Название | Ein Buch für Keinen |
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Автор произведения | Stefan Gruber |
Жанр | Афоризмы и цитаты |
Серия | |
Издательство | Афоризмы и цитаты |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347043282 |
Drei Fragen drängen sich nämlich bei Martins debitistischer Betrachtungsweise des kapitalistischen Systems auf:
1) Wenn alles Geld dieser Welt nur durch Kreditkontrakte in die Welt kam, wo kommen dann die Zinsen zur Tilgung dieser Kredite her? Oder anders formuliert: Wenn alle ihre Kredite tilgen würden und es damit folgerichtig kein Geld mehr gäbe, würden dann nicht noch Zinsforderungen übrigbleiben, die uneinbringlich sind?
2) Wenn alle im Kapitalismus Gewinne einfahren wollen (bzw. »sparen«, d.h. Horten von Giralgeld über den Fälligkeitstermin des darunterliegenden Kredites hinaus), fehlt dann dieses Geld nicht, um ausstehende Kredite zu tilgen?
3) Dürfen überhaupt mehr Kredite getilgt als aufgenommen werden, ohne durch die damit einhergehende Kontraktion der Guthaben eine Deflation auszulösen? Oder anders formuliert: Wenn die Schulden im Kapitalismus nominal fixiert sind (d.h. ein Kredit bleibt immer in gleicher Höhe stehen bzw. wächst durch den Zins, aber er kann nicht schrumpfen), aber die Sicherheiten darunter im Wert schwanken können (werden zu viele Kredite beglichen, wird Geld knapp, wertet auf und die Preise fallen auf breiter Front), darf dann die Geldmenge (bzw. Kreditmenge) jemals schrumpfen?
Die in Frage 1 beschriebene Zinsmisere ist schnell begriffen: Wenn ein Schuldner A erst durch einen zinsbehafteten Kreditkontrakt Geld erzeugt, wie kann er diesen dann mit Zinsen wieder tilgen, wenn doch der Zins nicht mit dem Kredit mitgeschaffen wurde? Die Antwort: Er kann ihn – zumindest bei endfälligen Krediten (s.u.) – nicht tilgen! Er benötigt hierfür, wie schon gezeigt, einen anderen Kreditnehmer B, der genügend Geld geschaffen hat, damit er oder jemand anderer, der seinen Kredit als Guthaben hält, von A damit Waren und Dienstleistungen abkauft, damit dieser seinen Kredit samt Zinsen zurückzahlen kann. Und wo bekommt nun B die Zinsen für seinen (noch höheren) Kredit her? Er benötigt seinerseits einen Kreditnehmer C, der ihm dieses Geld zur Verfügung stellt usw. Das ist der berühmte Nachschuldner in Martins Debitismus, oder, wie Wolfgang Theil schreibt:
»Nur durch die Rekonstruktion der Geldentstehung wird klar, dass Geld nicht als ewig zirkulierendes ›Tauschmittel‹ […], sondern als zur Vernichtung durch Auflösung eines Schuldvertrags bestimmtes Schuldendeckungsmittel entsteht, das in der Summe niemals ausreicht, um alle Geldforderungen zu bedienen. Die Summe aller Schuldendeckungsmittel alias nicht zinstragende Anrechte auf Kreditgebereigentum alias ›Geld‹ ist immer niedriger als die Summe aller Forderungen von Kreditgebern gegen Kreditnehmer.«
Dabei wäre der Zins nicht das Hauptproblem im Kapitalismus, da die erste bezahlte Kreditrate eines Tilgungskredits von der Bank als Zinsforderung (und nicht als Kreditrückzahlung) und damit als Gewinn behandelt und deshalb auch wieder verausgabt werden könnte, um sie dem Markt und damit indirekt unserem Kreditnehmer zur Verfügung zu stellen. De facto also fehlt der Zins in der Theorie nicht. Das Problem offenbart sich vielmehr bei Punkt zwei, dem »Sparen« von Giralgeld, worunter auch das Sparen des Zinses durch den Gläubiger fällt. Stellen wir uns hierfür den Kreditnehmer A vor, dem von einer Geschäftsbank 10.000 € Kredit eingeräumt