Anders gesagt. Traugott Schächtele

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Название Anders gesagt
Автор произведения Traugott Schächtele
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783347100787



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wieder kleine Filme, in denen Menschen erläutern, was dieser Satz für sie bedeutet: „… da ist Freiheit!“ Da hat jemand ganz schön viel Geld investiert, denke ich!

      Natürlich kenne ich diesen Satz. „… da ist Freiheit!“ Es ist die zweite Hälfte eines Satzes des Apostels Paulus. Ganz lautet er: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!“ Hier zitiert eine Stimme aus dem Off aber immer wieder einen anderen Satz: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit! - Zur Freiheit hat euch Christus befreit!“ Wieder Paulus, denke ich. Das war wohl der Apostel der Freiheit schlechthin. Aber irgendwie kommt mir der Satz auch ein wenig vollmundig vor. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit!"

      Ich gehe auf andere Menschen zu, die sich wie ich die Säulen der Freiheit anschauen. „Fühlen sie sich frei?“, frage ich. „Fühlen sie sich wirklich frei? Unterliegen sie derzeit keinerlei Einschränkungen? Müssen sie auf niemanden Rücksicht nehmen? Keine Sorgen oder Konflikte, die die Freiheit ihres Denkens einschränken? Keine zeitlichen Einschränkungen durch die Fürsorge für andere – in Erziehung oder Pflege? Sind sie frei, zu tun und zu lassen, was sie wollen?“

      Meist ernte ich Schweigen. Manchmal auch ein verächtliches Schnauben. Oder ein: „Wenn sie wüssten!“ Bei einigen lösen sich ein paar Tränen. Wenn ich so nach der Freiheit frage, da bin ich mir sicher, dann ist niemand wirklich frei.

      Das hat auch der Apostel Paulus gewusst. Und darum hat er mit Freiheit noch einmal etwas anderes im Blick. Ich schaue, wo die Ausstellung weitergeht. Und wirklich: Durch das Lutherbild an der Wand kann man hindurchsteigen. Und man landet in einem Raum, der gestaltet ist wie ein Buch. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ ist auf die große Plexiglasscheibe aufgedruckt, die die Rückseite des Buchs darstellen soll.

      In bunter Laserschrift schweben zwei Sätze durch den Raum. Immer wieder lösen sie sich ineinander auf: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“. So lautet der eine Satz, und der andere: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Luther hat’s also auch mit der Freiheit gehabt, stelle ich fest. Und sicher hat er seine Einsichten doch auch dem Apostel Paulus zu verdanken. Ich merke: Ich muss dem Satz nachspüren, der von der Stimme aus dem Off immer wieder wiederholt wird: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit. Lasst euch nicht wieder klein machen vom Joch der Knechtschaft!“ Paulus, daran erinnere ich mich, hat diese Sätze an die Gemeinden in Galatien geschrieben: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit. Lasst euch nicht wieder klein machen vom Joch der Knechtschaft!“

      In diesen beiden Sätzen leuchtet der ganze Galaterbrief in konzentrierter und komprimierter Form auf. Was dann noch folgt, ist nur Erläuterung. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit!“ Was aber ist gemeint, wenn es um die Freiheit geht? Was ist Freiheit? Schautafeln verweisen mich auf die Tradition. Nach und nach gehe ich an ihnen entlang.

      Freiheit von Sklaverei und körperlicher Arbeit, steht da. Freiheit zur Muße und zur politischen Betätigung - darum, so lese ich, ging es bei den Griechen. Ich gehe weiter die Tafeln entlang.

      Freiheit, Liberté – zusammen mit der Gleichheit und der Geschwisterlichkeit hatten sich die Revolutionäre des Jahres 1789 in Frankreich die Befreiung von feudalen oder vordemokratischen Strukturen auf ihre Fahnen geschrieben.

      Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden – das können wir bei Rosa Luxemburg nachlesen.

      Freiheit – sie ist die Beschreibung eines Zustandes, in dem man nichts mehr zu verlieren hat – freedom is just another word for nothing left to loose – so klingt es in Me and Bobby McGee, dem berühmten Folk-Song von Kris Kristofferson, den Janis Joplin einst so unnachahmlich interpretiert hat.

      Freiheit – verstanden als Anspruch, tun und lassen zu können, was ich will. Als Möglichkeit, willentlich zu handeln. Gegen die Überzeugung mancher Neurowissenschaftler.

      Freiheit - verstanden als das Recht, meinen Führungsanspruch und meine Auffassung der Welt durchzusetzen - und womöglich der Verlockung der Macht zu erliegen?

      Oder auch Freiheit als das Recht, auf meine individuelle Weise das Glück anzustreben, wie die amerikanische Verfassung es formuliert.

      Und auf der letzten Tafel steht eine Frage: Freiheit – Freiheit von etwas oder Freiheit zu etwas?

