Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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seine Ohren. Dort draußen loderte kein gewöhnliches Feuer, was schon bedrohlich genug für die Burg gewesen wäre. Nein, die Ursache des Brandes war die tatsächliche Bedrohung: Die Greifburg wurde angegriffen!

      Plötzlich befand sich der ganze Saal in Aufruhr. Selbst der einfachste Mann begriff, was sich auf dem Burghof abspielte. Die eben noch zielstrebigen Männer waren plötzlich nicht mehr so entschlossen, den Brand zu löschen und schlossen die Türflügel wieder.

      Nervosität stieg auf und Furcht lag in der Luft. Die Wenigen mit klarem Verstand hatten Mühe, die Besorgten zu beruhigen und sie daran zu hindern, kopflos aus der Halle in ihr Verderben zu stürzen. Einige rafften ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und verbargen sich in den Tiefen des Raumes. Mütter nahmen sich ihrer weinenden Kinder an und stellten sich schützend vor sie. Zwei alte Frauen begannen, murmelnd vor sich hin zu beten und den Herrn um Gnade anzuflehen. Mehr konnten sie im Augenblick ohnehin nicht tun.

      Brandolf hingegen wusste, was darüber hinaus zu tun war. Hastig gürtete er sein Schwert und überlegte kurz, ob er sich das eisenbeschlagene Lederwams noch überziehen sollte. Als er jedoch sah, wie zwei weitere Kämpfer damit rangen, ihre Rüstung anzulegen, entschied er sich dagegen und spurtete auf den Burghof hinaus. Noch bevor er durch die Tür trat, hielt er bereits das gezogene Langschwert in der Hand. Die Waffe lag so selbstverständlich in seiner Rechten, als sei sie mit seiner Hand verschmolzen.

      Schnell verschaffte sich Brandolf einen Überblick. Einer der Schweinekoben neben den Stallungen hatte Feuer gefangen, und die Flammen erhellten das Szenario auf erschreckende Weise. Menschen wie Tiere schrien in Todesangst. Doch der brennende Koben war nicht von Bedeutung, denn die Schweine würden nach Brandolfs Einschätzung in dieser Nacht sicher die geringsten Opfer sein.

      Er beobachtete weiter, während er langsam und wachsam über den Hof schritt. Er sah merkwürdig gekleidete Männer, die mit zum Teil grausam bemalten Gesichtern und blutigen Waffen durch die Burganlage rannten. Sie erstürmten jede Tür, die sich ihnen darbot und metzelten jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. Anhand ihrer seltsamen Kleidung und der merkwürdigen Bemalung glaubte Brandolf jene gefürchteten Krieger des Nordens vor sich zu sehen, die für ihre brutalen Übergriffe berüchtigt waren.

      Gerade als er sich einem der Feinde näherte, sah er, wie das Tor des Pferdestalles von innen geöffnet wurde. Eine Frau trat auf den Hof und führte ein ungesatteltes Pferd mit sich. Was um Gottes willen hatte ein Weib in dieser Blutnacht hier draußen verloren? Auf dem Rücken des Pferdes erkannte Brandolf eine kleine, verhüllte Gestalt.

      Der junge Krieger konnte die Frau nicht erkennen, da der Hals des Tieres ihren Kopf verbarg. Erst als sie dem Tier einen Schlag auf die Flanke gab und es davonpreschte, erkannte Brandolf ihr Gesicht. Es war Sigrun, seine Herrin! Die kleine Gestalt auf dem Pferd musste Rogar sein. Brandolf konnte nicht begreifen, weshalb eine Mutter ihr einziges Kind in einer solchen Nacht allein davonschickte. Warum zog die Gräfin die Flucht ihres Kindes dem Schutz des Bergfriedes vor? Und wo war ihr eigenes Pferd?

      Nur einen Herzschlag später wurde Brandolf alles klar. Hinter Sigrun rannten zwei der Barbaren mit gezogenen Klingen auf sie zu.

      ‚Ein Opfer, schoss es Brandolf durch den Kopf. Ein Opfer, zu dem nur eine liebende Mutter fähig sein konnte. War die Verteidigung der Feste bereits so aussichtslos, dass nur noch Flucht die Familie retten konnte?

      Die Waffen zum Todesstoß bereit, waren die Angreifer schon nahe bei der Gräfin. Brandolf preschte los, doch sein Versuch, Sigrun zu retten war zum Scheitern verurteilt. Sie war so weit entfernt, dass er sie niemals würde rechtzeitig erreichen und schützen können. Brandolf wollte es dennoch nicht wahrhaben. Lauthals versuchte er, die nackte Wahrheit zu leugnen und das Unabwendbare zu stoppen, als die Angreifer Sigrun mit tödlicher Wucht erreichten.

      Sein Schrei zeriss die Nacht: „NEEEIIIN …!“

      Machtlos musste Brandolf mit ansehen, wie die tödliche Klinge des Barbaren blutrot aus dem Brustkorb seiner schönen Herrin ragte. Tot sackte sie zu Boden.

