Название | Ein Lied in der Nacht |
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Автор произведения | Ingrid Zellner |
Жанр | Контркультура |
Серия | Kashmir-Saga |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347155794 |
Mit einem Mal hellte Sitas Miene sich auf. »Wir können ja zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, pyaari. Wir fahren gemeinsam nach Srinagar – und du gehst allein voraus auf den Markt. Wenn du merkst, du bist noch nicht so weit, dann zückst du dein Handy und rufst mich an, und ich bin sofort bei dir. Wenn du merkst, es geht – dann feiern wir gemeinsam vor Ort. Und in jedem Fall gehen wir danach zusammen die Schmuckstände begutachten.«
»Das klingt gut, aber bei dem vollen Programm, das wir diesmal haben, wird uns kaum die Zeit dafür bleiben«, gab Sameera zu bedenken.
»Die Zeit schaufeln wir uns ganz einfach frei«, erwiderte Sita energisch. »Oder glaubst du wirklich, dass irgendetwas hier mir wichtiger ist als du, didi?«
»Nein. Erstaunlicherweise nicht.« Sameeras Finger verschränkten sich fest mit denen von Sita. »Falls ich es noch nicht gesagt haben sollte: Ich liebe dich, meri behn. Danke, dass es dich gibt.«
»Und ich liebe dich, meri didi.« Sita erwiderte Sameeras Händedruck. »Deshalb hoffe ich auch, dass du das, was du bei diesem Training lernst, nie wirklich brauchen wirst. Ebenso wenig wie das Schießen. Liebe Güte, ich kann mir das gar nicht vorstellen: du mit einer Pistole in der Hand!«
Sameera gluckste. »Ich auch nicht. Und Vikram wahrscheinlich noch viel weniger. Aber andererseits kann er mir dadurch auf ganz praktische Weise helfen – indem er mir etwas beibringt, was er persönlich im Schlaf beherrscht. So hat er das Gefühl, mich zu unterstützen, und das hilft wiederum ihm. Sehr sogar, glaube ich.«
Sie zwinkerte Sita zu.
»Außerdem habe ich festgestellt, dass er phantastisch massieren kann. Ein paar von den Muskelkatern, die ich Janveer zu verdanken habe, hätte ich ohne Vikrams ›magische Finger‹ wohl nicht so gut überstanden.«
»Da könnte man als Frau ja glatt neidisch werden«, versetzte Sita trocken. »Ich glaube, ich sollte mir auch noch einen Muskelkater zulegen, solange ich hier bin.«
»Ich kann dich ja morgen mitnehmen, und du trainierst eine Runde mit!« Sameera grinste. »Ich glaube, das wäre eine tolle Idee – allein schon, um Janveers verblüfftes Gesicht zu sehen.«
»Und danach meins, wenn er mich durch die Gegend scheucht«, lachte Sita. »Ich glaube, ich beschränke mich besser aufs Zuschauen und trainiere lieber hinterher mit dir einen gemeinsamen Marktbummel.«
»Klingt nach einem Plan.« Sameera stand auf. »Und jetzt ruft die Pflicht; Zobeida hat vorhin jemanden gesucht, der für sie einen Berg Kartoffeln schält, und die Kinder haben heute frei. Kommst du mit?«
»Klar.« Sita erhob sich ebenfalls. »Mal sehen, ob dein Krafttraining sich auch dabei als nützlich erweist.«
»Kaum – es sei denn, ich erschrecke die armen Dinger so sehr, dass sie von allein aus der Schale hüpfen.«
»Probier’s doch mal«, schlug Sita mit einem deutlichen Schalk in den Augen vor. »Wenn dir das gelingt, dann können sich deine zukünftigen Feinde definitiv warm anziehen.«
***
Am nächsten Tag begleitete Sita Sameera tatsächlich zum Training. Janveer registrierte den unerwarteten Gast mit offensichtlichem Erstaunen, begrüßte Sita aber mit großer Freundlichkeit. Dann stellte er ihr einen Stuhl in den Trainingsraum und widmete sich neunzig Minuten lang Sameera: eine halbe Stunde Konditionstraining, eine weitere halbe Stunde Training an einem Boxsack, den Janveer mitten im Raum aufhängte, und die letzte halbe Stunde Nahkampfübungen. Sameera ging mindestens ein halbes Dutzend Mal zu Boden, aber sie kam immer rasch wieder auf die Beine und griff erneut an. Am Ende des Trainings gelang ihr ein Schulterwurf, der Janveer auf die Matte schickte. Janveer stand auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn und verneigte sich vor ihr.