      Zum Glück entdecke ich plötzlich eine Museumsmitarbeiterin im Raum. „Haben sie irgendwelche Fragen?“ Ganz freundlich wendet sie sich mir zu. Natürlich habe ich Fragen. „Wovon sind die Menschen frei geworden, an die Paulus diesen Brief gerichtet hat?“, will ich wissen. Die Antwort kommt prompt und bestimmt: „Frei geworden sind sie von bestimmten Vorgaben des Weges zu Gott. Frei geworden sind sie davon, sich beschneiden zu lassen. Denn diese Beschneidung hätte schließlich zur Folge gehabt, dass alle, die beschnitten wurden, auch alle Regeln und Vorgaben der jüdischen Mutterreligion des Paulus hätten einhalten müssen. Die Speisegesetze etwa, die genau festlegen, was rein ist und was nicht. Oder die Regel, dass ich am Sabbat keinerlei Arbeit verrichten soll.

      Diesen Weg will Paulus vor allem denen ersparen, die aus einer anderen Religion kommen. Denen eben, die nicht zu seiner eigenen jüdischen Glaubensgemeinschaft gehören. Völker nennt die hebräische Bibel diese Gruppe. Luther übersetzt dieses Wort mit Heiden. Freiheit hieße dann Freiheit von einem diese Menschen womöglich überfordernden Netz der Tradition. Freiheit also auch von der Beschneidung. Freiheit ist also das Recht, ein Heide zu sein. Und einen anderen Weg zu Gott wählen zu können.“

      Die Mitarbeiterin unterbricht ihren Redefluss. Das war fast etwas zu viel auf einmal. Mir wird klar: Paulus ist hier im Umfeld von Menschen aktiv, die nicht der jüdischen Religion angehören. Niemand muss also erst Mitglied einer jüdischen Gemeinde werden, um an Gott glauben zu können. Das ist hier mit Freiheit gemeint.

      Freiheit ist hier also der Ausdruck einer gänzlich neuen Art zu leben. Nur: „Wie soll das konkret gehen?“, frage ich mich. Da höre ich, dass neben der einen Stimme jetzt noch eine zweite zu hören ist. Sie fällt der ersten immer ins Wort. Nicht nur „Zur Freiheit hat euch Christus befreit!“ Sondern auch: „In Christus zählt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“

      Ich ahne: Ich muss auch noch in die Abteilung Liebe. Aber vorerst bleibe ich noch bei den Säulen der Freiheit. Die Zeile eines Liedes aus dem Gesangbuch kommt mir in den Sinn. Ein häufig und manchmal zu Unrecht geschmähtes Lied. „Freiheit, sie gilt für Menschen, Völker, Rassen, so weit, wie deine Liebe uns ergreift.“ Ich nehme mir vor, das nächste Mal etwas gnädiger zu sein, wenn Menschen sich dieses Lied wünschen.

      Einiges ist mir jetzt klar geworden. Freiheit, so wie Paulus sie im Brief nach Galatien beschreibt – das begründet im Letzten keine neue Religion. Sondern eine neue Haltung gegenüber der Wirklichkeit. Und damit auch gegenüber Gott. Diese neue Haltung, dieses neue Vertrauen – das macht bei Paulus den Glauben aus, zumindest den Glauben als Möglichkeit für die, die nicht aus dem Judentum stammen.

      Durch einen kurzen Gang gelange ich in die Abteilung Freiräume des Glaubens. Eine leise Stimme singt Antworten auf die Frage, was das bedeutet: Glauben in der Freiheit eines Christenmenschen. Ich höre genauer hin:

      Glauben heißt – im Freiraum dieses Christus sein Leben gestalten.

      Glauben heißt – in der Liebe Gottes wahrhaft Mensch werden.

      Glauben heißt – die Gerechtigkeit von Gott her erhoffen.

      Klare Antworten auf meine Fragen, denke ich. Glauben in dieser Freiheit meint also mehr, als sich einfach in ein Regelsystem von Verhaltensweisen einbinden zu lassen. Selbst dann, wenn diese Regeln durchaus ihren Sinn haben. Doch die Erfüllung dieser Regeln allein garantiert den Glauben noch nicht. Aber ich kann meine Freiheit dafür nutzen, mich auf diesen Glauben einzulassen. Und es mit ihm zu versuchen.

      „Die Freiheit geht immer auf’s Ganze“, raunt mir die Museumsmitarbeiterin ins Ohr. „Oder es ist keine Freiheit!“ Und sie fährt dann fort: „Ein bisschen Freiheit, das geht nicht. Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Das ist die Freiheit, die aufs Ganze geht. Auf dem Weg in diese Freiheit müssen wir uns den Rückweg am besten gleich selber abschneiden. Freiheit geht nicht einfach halb.