Freiheit in Kaponga. Jo Moe

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Название Freiheit in Kaponga
Автор произведения Jo Moe
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347032491



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checkten wir in der Herberge ein und in dem Augenblick, als wir an der Rezeption standen und uns ins Gästebuch einzutragen hatten, verabschiedete sich die junge Frau schon wieder und verschwand zurück in den Regen. Irgendwie hoffte ich in diesem Augenblick darauf, dass ich sie wiedersehen würde …

      Die nächsten beiden Tage machten David sowie Karina ihr Ding, sie wollten ihre Ruhe haben und sich erholen. Auch ich schlenderte entspannt durch die Stadt, zwischen Orangenbäumen entlang oder nahm mir ein Buch zur Hand. Ich bemerkte dabei auf zahlreichen unterschiedlichen Wegen, dass die Menschen in diesem Ort weitaus freundlicher und zugänglicher als noch in Bolivien waren. Dort gaben sie sich nicht etwa unfreundlich, aber eben doch sehr zurückhaltend und verschlossen. An unserem letzten Abend, bevor wir Salta wieder den Rücken zukehren wollten, veranstaltete das Hostel ein Barbecue mit bestem argentinischem Rindfleisch.

      Und während wir am Tisch hockten, lecker speisten und uns mit all den anderen Reisenden unterhielten, spazierte doch plötzlich „La Linda“ zum Grill, nahm sich einen Batzen vom Rost, setzte sich zu uns an den Tisch, warf mir einen flüchtigen Blick zu und unterhielt sich mit Leuten, die sie scheinbar schon kannte. Mit mir kam sie leider nicht ins Gespräch und so quatschte ich mit David über unsere nächsten Reisetage. Wir überlegten, ob wir der Nähe wegen vielleicht einen Abstecher nach Chile machen sollten, jedoch kurz bevor wir in Argentinien ankommen sollten, ereignete sich auf chilenischen Gebiet ein schweres Erdbeben und zwar das sechststärkste bisher weltweit, was seit Beginn der seismischen Aufzeichnung im Jahr 1900 je gemessen wurde.

      Das Epizentrum dieses Erdbebens war zwar einige hundert Kilometer weiter südlich gelegen als jene Region, in welcher wir über die Grenze kommen würden; aber es erschien mir nahezu pervers, ein Land zu besuchen, welches gerade wirklich andere Probleme zu bewältigen hat, als den Reisenden ihr eigenes Land fröhlich zu präsentieren … Aus diesem Grund entschieden wir uns dagegen und für Cordoba — jenen Ort, wo einst Fußball-Deutschland bei der WM 1978 die „Schmach von Cordoba“ erlebte.

      Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg zum Busterminal von Salta, beobachteten die Menschen und warteten „sehnsüchtigst“ auf unsere zwölfstündige Busfahrt. Das Terminal war kein kleines und so kamen und fuhren ständig Busse in die unterschiedlichsten Richtungen. Überall packten die Leute ihre großen Taschen in die Fahrzeuge und manchmal sah es sogar so aus, als würden sie ihren gesamten Hausrat mitnehmen wollen.

      Doch plötzlich erblickte ich etwas viel Aufregenderes: die junge, hübsche Frau war wieder da und flitzte zwischen den Bussen sowie den großen Koffern fröhlich umher. Wenige Minuten später traf dann endlich unser Transportmittel ein, fuhr an seinen vorgesehenen Platz und alle, die mitfahren wollten, strömten ihm hastig entgegen. So auch David und Karina. Nur ich verharrte am gleichen Fleck und überlegte: Sollte ich sie vielleicht wenigstens das eine Mal doch noch ansprechen? Aber was soll das jetzt noch bringen?

      Völlig unausgeglichen und von einem Fuß auf den anderen kippend klebte ich dennoch wie angewurzelt in der Ecke und grübelte, bis sie doch tatsächlich auf mich zukam und mir entgegnete: „Na, alles okay? Fährst du nach Buenos Aires oder nach Cordoba?” Und noch bevor ich eine Silbe zustande brachte, bemerkte ich, wie eine eigenartige Aufregung in meinen Körper schoss. Ja, ich freute mich sehr darüber, mich mit ihr zu unterhalten, verriet ihr mit leicht zittriger Stimme meine Destination und sagte danach ohne darüber nachgedacht zu haben: „Hm, ich weiß gar nicht so recht, wie ich das jetzt sagen soll, doch ist schon irgendwie blöd, dass wir jetzt erst miteinander sprechen, jetzt, wo ich weit weg fahre. Es wäre doch viel entspannter gewesen, wenn wir uns beim Barbecue unterhalten hätten, oder?” Während ich all diese Worte über meine Lippen scheuchte, schaute sie mit einem so unbeschreiblich tiefen Blick in mein Gesicht und stimmte mir kopfnickend zu. Aus diesem Grund, weil ich erkannte, dass es ihr ähnlich ging wie mir, traute ich mich zu fragen, ob sie meine E-Mail-Adresse sowie meine argentinische Handynummer haben wolle. Danach nickte sie zwar etwas verlegen, reichte mir aber einen kleinen Zettel plus Stift und ich schrieb ihr schleunigst meine Daten darauf, legte den Zettel schnell zurück in ihre Hände, küsste sie auf eine der beiden weichen Wangen, sagte „Adios“ und rannte zum Bus. Keine zwei Minuten später rollte das öffentliche Verkehrsmittel vom Feld und Vanessa stand winkend auf dem Asphalt.

