Название | Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek |
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Автор произведения | Peter Schrenk |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783745212532 |
„Muss das sein, Mutti?“, nölt die Tochter von der anderen Seite des Tisches, und der MUK-Kommissar, als ginge ihn das Gespräch überhaupt nichts mehr an, starrt angelegentlich zum Seeufer hinüber.
„Ich würde das gerne hören“, sagt Benedict, und das entspricht der Wahrheit.
Während Diana sich um das Kaffeegeschirr kümmert, begibt sich Meißner zum Bootssteg ans Seeufer, und der Düsseldorfer sitzt mit dessen Frau und ihrer umfangreichen Plattensammlung schließlich allein im Wohnzimmer vor der Stereoanlage. Das erste Mal sieht er das Gesicht des Amerikaners, den er bisher nur aus Raschkes MfS-Berichten kennt. Hübsche, weiche Gesichtszüge. Irgendwie kommen ihm die Worte sanft und lieblich in den Sinn, obwohl der junge Mann auf den meisten Plattencovers als männlich-harter Cowboy posiert. Dean Sanger. Das Gesicht umrahmt von einer halblangen Haarpracht, die ihn zu jener Zeit in der DDR zusätzlich zu einem Exoten gestempelt hätte. Wäre er nicht schon einer von sich aus gewesen. Denver, Colorado. Welten lagen zwischen diesem Nest in Ost-Berlin und den Rocky Mountains.
„Und ... wie finden Sie ihn?“
Die Frage richtet Ingeborg Meißner ein Dutzend Platten später an ihn, und er beantwortet sie zögernd mit ausweichender Höflichkeit. „Ich kenne mich da nicht so gut aus mit. Hier war er ja wohl ganz erfolgreich.“
„Dean war für uns der Bote einer anderen, sonst verbotenen Welt. Er verkörperte all das, was wir nicht hatten. Offenheit, Freundlichkeit, Spontaneität, Weitläufigkeit... er brachte so etwas wie Glamour in unseren sozialistischen Alltag. Der Duft der großen, weiten Welt!“
Benedict lässt sich nichts von seiner Skepsis anmerken. Die Aufnahmen, die er soeben über sich ergehen ließ, siedelt er für seinen Geschmack irgendwo zwischen American Kitsch & Schmalz, Gus Backus und Burg Waldeckscher Klampfenromantik an. Er war nicht direkt schlecht, nein. Mit guter Promotion, besserer Aufnahmetechnik und exzellenten Background-Bands hätte Dean Sanger sich auf dem westdeutschen Schlagermarkt eine Villa mit Swimmingpool in Miami zusammen singen können. So gut wie Howie war er allemal. Zumindest was die Gesangskünste betraf. Aber Dean Sanger war eben nicht nach West-Deutschland gegangen, sondern in die DDR, hatte nicht die Villa in Miami gewählt, sondern ein Haus in Rauchfangswerder. Was um alles in der Welt hatte den netten Hübschling mit der kleinen Singstimme dazu getrieben? Und was war mit seinem merkwürdigen Tod durch Ertrinken im Juni 1986, dessen nähere Umstände für Benedict immer noch im dunkeln lagen?
Durch seine Gastgeberfamilie schien nach Benedicts Beobachtung, was die Person des Dean Sanger betrifft, ein eigenartiger Riss zu gehen. Des MUK-Leiters Haltung mochte dabei auch von einer gewissen, nachträglichen Eifersucht geprägt sein. Die unverhohlene Bewunderung, die sich immer noch in den glänzenden Augen seiner Frau bemerkbar machte, quittiert Meißner beim Abendessen mit kurzen und bissigen Bemerkungen. Gegen zehn verlassen sie auf der Flucht vor den angriffslustigen Mückenschwärmen die Wiese vor dem Haus, und Benedict verabschiedet sich mit einer Flasche Bier schläfrig auf sein Zimmer.
Gerade hat er sich erleichtert die Schuhe von den geschwollenen Füßen gepellt, als ein leises Klopfen an der Tür seine Vorbereitungen zur Nacht unterbricht. Erstaunt öffnet er die Tür.
„Ich hoffe, Sie schlafen noch nicht?“
Diana Meißner, die ihr Zimmer auch im ersten Stock hat, steht unsicher im Türrahmen. In der Hand hält sie ein Buch.
„Nein, sicher nicht. Kommen Sie ... komm doch rein.“
„Ich weiß ja nicht, warum Sie sich so für Dean Sanger interessieren, aber er hat mir mal ein Buch über sich geschenkt. Wenn Sie das haben wollen ... sogar mit Widmung!“
Sie hält ihm das dünne Bändchen mit Dean Sangers Foto auf dem blauen Einband entgegen und bleibt dann abwartend neben dem Türrahmen stehen. Zum Setzen kann er sie schlecht auffordern, denn außer dem schmalen Gästebett gibt es keine Sitzgelegenheit in dem kargen Zimmer. Also blätterter im Stehen das Büchlein mit dem Titel „Aus meinem Leben“ durch.
