Das Tango-Verwirrspiel. Herwig Riepl

Читать онлайн.
Название Das Tango-Verwirrspiel
Автор произведения Herwig Riepl
Жанр Триллеры
Серия Krimi
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783347039230



Скачать книгу

Darum fahren die Ermittler ein zweites Mal an diesem Tag in die Klinik. Zuerst sprechen sie mit einem Arzt und bekommen die genau gleichen Worte zu hören, die sie bei Schwester Anna gehört haben. Danach begeben sich die Ermittler zur Patientin ins Krankenzimmer.

      »Frau Roswitha Steinberg? Polizei Fürstenfeldbruck. Ich bin Hauptkommissarin Andrea Steiner, mein Kollege Hauptkommissar Erik Ingvardsen. Fühlen Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten?«

      »Natürlich! Fragen Sie nur.«

      »Haben Sie die Person erkannt, als es zu diesem Vorfall kam?«

      »Leider nein. Die Person kam von hinten auf mich zu, ich habe nichts gesehen, nur einen Stich gespürt. Zum Glück war noch ein Schüler hier, der genau in dem Moment aus der Umkleide kam, als ich attackiert wurde. Er hat auch ganz schnell die Rettung gerufen, sonst wäre ich jetzt vermutlich nicht mehr hier«, seufzt sie leicht aufgebracht.

      »Hast du Feinde oder eine Ahnung, wer zu so einer Tat fähig ist?«, fragt Erik.

      »Überhaupt nicht. Ich habe weder Probleme mit jemandem, noch wüsste ich, warum man mir so etwas antut. Für mich ist das ein vollkommenes Rätsel.«

      »Denken Sie nach, wer etwas gegen Sie haben könnte! Kann es jemand von den Tänzern sein? Wir brauchen unbedingt Informationen von Ihnen! Gestern gab es einen sehr ähnlichen Anschlag auf eine Nonne. Vielleicht gibt es sogar einen Zusammenhang?«

      »Ich kann Ihnen morgen natürlich gerne eine Liste der Schüler geben, aber ich glaube nicht, dass sie dabei wirklich fündig werden.«

      »Also gut. Wir kommen morgen bei Ihnen vorbei. Vielleicht fällt Ihnen ja bis dahin noch etwas ein. Wiedersehen und alles Gute! Ah noch eine letzte Frage. Wie heißt der Schüler, der den Vorfall gesehen hat?«

      »Herbert Sänger. Er wohnt gleich im ersten Haus links von der Tanzschule.«

      Daraufhin fahren die Kommissare los, um die besagte Person zu befragen.

      »Wie nichts?«, ärgert sich der Däne über die kurze Antwort, die er auf seine Frage bekommt, was der Schüler genau gesehen hat. »Du musst doch wenigstens irgendetwas gesehen haben. Frau Roswitha Steinberg hat uns erzählt, der Täter hat sie von hinten angegriffen, wurde durch dich gestört und ist schnell davon gelaufen.«

      »Genau so war es. Aber ich kann nicht mehr sagen. Auch ich habe die Person nur von hinten gesehen. Mit Turnschuhen, Jeans und einem Kapuzen-Shirt. Da die Kapuze über den Kopf gezogen war, kann ich nicht mal sagen, ob es eine Frau oder ein Mann war. Aber zumindest als sportlich und schnell würde ich die Person beschreiben.«

      »Mist!«, seufzt der Ermittler und verabschiedet sich.

      Auf der Rückfahrt kaufen sie sich ein Grillhendl mit Semmel und Kartoffelsalat und beenden zu Hause bei Erik mit dem gekauften Essen ihren Arbeitstag.

      »Magst du einen Wein?«, fragt er.

      »Mir wäre zu diesem Essen eigentlich lieber ein Øl«, meint die Kollegin, worauf der Däne gleich zwei Bier aus dem Kühlschrank nimmt.

      »Was war das nur für ein merkwürdiger Tag. Und niemand hat den Täter richtig gesehen. Das wirklich einzig Positive an der Sache ist, dass wir keine Leiche haben. Aber so planlos und verwirrt war ich auch schon lange nicht mehr«, seufzt er.

      »Da hast du wohl recht. Mir geht es nicht anders. Es wirkt alles ein bisschen zerfahren. Ich habe auch keine Ahnung, was ich davon halten soll. Übrigens, apropos keine Leichen. Hast du eigentlich bei deinen viele Reisen schon mal irgendwo so ein Ritual oder eine Zeremonie mit Toten erlebt? Ich meine, etwas, das ganz anders ist, als es bei uns hier abläuft?«, will Andrea plötzlich wissen.

      »Ja, so etwas habe ich wirklich erlebt und gesehen. Sogar gleich mehrmals. Einmal in Indien oder um es genauer zu sagen, Vārānasi ist sehr bekannt für seine Totenverbrennungen. Viele Hindus glauben, dem Kreislauf der Wiedergeburt nur in der heiligen Stadt Vārānasi zu entkommen. Wer dort stirbt, dessen Asche wird in den heiligen Fluss Ganges geworfen. Direkt am Fluss gibt es sogenannte Sterbehäuser, wo Menschen auf ihren Tod warten. Daneben türmen sich riesige Holzstapel und ein paar Meter weiter werden die Leichen auf Scheiterhaufen verbrannt.«

      »Und das kann man sich als Tourist einfach so ansehen?«, unterbricht die Kollegin jetzt doch leicht angespannt und etwas schockiert.

