Münchner Gsindl. Martin Arz

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Название Münchner Gsindl
Автор произведения Martin Arz
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783940839725



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hatte mal eine Zeit lang Yoga gemacht. Da war er sehr gelenkig gewesen. Damals. Vielleicht war noch etwas davon übrig. Für ihn war jedenfalls klar, dass er nur diese eine Chance haben würde. Er müsste den Messergriff zwischen dem großen und dem nächsten Zeh einklemmen, dann könnte er das Messer irgendwie bedienen. Realistisch betrachtet: sehr unrealistisch. Das mit dem Messer würde er vergessen können. Nie im Leben würde er seinen rechten Fuß neben die linke Hüfte bekommen.

      Jetzt klingelte es auch noch. Riley beschloss, sitzen zu bleiben. Hatte die verrückte Alte von nebenan womöglich die Polizei gerufen? Selbst wenn. Es klingelte erneut. Riley wuchtete sich aus dem Sofa hoch. Er nahm den Stuhl von der Eingangstür, öffnete selbige und sah hinaus in den Hausflur. Dunkel. Nichts. Er nahm den Hörer von der Gegensprechanlage neben der Tür und plärrte »What?« hinein. Auch nichts. Er schob die Tür wieder zu. Wahrscheinlich ein Betrunkener, der sich einen dummen Scherz erlauben wollte. Riley schlappte ins Badezimmer. Er war immer noch nicht auf dem Klo gewesen, bemerkte er jetzt. Er hatte es verdrängt. Höchste Zeit, das nachzuholen.

      Sein rechtes Bein war frei. Pfeffer winkelte es langsam an, als wäre er im Tran.

      »So, du musst mir jetzt ein bisserl helfen. Einfach schön das Bein wieder ausstrecken und locker lassen.«

      Pfeffer ließ nicht locker. Er sammelte alle Kraft in dem angewinkelten Bein und als sein Peiniger danach greifen wollte, ließ er den Fuß vorschnellen. Er traf den Mann mitten ins Gesicht. Der taumelte fluchend nach hinten und stieß gegen den mit Plastikfolie verkleideten Schrank.

      »Scheiße, du Arschloch! Seit wann bist du wach? Ich habs geahnt!«

      Pfeffer trat noch einmal zu, traf diesmal den Solarplexus. Er rüttelte an seinen anderen Fesseln. Der Bewegungsspielraum war viel zu gering, um sich auch nur ansatzweise in eine Position zu bringen, damit er irgendwie mit dem rechten Fuß das Messer hätte schnappen können. Zwei kräftige Hände packten sein Bein. Er zog es ruckartig zurück. Der Angreifer verlor das Gleichgewicht und fiel auf Pfeffer drauf. Pfeffer trat dorthin, wo er das Gemächt vermutete. Er traf den Bauch. Aber er konnte mit dem Bein den Mann einklemmen, sogar in den Schwitzkasten nehmen. Der schlug nun mit seinem Kopf in Richtung von Pfeffers Weichteilen, verfehlte sie aber um Haaresbreite, sodass Pfeffer nur kurz die Luft wegblieb. Er musste die Beinschere kurz lockern, bevor er wieder zudrücken konnte. Als Nächstes spürte er, wie ein stechender Schmerz seine linke Wade durchblitzte. Das Messer. Der andere hatte das Messer in die Hand bekommen und ihm ins Bein gerammt. Noch steckte es drin. Er musste verhindern, dass es herausgezogen wurde und erneut zum Einsatz kam. Seine Beinschere gelang ihm trotz der höllischen Schmerzen in der Wade besonders hart. So hart, bemerkte er, dass der Bettpfosten, an dem sein linkes Bein befestigt war, ein wenig nachgab und sich verbog. Es war ein Metallbett. Weil er die Arme des anderen nicht fixieren konnte und der um sich schlug, musste Pfeffer schließlich die Beinschere doch aufgeben. Der andere taumelte vom Bett. Das Messer in der Wade – da käme er mit dem rechten Fuß hin!

      Riley nahm eine Dusche. Herrlich. Das tat gut. Dann wickelte er sich das Badetuch um die Hüften und machte sich daran, seinen Rucksack auszupacken. Er breitete alles auf dem Couchtisch aus und überlegte, was er wo verstauen sollte. Er hatte noch gar nicht das Schlafzimmer inspiziert. Da gab es bestimmt genug Stauraum. Riley beschloss, der Wohnung doch noch eine Chance zu geben. Das Schlafzimmer war bestimmt gemütlich mit einem großen Bett. Schlafen. Oh ja, schlafen! Schwungvoll öffnete er die Schlafzimmertür, die hart gegen etwas knallte. Riley kniff die Augen zusammen, weil der Raum so hell erleuchtet war. Als er besser sehen konnte, bemerkte er, dass er die Tür nicht gegen etwas gestoßen hatte, sondern gegen jemanden. Der nackte Mann hielt sich mit beiden Händen die Nase und brüllte etwas auf Deutsch. Dunkles Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Und auch der andere Mann, der dort auf dem Bett lag, war nackt und blutete aus dem Unterschenkel. Riley glaubte seinen Augen nicht zu trauen: Zog sich der Typ auf dem Bett eben tatsächlich gerade ein Messer aus der Wade – mit dem rechten Fuß? Warum war der ganze Raum mit Plastikfolie ausgekleidet? Dann sah Riley die Kamera auf dem Stativ.