      Nach etwa 1000 Kilometern und 13 Stunden Busfahrt erreichten wir in aller Früh Cordoba. Im Anschluss daran stürzten wir uns in eine etwas nervige Suche nach einer Unterkunft. Dabei rannten wir die halbe Innenstadt ab, stoppten letzten Endes unsere immer träger werdenden Schritte an einem überteuerten Hotel und checkten dennoch für eine Nacht ein. Ja, wir waren uns schnell darüber einig, dass wir in dieser Stadt keine zweite davon verbringen wollten …

      Als ich alleine auf meinem Zimmer war, schmiss ich bloß mein Gepäck in die Ecke und haute mich sofort ins Nest. Wie gut das doch tat, einfach mal nur dazuliegen und nichts außer das Spiel der Gedanken zuzulassen. Erst am Abend traf ich die beiden Verliebten wieder und zusammen machten wir uns auf den Weg in ein „Parrilla“4 und aßen „Asado“5. Sowie ich dann endlich mein totes Stück Rind auf dem Teller hatte und darauf herumkaute, klingelte plötzlich mein Handy. Schnell steckte ich die Gabel zurück ins Fleisch, rannte weg vom Tisch, raus aus dem Krach auf die Straße und drückte den entscheidenden Knopf. Am anderen Ende der Leitung piepste mir eine schüchterne Stimme entgegen und wollte wissen, ob ich gut in Cordoba angekommen bin. Es war Vanessa und mit jeder Minute des Gesprächs entwichen noch die letzten kleinen Zweifel aus meiner linken Gehirnhälfte, die ich mir am Tag in den ruhigen Minuten im Hotelzimmerbett zurechtgelegt hatte. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, hüpfte ich zurück zum Rind, das nun kalt auf dem Teller lag und dennoch fühlte ich mich innerlich umso wärmer. Kurz darauf unterbreiteten mir David und Karina ihre Pläne, die sie sich geschmiedet hatten und fragten, ob ich mich ihnen auf den Weg nach Patagonien anschließen wollen würde. Ja, auch ich hatte darüber nachgedacht, weiter in den Süden vorzudringen, da die dortige Natur wirklich wunderschön sein soll.

      Deshalb sind wir ja auch hier, oder? Sind das auch unsere Erwartungen an das Land? Aber was ist mit meiner Freiheit? Sie ist mir noch wichtiger! Meine Freiheit ständig vom Weg abzugehen und auch manchmal von meinem eigenen.

      Viel länger wollte ich mich jedoch nicht meinen Gedanken hingeben, ließ mich eher von einem Gefühl leiten und wollte schon am kommenden Tag zurück nach Salta fahren. Ich verzichtete damit zugleich auf die fantastische Natur. Ja, der Zeitpunkt war nun endlich da und ich fühlte mich bereit, ganz alleine weiterzureisen. Natürlich kam zudem der Umstand dazu, welchen ich keineswegs bestreiten möchte, dass ich mich als Dritter im Bunde an der Seite von zwei frisch Verliebten, wie das sogenannte fünfte Rad am Wagen fühlte. Genauso empfand ich es und natürlich war das nicht immer angenehm, aber deshalb freute ich mich umso mehr über meine neu gewonnene Freiheit. Als ich schließlich wieder im Bus hockte, erschien mir jenes Mal die dreizehnstündige Busfahrt um einiges länger als zuvor die Hinfahrt. Vielleicht, weil ich den Weg bereits kannte und wahrscheinlich auch deshalb, da ich das Ende schon am Anfang der Fahrt herbeisehnte.

      Und dann war es endlich so weit: Vanessa empfing mich am Busterminal und erzählte mir, dass ihre Bemühungen, mich in ein Einzelzimmer ihres Hotels einzuquartieren, erfolgreich gewesen sind. Ich hatte die junge Frau gebeten, mir einen kleinen Wunsch zu erfüllen und ein Einzelzimmer zu organisieren, in dem Moment, als wir telefonierten und ich ihr vorschlug, eventuell zurück nach Salta zu kommen.

      Für insgesamt elf Nächte mietete ich mich im Anschluss in eine kleine Kammer mit einem morschen Fußboden ein. Am Tage zeigte mir Vanessa ihre sehr schöne Heimat und hatte großen Spaß daran, sich zwischen ihren Arbeitszeiten mit mir an einen Tisch ins Hostel zu setzen, mir die spanische Sprache näher zu bringen sowie das Mate-Teetrinken schmackhaft zu machen. Und nebenbei bekam ich natürlich auch das echte Leben der Argentinier aus bester, sowie nächster Nähe mit. Ja, all die Zeit mit ihr war wirklich wunderbar. Aber leider verflogen die Stunden in etwa so, wie uns der frische Wind aus den Anden an den Abenden um die Birne wehte und irgendwie entwickelte sich bei mir das Gefühl, und das trotz der umfassenden Zufriedenheit, wieder aufbrechen zu wollen.

      Nein, eher war es eine Emotion von ständig kippender Entschlossenheit, weil ich natürlich auf der anderen Seite noch gern ein paar Tage länger bei La Linda geblieben wäre. Es war jedoch klar, dass ich mich ja irgendwann sowieso