rest des Körpers. Schlagartig trat eine unheimliche Stille ein.

      Nur noch Herzschlag und Atem dröhnten in Brandolfs Ohren.

      Er wandte sich seinem Herrn zu, der regungslos zu seinen Füßen lag. Der junge Krieger sackte auf die Knie, das Schwert entglitt seiner plötzlich kraftlosen Hand. Es kam ihm vor, als durchlebe er das traurige Ende seiner Gräfin erneut. Nur kniete er diesmal neben dem Leichnam ihres Gatten, dem Grafen Farold.

      Doch der Herr war noch nicht tot! Er blutete zwar stark, jedoch atmete er noch, wenn auch kaum merklich. Seine Wunden waren zahlreich und tief. Obwohl Brandolf ahnte, dass die Verletzungen tödlich waren, versuchte er dennoch das austretende Blut mit dem Leintuch des Bettes aufzuhalten. Hilflos wie ein kleines Kind zerrte er es vom Lager, wusste jedoch nicht, wo er beginnen sollte. Es waren einfach zu viele Wunden und zu viele Tränen in seinen Augen, als dass er noch hätte klar handeln können. In seiner Verzweiflung presste er das Tuch einfach auf den Körper des sterbenden Grafen. Schon bald zeigte sich das Rot in immer größer werdenden Flecken auf dem hellen Linnen und Brandolf sah, wie das Leben seines Herrn regelrecht verrann.

      Plötzlich schaute Farold zu ihm auf und versuchte, etwas zu sagen, doch seine Kräfte ließen ihn bereits im Stich. Er brachte lediglich ein leises Röcheln hervor. Dennoch glaubte der junge Krieger, den Namen „Sigrun“ ganz leise vernommen zu haben. In den letzten Augenblicken seines Lebens wollte der Graf über das Schicksal seiner geliebten Frau Gewissheit haben. Was sollte Brandolf berichten? Er hatte sie sterben sehen, doch das wollte er seinem Herrn so kurz vor dem Tode nicht offenbaren. Ratlos suchte er nach einer tröstenden Antwort.

      Wie aus der Ferne hörte sich Brandolf schließlich die Worte sagen: „Ich sah ihr Pferd aus dem Tor galoppieren.“

      Fragen zeichneten sich auf dem Gesicht des Sterbenden ab. Ganz leise brachte er ein krächzendes „Rogar“ hervor. Diesmal fiel Brandolf die Antwort leichter.

      „Der Junge war auf dem Pferd.“

      Das waren wohl die richtigen Worte, denn Farold schloss mit einem erleichterten Lächeln die Lider. Brandolf glaubte ihn bereits tot, als sich die glasigen Augen noch einmal öffneten. Erneut versuchte der Sterbende zu sprechen, diesmal etwas deutlicher und lauter.

      „Eine List …“, begann er, musste dann allerdings nach Atem ringen.

      Brandolf verstand nicht. Er wartete, bis der Graf erneut genügend Kraft zum Sprechen fand. „Er war es! Er hatte es schon immer darauf …“

      Ein starker Husten unterbrach die wenigen klaren Worte und schien Farold die letzte Kraft zu rauben. Er ruhte sich etwas aus, wobei Brandolf glaubte, den Atem seines Herrn immer weniger zu spüren. Dann setzte der Graf noch einmal zum Sprechen an. Seine Worte mussten von größter Bedeutung sein, sonst würde er mit Sicherheit diese Anstrengung nicht auf sich nehmen. Um ihn besser verstehen zu können, beugte sich Brandolf nach vorne.

      „Verflucht seien er und dieses Weib!“, hauchte der Graf.

      „Wer?“

      Eine kurze Pause, dann fuhr der Graf fort: „Er wollte sie schon immer haben, die Burg und die Grafschaft …“

      Farolds Blick wurde mit einem Male wieder feurig und klar. Sein ganzer Körper spannte sich noch einmal an und er zog Brandolf mit überraschender Kraft zu sich hinab. Das Flüstern in seinem Ohr erfüllte den Schädel des jungen Kriegers. „Schwöre mir, mein treuer Brandolf, dass du sie finden wirst. Schwöre mir, dass du sie beschützen wirst. Hilf ihnen! Schwöre mir … schwöre mir Rache. Schwöre es, bei Gott … und allem, was dir heilig ist!“

      Obwohl Sigrun bereits tot und der Junge verschwunden war, konnte Brandolf nicht anders, als dem letzten Wunsch seines Herrn zu entsprechen. Er nahm Farolds Hand fest in die seine und blickte ihm in die Augen. „Ich schwöre es, mein Herr, bei Gott und allem was mir heilig ist. Ich schwöre es.“

      Die Worte erleichterten den Grafen sichtlich und der geschundene Körper entspannte sich wieder. Das schwache Lächeln zeigte sich erneut auf seinen Lippen. Dann versuchte Farold noch einmal zu sprechen, doch Brandolf verstand nur Bruchstücke davon: „… im Wald, dort wo … Felsen mit der Wolfshöhle … werden sie warten.“

      Mehr vermochte er nicht zu sagen. Mit großer Anstrengung füllte Farold ein letztes Mal seine Lungen, dann weiteten sich seine Augen in plötzlicher Erlösung. Der Leib des Grafen erschlaffte und sein letzter Atem entwich langsam. Gesenkten Hauptes schloss Brandolf vorsichtig die Lider der leblosen Augen und betrachtete das Antlitz des Toten.

      Trotz all des Blutes und der vielen Wunden lag ein merkwürdiger Frieden auf Farolds Gesicht. Eine unbeschreibliche Ruhe, Würde und Macht umgaben den Leichnam und zogen den jungen Krieger in ihren Bann. Brandolf wurde in diesem Augenblick klar, dass er seinem Herrn selbst über den Tod hinaus treu ergeben sein würde. Er musste seinem Eid gerecht werden! Er verharrte noch einen Augenblick bei dem Leichnam, dann erhob sich Brandolf entschlossen und ergriff das Langschwert mit kraftvoller Hand. Mit festen Schritten trat er aus der Kammer. Er wusste, was er zu tun hatte, und er schwor, diesmal nicht zu spät zu kommen.

      * * *

      Es war ein tödlicher Tanz, den Brandolf vollführte. Er beherrschte ihn mit einer Perfektion wie kein zweiter in dieser Nacht. Trotz des heftigen Regens und des rutschigen, schlammigen Bodens im Burghof