Ein Buch für Keinen. Stefan Gruber

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Название Ein Buch für Keinen
Автор произведения Stefan Gruber
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783347043282



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– mehr nicht!

      In einem System flexibler Wechselkurse ohne Edelmetall-Deckung funktioniert die Bargeldschöpfung genauso: Hier hinterlegen Geschäftsbanken notenbankfähige Pfänder2 (z.B. Wechsel, Kreditforderungen, Wertpapiere etc.) bei der Notenbank, d.h. sie belasten ihr Vermögen und bekommen dafür von der Notenbank verzinstes Bargeld im Wert des Pfandes gutgeschrieben (Aktivtausch), das die Geschäftsbank nun beispielsweise einem Kunden aushändigen kann. Bargeld ist also in krisenfreien Zeiten vollständig gedeckt mit Vermögenswerten bzw. Schuldtiteln höchster Bonität, da die Zentralbank an ihre Pfänder wesentlich strengere und konservativere Kriterien anlegt als die Geschäftsbank an die Pfänder ihrer Kunden. Am Fälligkeitstermin des Pfandes muss das Bargeld samt Zins allerdings wieder zurück zur Notenbank, das Pfand wird ausgelöst und wandert wieder auf die Aktiv-Seite der Geschäftsbank-Bilanz und das nun wertlose Bargeld wird von der Notenbank im Tresor verwahrt oder bei Abnutzungserscheinungen physisch verbrannt. Wer also Bargeld auf sein Konto einzahlt, der spart3 es nicht in irgendeinem Tresor, sondern gibt der Geschäftsbank die Möglichkeit, ihre »Kredite« bei der Zentralbank zu begleichen und ihre Pfänder auszulösen oder aber ihre Mindestreserve oder Barreserve aufzustocken. Die Geschäftsbank räumt dem Einzahler wiederum nur ein Sichtguthaben ein, d.h. nur Forderungen auf Geld, die sofort verfallen, wenn die Bank pleitegeht. Geld zirkuliert also nicht im Wirtschaftsraum, wie sich das die Neoklassiker ausmalen, sondern es entsteht durch eine dokumentierte Schuld und wird mit Tilgung derselben, zusammen mit dem Schuldtitel, wieder vernichtet. Immer ist also der Kredit des einen das Guthaben des anderen und beide saldieren sich zu null1. Guthaben und Schulden sind also immer zwei Seiten einer Medaille. Es kann das eine ohne das andere nicht geben. Wären alle Kredite beglichen, gäbe es kein Geld mehr und ohne Geld keine Preise. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es kein Geld netto gibt, d.h. Geld, das ohne Schulden auf der anderen Seite der Bilanz geschaffen wurde. Geld bezahlt immer nur Schulden, gleichgültig ob sein Träger Gold oder Papier ist.

      Damit Geld definierbar ist, muss dafür also immer eine Schuld auf der anderen Seite der Bilanz offen sein? Warum kann Geld nicht einfach Tauschmittel sein, wie man sich das intuitiv gerne vorstellt? Vielen Absolventen eines VWL-Studiums geht der Knoten im Kopf auch dann nicht auf, wenn sie das Geschriebene als wahr begriffen haben, weshalb sie schließlich beginnen, utopische Tauschökonomien (beliebt sind durchexzerzierte »Inselbeispiele«) zu entwerfen, um ein grundsätzliches Funktionieren einer solchen zu beweisen. Doch auch hier laufen wir, gleichgültig, wie man es dreht und wendet, immer wieder in das gleiche Dilemma. Stellen wir uns eine einsame Insel vor, deren Bewohner alle die gleiche Menge Gold besitzen und mit dieser nun beginnen sollen, Tauschhandel zu treiben. Wir müssen hierfür zuerst schon einmal ausblenden, dass es ohne eine Obrigkeit, die Gold als Zwangsabgabe fordert, für unsere Inselbewohner keinen Grund gibt, sich nicht zu einer kooperierenden Solidargemeinschaft zusammenzuschließen, anstatt sich individuell zu spezialisieren und sinnlos zueinander in Konkurrenz zu treten. In einer Solidargemeinschaft aber braucht es kein Geld und gab es auch noch nie eines. Ebenso seltsam ist es, dass die Inselbewohner ein Metall zum ultimativen Tauschmittel auserwählen, das keinerlei Nutzwert hat und auch noch nie nachgefragt wurde, weil schlichtweg die abgabenfordernde Macht fehlt. Lassen wir aber auch diesen gewichtigen Einwand außen vor, so wird aber schnell klar, dass sich ohne diese obere Rechtsinstanz weder ein Eigentumsbegriff definieren lässt noch wäre die Vertragssicherheit gewährleistet. Letzendlich würde in so einem System das Recht des Stärkeren gelten. Auch diesen Einwand wollen wir ignorieren. Sofort ergibt sich aber ein neues Problem: Was soll Gold wert sein?