      Mit der Wucht seines Laufs und einem Schrei der Wut traf Brandolf auf den Nordmann. Er benötigte nur einen Streich, um das Schicksal des Barbaren zu besiegeln, der noch damit beschäftigt war, seine Klinge aus dem leblosen Körper zu befreien, dass er nicht einmal erkennen konnte, wer sein Leben so rasch beendete.

      Der zweite Nordmann konnte den in Rage kämpfenden Brandolf zumindest mit erhobener Axt und schützendem Rundschild empfangen, doch auch er war weder der Wut noch der Perfektion von Brandolfs Kampfstil gewachsen. Die unglaubliche Schnelligkeit und Kraft der Hiebe des jungen Kriegers trieben den Barbaren in eine Ecke, wo er ein schnelles Ende fand.

      Ohne sich weiter um die beiden Gefallenen zu kümmern, lief Brandolf zu seiner Herrin. Er wusste, dass der erlittene Stoß tödlich gewesen war, doch insgeheim hoffte er auf ein Wunder. Er kniete neben dem Leichnam nieder und verharrte dort kurz, als wartete er auf eine Regung von der jungen Frau.

      Sigrun war tot!

      Seine Herrin war niedergestreckt worden, weil er zu langsam gewesen war. Ihr Blut wurde vom Erdboden des Burghofes aufgesogen, als zöge er das Leben aus dem jungen Körper. Behutsam zog Brandolf die tödliche Klinge aus ihrem Leichnam, was ihm nahezu leiblichen Schmerz bereitete. Wütend schleuderte er den Stahl fort. Trauer breitete sich in seiner Brust aus und am liebsten hätte er diesem Gefühl nachgegeben, doch er verdrängte es, schluckte es herunter. Dafür war jetzt noch keine Zeit. Brandolf wandelte stattdessen die unsägliche Trauer in Wut, dem einzigen Gefühl, das ihm jetzt noch beistehen konnte.

      Im Burghof waren die Pforten der Hölle geöffnet worden und sie empfingen Brandolf mit einem Meer von Flammen, Hitze und Verderben. Das Feuer des Schweinekobens griff auf den Pferdestall über und es schien unmöglich, den Brand zu löschen. Die panischen Schreie der sterbenden Tiere gellten in Brandolfs Ohren. Sie waren jetzt nicht von Bedeutung, obwohl sich sein eigenes Pferd auch im Stall befand. Aus den Augenwinkeln bemerkte er den Stallmeister vorbeirennen, doch auch ihm schenkte er keine Beachtung. Das Feuer war nicht Brandolfs Feind. Nordmänner waren überall und kämpften gegen den verzweifelten, törichten Widerstand einiger Knechte an, die ihnen entgegentraten.

      Es war ein ungleicher Kampf.

      Ein gewaltiger Donnerschlag, der in seiner Wucht den Leibhaftigen selbst hätte ankündigen können, riss Brandolf aus seiner geistigen Abwesenheit. Abrupt setzte dichter Regen ein, der Brandolfs Gewandung innerhalb weniger Augenblicke durchnässte. Mit festem Schritt überquerte er den Hof. Niemand stellte sich ihm in den Weg. Langsam beschleunigte Brandolf seinen Gang und rannte schließlich auf das Hauptgebäude zu. Jetzt galt es, den Bergfried als letzte Bastion vor den Eindringlingen zu verteidigen. Die Burg war vielleicht verloren, doch der Bergfried konnte noch gehalten werden.

      Viel zu langsam erreichte Brandolf den großen Saal. Es schien, als ob der Sturzregen seine Schritte verzögerte, als ob er mit den Füßen im Morast des Kampfes stecken zu bleiben drohte.

      Im Innern der Halle hatten sich Mägde und Knechte, Frauen und Kinder sowie Alte und Junge ängstlich in eine Ecke gedrängt, ohne Widerstand gegen drei Nordmänner zu leisten, die sich gerade ein junges Mädchen gefügig machten. Schluchzen und verzweifelte Hilferufe erfüllten das Gebälk, doch es rührte sich keiner, um dem Mädchen beizustehen. Stattdessen wurde ihr Flehen nur mit dem hämischen Lachen der Schänder beantwortet.

      Sie waren derart mit ihrem Opfer beschäftigt, dass sie Brandolf nicht bemerkten. Die Schreie der jungen Frau erreichten ihren kreischenden Höhepunkt, als der erste Vergewaltiger auf ihr und anschließend die beiden anderen Barbaren tot neben ihr zusammensackten. Sie hatten noch nicht einmal ihre Waffen gegen Brandolf erheben können, so schnell besiegelte er ihr Schicksal. Angsterfüllt versuchte die Magd sich des auf ihr liegenden Leichnams zu entledigen. Brandolf half ihr nicht dabei. Allein die Schänder zu töten, hatte schon viel Zeit in Anspruch genommen.

      Mit großen Sprüngen nahm der Krieger gleich mehrere Stufen der steilen Holzstiege, eilte nach oben, trat durch die Tür und ließ die große Halle hinter sich. Vor dem rutschigen Steg zum Bergfried hielt er kurz inne. Zu seinem Entsetzen stand die Tür des Turmes weit offen. Brandolf hoffte inständig, dass dies nichts zu bedeuten hatte, doch da sich bereits Nordmänner