      »Die Leichen sind natürlich in ein Tuch gehüllt und liegen auf gestapelten Holzgerüsten. Aber ja, man kann trotzdem alles sehen und als Tourist zwischen den toten Körpern umherlaufen. Das Tuch ist natürlich relativ schnell verbrannt, dann raucht es aus dem Körper und Kopfhöhlen. Es ist nichts für Personen mit schwachem Magen. Die Leichenbestatter haben dort einen recht traurigen und schweren 24 Stunden Job und arbeiten sogar im Schichtbetrieb. Oft müssen Angehörige lange warten, bis sie an die Reihe kommen. Zehntausende Menschen kommen jedes Jahr nach Vārānasi, um dort zu sterben und es werden jedes Jahr mehr. Es ist für die Leichenbestatter ein leider endloser Job. Ich wurde von einer alten, sterbenden Frau gefragt, ob ich ihr ein bisschen Geld gebe, damit sie Holz für ihre Verbrennung kaufen kann. Das ist schon fast makaber, aber leider die absolute Realität. Für den Scheiterhaufen müssen die alten Leute selbst sorgen und aufkommen, sonst gibt es keine Verbrennung für diese Personen.«

      »Wie grausam das nur klingt!«, seufzt Andrea jetzt doch recht bekümmert.

      »Denk doch mal nach, bei der Erdüberbevölkerung heute ist das kein Wunder. Im Jahre 2020 kommen alleine in Indien über 17 Millionen neugeborene Menschen dazu, was die gesamte Einwohnerzahl von über 1,4 Milliarden Menschen in diesem Land bedeutet. Und die Tendenz ist natürlich jedes Jahr steigend.«

      Die Kommissarin schüttelt nur den Kopf und Erik spricht weiter: »Übrigens, eine ganz andere Form von Begräbnissen habe ich in Indonesien erlebt. Genau genommen war das in der Bergregion Tana Toraja auf der Insel Sulawesi. Ich war so sehr fasziniert und habe binnen weniger Jahre gleich zweimal diese Begräbnisfeiern besucht und beiwohnen dürfen. Aber … die blutigen Opferrituale sind sicher nichts für schwache Nerven. Etwa eine Woche dauert so eine Trauerfeier, wofür man oft zwei Monate lang Bambushütten baut und bemalt, damit die Trauergäste, die durchaus auch 1000 Personen und mehr sein können, dort auch übernachten können. Unzählige Wasserbüffel und Schweine werden geschlachtet, um alle Besucher zu versorgen. Ich bin mit meinen Flipflops in so viel Blut gewatet, dass es zwischen den Zehen gequietscht hat. Die Kosten so einer Feier sind leider enorm. Letztendlich spart man sein ganzes Leben für den Tod. Manche Leichen liegen dadurch jahrelang zu Hause bei deren Familien, bis man endlich genug Geld hat, um sie auf diese traditionelle Art zu beerdigen. Es gibt aber auch Felsengräber, bei denen man in luftiger Höhe aufgebahrt wird. Für Babys, die im zahnlosen Alter gestorben sind, gibt es eine besondere Art der Bestattung …die sogenannten Baumgräber. Dafür werden in riesige lebende Baumstämme Löcher hinein gehackt, um diese Kleinstkinder hineinlegen zu können. Die Babys wachsen in deren Fantasie mit dem Baum weiter.«

      »Auch wenn diese Erzählungen teilweise recht wild klingen, aber irgendwie beneide ich dich doch sehr, was du alles gesehen und erlebt hast«, sagt seine Kollegin.

      Dann lächelt der Däne und sagt: »Kys mig!«

      Darauf beugt sich Andrea zu ihm und küsst ihn ganz innig.

      Dienstag, 7. März. Die morgendliche Besprechung in der Mordkommission Fürstenfeldbruck beginnt heute ohne die zwei Meier´s, die sich nach ihrer aufgebrummten Nachtschicht gerade erst ins Bett begeben haben und von der Streifenpolizei abgelöst wurden. Die restlichen sechs Anwesenden versuchen einen Weg zu finden, wie sie gegen diese Anschläge vorgehen sollen.

      »Fakt ist, dass es sich dabei um ganz klare Mordversuche handelt, auch wenn zum Glück niemand ernsthaft zu Schaden kam. Darum sind es unsere Fälle. Das heißt, wir müssen das ganze Umfeld der beiden Personen durchleuchten«, beginnt Andrea die Diskussion. »Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitgeber und Kollegen. Das gesamte Programm«, seufzt sie etwas bedrückt.

      »Lena und ich fahren jetzt gleich zu den Adoptiveltern der Nonne«, meint die Fallanalytikerin. »Danach werden wir uns um die männlichen Besucher, also die Mönche, dieses sogenannten Privat-Klosters kümmern.«