      »Oh, shit«, rief er. »Sorry, guys!« Die drehten hier einen völlig kranken Porno. Er hatte davon gehört. Die Deutschen waren berühmt für abgefahrene Sexfilme. Das sah nach einem Gewaltstreifen aus. Das sah nach etwas aus, das Riley viel zu heftig war. Noch dazu gay. Das interessierte ihn beim besten Willen ganz und gar nicht. »Sorry!«, rief er immer wieder und hielt sich die Hände vor die Augen.

      Der Typ, dem er die Tür ins Gesicht geknallt hatte, stürzte sich brüllend auf Riley. Riley wich zurück und stotterte erneut eine Entschuldigung. Das schien den anderen nicht zu interessieren. Er packte Riley mit beiden Händen am Kopf, um ihn zu Boden zu ziehen. Riley mochte speckig sein, aber er war in der Highschool mal ein ganz guter Ringer gewesen. Er wusste sich zu wehren.

      Und plötzlich kamen noch drei Kerle keuchend in die Wohnung gestürmt. Riley hatte vergessen, den Stuhl wieder unter die Türklinke zu klemmen.

      »Fuck«, brüllte Riley und hielt seinen Angreifer mit auf dem Rücken verdrehten Armen am Boden fixiert. »What the fuck is going on in this fucking shit hole?«

      Die drei Neuankömmlinge beachteten ihn kaum. Nur der eine, ein Schrank von einem Kerl, blieb kurz stehen und schaute Riley finster in die Augen, stürmte dann aber den anderen hinterher ins Schlafzimmer. Der eine rief ständig nach seinem Papa.

      37

      »Woher soll ich denn wissen, wie diese besch… diese Amis ihre Stockwerke zählen«, rechtfertigte sich Tanja Heinbuch.

      »You said eleventh floor!«, knurrte Riley. Das Mädchen mit den krisseligen dunklen Locken und dem leuchtend roten Pickel an der rechten Schläfe war zwar eine Zicke vor dem Herrn, aber irgendwie gefiel sie ihm. Die hatte Feuer.

      »Ja! Und ›eleven floor‹ heißt auch elfter Stock und nicht zehnter Stock! Not ten floor. Wie kann man so blöd sein. Elf! Eleven is won mor sän ten!«

      »Leute, bitte«, sagte Bella Hemberger. »Es war ja letztlich ein Glück, dass es für einen Amerikaner kein Erdgeschoss gibt, sondern das gleich der erste Stock ist. So ist er in der Wohnung unter seiner eigentlichen Airbnb-Unterkunft gelandet und hat mindestens einer Person das Leben gerettet.«

      Zaghaft an den Türrahmen klopfend kam Becky Magert herein. »Guten Morgen«, sagte sie etwas unsicher. »Sie wollten mich sprechen, Frau Hemberger?«

      »Danke, Frau Magert, dass Sie gekommen sind.« Bella Hemberger schüttelte Becky die Hand und bat sie dann, sich zu den anderen beiden zu setzen. Becky hörte sich die Zusammenfassung an, was in der Nacht geschehen war, und weinte.

      »Das bringt Polly nicht wieder«, schniefte sie dann. »Aber gut, dass dieser Drecksack geschnappt wurde. Was sagt er, der Gärtner?«

      »Nichts. Er schweigt«, antwortete die Hauptkommissarin. Beppo Schubert hatte sich, als Riley seinen Griff lockerte, weil die Polizei eintraf, losgerissen und war auf den Balkon gestürmt. Die Beamten hatten damit gerechnet, dass er sich hinunterstürzen würde. Doch Beppo Schubert hatte sich am Geländer festgehalten und hinuntergeschaut. Dann hatte er sich umgedreht und sich widerstandslos verhaften lassen. Ein freundliches Lächeln umspielte seinen Mund. Er hatte »Na ja« gesagt, als die Handschellen klickten. »Na ja.« Seitdem schwieg er.

      Die Zeitungen wussten noch nichts, sondern berichteten über Herbert Försters überraschenden Rückzug von seiner politischen Karriere, beendet, bevor sie hatte beginnen können. Er wolle sich, so der Gatte der berühmten Queen of Crime, Susa Förster, deren neuester ›Basti Daxlberger‹ diese Woche auf Platz zwei der Bestsellercharts gestürmt war, mehr seiner Familie widmen. Er habe den Stress, den eine Kandidatur für ein politisches Amt mit sich brächte, völlig unterschätzt.

      »Jetzt müssen wir die Videos sichten, die Schubert von seinen Taten gemacht hat, und dann versuchen wir herauszufinden, wo seine Opfer abgeblieben sind«, erklärte Bella Hemberger.

      »Mein Gott, die arme Polly«, sagte Becky traurig. »Warum hat sie mir denn nichts von dem Armreif erzählt? Warum? Sie war wirklich naiv.«

      »Tja.« Bella Hemberger zuckte mit den Schultern. »Schubert war nett, freundlich, hatte immer ein offenes Ohr, wirkte wie ein Teddy … Man