      Wie kann etwas, das jeder zu gleichen Teilen besitzt, überhaupt von Wert sein? Und wenn wir diesem glitzernden Ding für unser Gedankenexperiment einen fiktiven Wert zugestehen wollen, wie sollen sich hieraus Tauschrelationen herauskristallisieren? Wie viel Brot bin ich bereit herzugeben für ein funkelndes Metall, das für mich ohne Nutzen ist? Und bekomme ich dieses auch wieder los? Wie viel an Mehrproduktion muss ich leisten, um genug Gold zu verdienen, um meine Urschuld zu bedienen? Und gilt mein Wertmaßstab dann auch für die anderen Teilnehmer? Wie wir sehen, hängen alle Marktteilnehmer vollkommen in der Luft, was die Preisrelationen der Güter untereinander betrifft und sie hängen vollkommen in der Luft, weil sie ja gar nicht wissen können, wie viel Gold insgesamt umläuft. Ihnen fehlt also bereits beim Zahlungsmittel selbst eine Vorstellung vom Angebots-Nachfrage-Gefüge. Der große Denkfehler libertärer Geldtheoretiker ist der, dass sie, anders als im Kapitalismus, wo Schuldgeld die Wirtschaftsleistung annähernd exakt abbildet (dazu gleich), auf der einen Seite Waren und Dienstleistungen haben, die nachgefragt werden und auf der anderen Seite eine Ware wie Gold, die im gleichen Maße nachgefragt werden muss und dem gleichen Nachfragedruck unterliegen müsste wie die Waren und Dienstleistungen, die man damit kaufen will. Hier stellt sich die berechtigte Frage, wer eigentlich was bewertet: Das Gold die Waren oder die Waren das Gold?

      Die bittere Ironie an der Sache ist, dass exakt das, was die Libertären den Sozialisten vorwerfen – kein wertstabiles Geld zu haben –, noch viel mehr für ihre eigenen geldtheoretischen Hirngespinste gilt, denn den Sozialisten war diese Problematik wenigstens zum Teil bewusst. Auch sie suchten nach einem Wertmaßstab für ihr Geld und legten dafür – beispielsweise in der Sowjetunion – Arbeitseinheiten fest, die sich aus Arbeitsproduktivität (z.B. Einsatz von Technik etc.), Arbeitskraft, Arbeitsmittel bzw. Arbeitszeit zusammensetzten. Sie legten also Preise für ihre Produkte fest, die den Arbeitsaufwand, wenn man so will, ausdrücken sollten. Die Geldemission basierte auf der Summe all dieser festgelegten Preise. Deshalb war das sozialistische Geld auch kein Geld, sondern ein Gutschein, den man einlöste. Und obwohl die Sozialisten diesen Wertmaßstab schufen, gab es starke inflationäre Schübe und Mangelwirtschaft bis hin zu Hungerkatastrophen. Warum? Zum einen natürlich aufgrund der systemimmanenten Faulheit des sozialistischen Massenkollektivs und der fehlenden Innovationskraft (auf beides kommen wir im Kapitel »Der Sozialismus«. noch zu sprechen), zum anderen, weil auch mit diesem Wertmaßstab das Informationsproblem nicht gelöst werden konnte. Nur weil produzierte Güter bepreist werden und mit Gutscheinen (d.h. sozialistischem Geld) erworben werden können, heißt das ja noch lange nicht, dass alle Produkte gleichzeitig vom Markt geräumt werden. Es ist eine völlige Illusion, vorher wissen zu wollen, was später nachgefragt werden würde.1 Hätte jemand im Sozialismus den ganzen Tag über per Hand das Gras auf einer Weide ausgerupft, wäre dieses Gras nach der sozialistischen Bepreisungspolitik hoch bewertet worden. Wer aber hätte dieses Gras nachgefragt? Daran erkennt man auch, dass es so etwas wie einen »intrinsischen Wert« nicht gibt und auch nicht geben kann. Die Mühe und Arbeitsleistung, die hinter dem Abbau einer Unze Gold steckt, ist für den Markt völlig irrelevant, wenn das Gold nicht nachgefragt wird. Und wie wir gesehen haben, gibt es für die Nachfrage nach Gold (oder jeder anderen Recheneinheit, die nicht auf Schulden basiert) in einem libertären System keine Notwendigkeit – und selbst wenn es nachgefragt werden würde, dann nicht von allen und für jedes Tauschgeschäft im gleichen Maße. Die gesamte Wirtschaftsleistung dieses fiktiven libertären Systems könnte von Gold gar nicht erst abgebildet werden, da es im Idealfall (!) nur jene freiwilligen Tauschvorgänge erfassen könnte, die über die Subsistenz und den direkten Tausch »Ware gegen Ware« hinausgingen. Gold hätte in diesem System Schmuckwert, und wie hoch dieser in staatenlosen Gemeinschaften veranschlagt wird, durfte Kolumbus bei der Entdeckung Amerikas erleben, als er Glasperlen gegen Gold tauschen konnte. Den Indigenen gefielen Letztere einfach besser und etwas anderes interessierte sie nicht. Das Gold hatte keine Geldfunktion für sie, genauso wenig wie in jedem anderen akephalen Volk.1

      Selbst in unserem abstrakten, die historischen Tatsachen verleugnenden Beispiel kommt man schnell zum Schluss, dass sich wohl eher etwas als Geld herauskristallisieren würde, das von tatsächlichem Nutzen ist, wie beispielsweise möglichst haltbare Nahrung, Baumaterial oder aber auch Drogen unterschiedlichster Art. Der synergetische Drang eines solchen Systems, wieder zu einer Solidargemeinschaft zu verschmelzen, kann nicht verleugnet werden. Und selbst wenn wir die Inselbewohner in unseren Köpfen mit aller Gewalt individuell produzieren oder gar wirtschaften lassen wollen, würden sie recht bald, anstatt sich weiter zu spezialisieren, zur individuellen Subsistenzwirtschaft zurückkehren und Selbstversorger werden. Getauscht würden dann bestenfalls Güter des täglichen Bedarfs, ohne dass sich daraus ein ultimatives Zahlungsmittel herauskristallisieren würde. Am ehesten würden sich auch in einem solchen künstlichen System Schuldscheine als

      Das