»Sehr gut, hakim sahiba«, sagte er. »Sie sind in den nächsten Tagen in Gulmarg?«
»Ja.« Sameeras Gesicht leuchtete auf. »Wir besuchen unsere Tochter Zeenath.«
»Dann schauen Sie zu, dass Sie sich ordentlich bewegen. Und nicht zu viele Süßigkeiten, die machen träge. Wir sehen uns danach.«
Sameera nickte, lächelte Sita zu und verschwand in dem Badezimmer nebenan; wenig später hörte Sita Wasser rauschen.
Janveer rollte die große Trainingsmatte zusammen und nahm den Boxsack von dem Haken an der Decke. Sita erhob sich von ihrem Stuhl, von dem aus sie das gesamte Training still und aufmerksam verfolgt hatte, und ging zu ihm.
»Darf ich Sie etwas fragen, Janveer?«
»Selbstverständlich, Sharma sahiba.«
Er legte den Boxsack auf dem Boden ab. Sie versuchte zu schätzen, wie alt er war… Anfang oder Mitte Dreißig, hochgewachsen und auf angenehme Weise muskulös, ein klares, offenes Gesicht mit hohen Wangenknochen und ganz leicht mandelförmigen dunklen Augen. Sein Haar war glänzend schwarz, wellig und kurz; die Narbe seitlich am Kopf bildete eine weiße, nackte Linie, die sich von der Schläfe bis zur Ohrmuschel zog. Sie wusste, wie er zu dieser Narbe gekommen war, und dass er nach dem Attentat auf Tarek Kamaal fast ein Jahr gebraucht hatte, um sich von seiner lebensgefährlichen Schussverletzung zu erholen. Ein gutaussehender Mann… und jemand, der zu großer Pflichterfüllung und Hingabe fähig war.
»Als Sameera Sie um dieses Training gebeten hat«, fragte sie, »was haben Sie da gedacht?«
»Es war nicht die hakim sahiba, die mich darum gebeten hat«, erwiderte Janveer. »Sandeep sir hat es getan. Und ich habe zuerst gezögert. So ein Training ist schwierig und anspruchsvoll, und es dauert oft Monate, bis man wirkliche Erfolge sieht.«
»Und?« Sie musterte ihn neugierig. »Sehen Sie welche?«
Er lächelte. »Inzwischen schon… von Zeit zu Zeit. Dieser Schulterwurf heute, das war einer. Und man muss natürlich bedenken, dass die hakim sahiba bei Null angefangen hat. Aber dafür schlägt sie sich sehr ordentlich – und sie gibt nicht auf. Anfangs habe ich ein paarmal damit gerechnet, dass sie das Handtuch wirft.«
»Nicht Sameera.« Sita lächelte ein wenig grimmig. »Nicht meine didi.«
»Nein.« Janveer nickte zustimmend. »Sandeep sir hat sich eine gute Frau ausgesucht. Und manchmal muss man die, die man liebt und schützen will, lehren, sich selbst zu schützen. Man kann nicht ununterbrochen und überall die Hand über sie halten. Das hat er schmerzlich begreifen müssen – erst bei Kamaal sahab und dann bei Ihrem Mann. Und bei der hakim sahiba inzwischen sogar schon zweimal.«
»Ich weiß.« Sita seufzte. »Aber ich verstehe, dass er es trotzdem immer wieder versucht.«
»Ich auch.« Janveer hob den Boxsack wieder auf; er lächelte sie an, aber sein Lächeln war ein wenig traurig. »Glauben Sie mir, ich auch. Er kann nicht anders.«
Kapitel 5
Feuermeer
Sita Sharma klappte ihren Koffer zu und gab einen kleinen, wehmütigen Seufzer von sich; die Tage in Gulmarg waren viel zu schnell vorübergegangen. Nabil und Ayesha Qasib, die Schwiegereltern von Vikrams und Sameeras ältester Pflegetochter Zeenath, hatten ihre Gäste mit der legendären Gastfreundschaft der Kashmiris geradezu überschüttet; jetzt reihten sich die Tage in Sitas Erinnerung aneinander wie leuchtende Perlen an einer Schnur, erfüllt von gemeinsamen Ausflügen im Schnee, Musik, großartigen (und sehr