werden. Er geht damit bei X einkaufen und X behält sich die 10.000 € auf seinem Girokonto ein, und zwar über die gesamte Laufzeit des Kredites von A. Wo bekommt A nun das (Giral-)Geld her, um seinen Kredit zurückzubezahlen? Natürlich von einem oder mehreren weiteren Kreditnehmern, die insgesamt 10.000 € Kredit in die Welt setzen. Dabei ist die Sache aber so einfach nicht, da wir realiter davon ausgehen müssen, dass diese Kreditnehmer mit ihrem Kredit nicht direkt A seine Waren und Dienstleistungen abkaufen, sondern ihr Geld bei B, C, D, E, F, G, H … ausgeben, die nun ihrerseits einen Teil dieser Forderungen auf Geld auf ihrem Konto belassen könnten, sodass letztlich wesentlich mehr Kreditnehmer vonnöten sind, um alle Verbindlichkeiten (Schulden) bedienbar zu halten. Wer also seine Forderungen auf Geld am Konto nicht verausgabt und der Wirtschaft zur Verfügung stellt, erzwingt indirekt eine Netto-Neuverschuldung in gleicher Höhe, damit die Kreditnehmer draußen am Markt ihre Kredite bedienbar halten können. Dieses Horten von Nominalforderungen (Giralgeld) über die Fälligkeit des entsprechenden Schuldkontrakts (Kredit) hinaus erzwingt eine permanente Zunahme der Gesamtverschuldung im betreffenden Wirtschaftsraum. Nun könnte man natürlich einwenden, dass ja niemand dazu gezwungen wird, Kredite aufzunehmen und dass die Pleite einiger Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines zu geringen Angebots an Zahlungsmitteln (basierend auf zu geringer Netto-Neuverschuldung) nun mal zur kapitalistischen Realität dazugehört. Natürlich ist diese Sichtweise legitim, aber was genau geschieht eigentlich, wenn über einen längeren Zeitraum weniger neue Kredite aufgenommen als alte getilgt werden? Das ist die Kernproblematik der dritten Frage.
Werden in Summe mehr Kredite zurückgezahlt als neue Kredite aufgenommen, sinkt natürlich die (Giral-)Geldmenge und wenn die Menge an Geld (ergo Kredit) in einem Wirtschaftsraum sinkt, wertet dieses auf, d.h. es wird wertvoller, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen sinken – alles wird billiger. Dieses Phänomen nennt sich »Deflation« und es führt dazu, dass nicht nur die Waren und Dienstleistungen des täglichen Gebrauchs günstiger werden, sondern auch die Pfänder/Sicherheiten, die von Kreditnehmern für ihren Kredit hinterlegt wurden, was zu Nachforderungen der Bank führen kann – der Kreditnehmer muss also für seinen Kredit nachträglich weitere Sicherheiten stellen, wenn er sich die Exekution sparen will. Auch für Unternehmer ist eine Deflation bitter. Müssen diese doch ihre Waren immer günstiger anbieten, um sie an den Mann bringen zu können, was sich nicht nur negativ auf ihren Gewinn auswirkt, sondern ebenso auf ihre Kredittilgungsverpflichtungen und die Löhne ihrer Mitarbeiter. In einem deflationären Umfeld sinken also das allgemeine Preisniveau und mit ihm die Bewertungen der Sicherheiten für ausstehende Kredite ebenso wie die Einnahmen, um die Kredite bedienbar zu halten, und das Lohnniveau. Das führt zu großflächigen Entlassungswellen. Werden Löhne staatlich fixiert (Kollektivlöhne etc.), werden zusätzlich mehr Arbeitnehmer gekündigt, um die Unternehmen vor der Pleite zu bewahren. Geringere Löhne und mehr Arbeitslose würgen den Konsum ab, was dazu führt, dass Unternehmen noch mehr Leute entlassen müssen, noch niedrigere Löhne zahlen und noch weniger verkaufen, was die Preise weiter sinken lässt, noch mehr Rationalisierung der Unternehmen und Sicherheitsnachschusspflichten der Banken auf den