„Für Diana, alles Gute! Dean Sanger“, liest er laut.
„Das bin ich!“, sagt sie, und tatsächlich klingt aus ihrer Stimme so etwas wie Stolz.
„Also findest du ihn doch ganz gut, oder?“
„Na ja, früher mal. Als ich noch klein war“, windet sie sich ein bisschen.
„Aha ...“, versucht Benedict seinen Spott zu unterdrücken.
„Dean Sanger war mehr was für ältere Leute wie meine Eltern, die Oktoberclub-Generation. Wir standen mehr auf echtem West-Rock oder DDR-Bands wie City, Silly oder Karat. Vielleicht auch noch die Puhdys oder Nina Hagen.“
„Und warum?“
„Der Dean Sanger hatte doch nicht so viel drauf. Texte und Musik, meine ich. Und außerdem war der immer so ... politisch und lieb Kind bei den Parteioberen. Nö, Dean Sangers Gesülze war nicht mehr unser Ding!“
Am folgenden Sonntag, von ungewohnt lautem Vogelgezwitscher früh geweckt, nutzt Benedict die morgendliche Stunde zu einem ausgiebigen Spaziergang durch Rauchfangswerder. Die Anschrift von Dean Sanger aus den MfS-Akten hatte er sich mit einiger Anstrengung vor Augen gerufen, und nach kurzem Suchen steht er vor dem Anwesen am Schmöckwitzer Damm. Eigentlich weiß er gar nicht genau, warum er diesen Ort aufsucht. Schließlich kann er da nicht einfach reingehen und mit Sangers Witwe ein morgendliches Pläuschchen veranstalten. Worüber auch? Aber wenigstens hat er sich einen Eindruck von den Lebensumständen des Sängers verschafft. Weiß jetzt, an welchem Ort Raschke den Amerikaner zur Mitarbeit gewonnen hat. Und die Witwe würde sowieso mit Vorsicht zu genießen sein, denn immerhin war sie ja nicht so ganz uneingeweiht gewesen.
„Nu, ’n bisschen umgesehen?“, begrüßt ihn Meißner am Frühstückstisch mit Misstrauen in der Stimme.
„Ja. Herrliche Gegend hier!“
„Haben Sie Lust zu einer kleinen Spazierfahrt?“, fragt ihn Herbert Meißner, als sie das Frühstück beendet haben.
„Bei dem schönen Wetter?“
„Ist vielleicht zu weit zum Laufen, aber wenn Sie nicht wollen ..."
Nach kurzer Fahrt halten sie vor einem kleinen, stillen Friedhof, und Meißner führt den West-Polizisten wortlos zu einer Grabstelle mit einem fast unbearbeitet wirkenden Findling. Grobe Steinmetzwerkzeuge haben ihn mit einer Inschrift versehen. Dean Sanger 22.9.1938 -12.6.1986.
Hier also liegt er begraben. Ein richtiger Friedhof. Das leichte Rauschen der Kiefernkronen unterstreicht nur noch die Ruhe der Anlage. Einen weiten Weg ist er gegangen. Von den Ausläufern der Rockies bis zu den märkischen Sanddünen.
„Es gibt da so eine Geschichte zu diesem Grabstein ..."
„Ja?“
„Angeblich hat seine Frau panische Angst davor gehabt, dass er sie in Richtung Amerika verlassen wollte. Um sie zu beruhigen, hat er vor seiner letzten USA-Reise dieses Grab und diesen Grabstein gekauft. Da war sein Todesdatum aber wohl noch nicht drauf“, kann sich Meißner den Sarkasmus nicht verkneifen.
„Hat wohl nicht nur seine Frau davor Angst gehabt!“
„Wieso?“
„Raschke hat in seinen Berichten über Sanger sehr oft betont, dass dieser keinesfalls beabsichtige, der DDR den Rücken zu kehren. Für meinen Geschmack etwas zu oft. Klang ein bisschen so, wie das berühmte Pfeifen im Wald!“
„Kann ich mir gar nicht vorstellen. Dem ging’s doch nun wirklich gut bei uns. Können wir weiter?“ Später lenkt Meißner den Lada auf einen engen Forstweg und hält erst, als sie schon Wasser durch die Bäume blinken sehen. Wenige Meter gehen sie noch zu Fuß, bevor sie den Wald verlassen und am Rande eines flachen, verschilften Seeufers stehen. Nicht weit entfernt ragt ein Wasserrettungsturm auf. Da drüben, zeigt Meißner in die Anfahrtrichtung,