Название | Drei Wanderer |
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Автор произведения | Helmut Tack |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347055377 |
«Bitte, lasst ihn doch erzählen. Wir hatten nicht vereinbart, was für Geschichten hier auf den Tisch kommen», brach es aus ihm heraus. Der Wirt wischte sich verschmitzt lächelnd die Stirn, während Siegfried ihm dankbar zunickte.
«Nicht, dass Ihr denkt, ich will euch mit einer dieser Schmuse - Geschichten ermüden», hob Siegfried an, «es ist zwar eine Geschichte über die Liebe, aber sie geht tiefer.»
Hannibal war damit nicht zufrieden.
«Also doch eine Liebesgeschichte.» Er warf den Kopf abschätzig in den Nacken.
«Na, dann wollen wir mal!» Es war als Einladung formuliert, barg aber so viel Ablehnung in sich, dass Siegfried die Lust am Erzählen fast verlor.
«Was soll das denn?» Siegfried wurde heftig, wies auf den Tisch. «Wenn es Dir auch nicht gefällt, das hier ist nicht mehr bloße Unterhaltung, es ist ein Wettstreit. Du warst auch damit einverstanden. Nicht Du, der Wirt soll Schiedsrichter sein. Wenn er sagt, ich war schlecht, ist es mein Pech, dann war ich eben schlecht und muss mich verbessern, also lass bitte deine Spitzen.»
Hannibal nahm die Worte mit einer um Verzeihung bittenden Geste hin. Er wusste, dass es ungerecht ist, eine Geschichte abzuurteilen, ehe sie erzählt war.
«Komm. Ist schon gut, erzähl nur.» Hannibal war zwar oft aufbrausend, aber er war nie ungerecht.
«Ohne, dass Du es wolltest, hast Du mir einen Aufhänger für meine Geschichte gegeben. Du hast mich verurteilt, ohne genau zu wissen, was ich will und warum ich es will.
Gut, ich weiß, dass Du Unrecht nicht akzeptierst, dass Du nicht zuletzt wegen einer Ungerechtigkeit Wanderer geworden bist, aber Du warst einen Moment ungerecht, das muss ich so sagen.» Siegfried klopfte versöhnend Hannibals Schulter.
«Aber es sollte Dich trösten, nicht nur Du bist damit behaftet. Viele von denen, die sich Menschen nennen, sind so.
Sie geifern und witzeln, lügen und verleumden, um dann, im Moment der Offenbarung all dessen, was sie gesagt und getan haben, mit dem Finger auf den anderen zu weisen. Dann, im Moment des Sich - Bekennens werden sie schwach. So sehr es sie auch grämt, sie suchen die Schuld für das eigene Verhalten bei anderen Leuten. Die menschliche Zunge ist schnell, sie bewegt sich oft genug hitziger, als es der Verstand befiehlt.
Dabei kommen Worte über die Lippen, die lieber nicht gesagt worden wären. Ein anderer Mensch wird verletzt, manchmal sogar verleumdet.»
Es wurde zunehmend stiller, denn seine Worte trafen jeden auf eine Weise, die nur derjenigen selbst ergründen konnte.
«Doch sagt man ihnen auf den Kopf zu, was sie damit anrichten, wollen sie keine Silbe davon gemeint, geschweige denn gesagt haben.» Sein Gesicht verklärte sich und der zuvor ernste Blick, wich einem sanften Ausdruck.
«Wenn man den Geschichten der Menschen zuhört, wird man feststellen, dass sie nichts anderes interessiert als die Liebe. Sie finden sie furchterregend und stimulierend zugleich. Verweigern sich ihr und gehen doch in ihr auf.» Sein Ausdruck wechselte zu Zorn.
«Dann ist da noch das Gefühl der verratenen Liebe. Sie ist schmerzlich, und manch einer kann sie nicht ertragen.
Sie beißt sich in die Seele des Abgewiesenen fest. Zerfrisst ihn von innen heraus. Zerstört ihn, ohne ihn auch nur körperlich zu berühren.» Siegfried fletschte die Zähne, als wolle er ein reißendes Tier nachahmen.
«Wenn ein solcher Mensch von der Liebe eines anderen hört, kann es vorkommen, dass der Neid auf dieses keimende Glück ihn noch mehr zerfrisst.»
Siegfried machte eine kurze Trinkpause.
«Er hat keine ruhige Minute mehr in seinem Leben. Keinen Augenblick, in dem das Denken nicht um diese Liebe kreist. Wenn dieser Mensch nicht mehr kann in seiner Pein, wenn das Gefühl allgegenwärtig wird, erbricht er tausend Worte der Unvernunft. Und um ihn herum erwacht das Interesse an seinen Lügen.»
Der Wirt rutschte auf seinem Stuhl hin und her. War es in seiner Ehe nicht auch zu solchen Situationen und Worten gekommen? Wie soll man die Liebe festhalten? Wenn das überhaupt geht.
«Er spürt das», redete Siegfried weiter, «badet seine wunde Seele in dem neuen Gefühl. Es ist ihm, als hätte er endlich die heilsame Salbe für seine klaffenden Wunden gefunden. Mit gierenden Fingern greift er danach, sorgt dafür, dass der Vorrat nie enden wird. Neue Worte quellen ihm aus der Seele, nehmen den unheilvollen Weg über die Lippen, werden zur Natter. Ja, zur Natter, sage ich», rief Siegfried und hob beschwörend die Arme, «zur Natter der Verleumdung, Lüge und Verzweiflung. Sie kriecht von Ohr zu Ohr, findet hier und da nur kargen Boden. Doch gemeinhin erwartet sie ein wahres Dorado menschlicher Neugier.» Er trank rasch einen Schluck Wein. Sein Gesicht war rot vom Rufen und reden.
«Sie frisst sich satt, um dann, fetter denn je, ein anderes Ohr über den Mund zu erreichen. Das geht so lange gut, bis sie zu fett ist, nicht mehr in die Gehörgänge passt. Sie platzt!» Siegfried schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte.
«Dann kommt der entscheidende Moment. Noch ehe sie sich zerteilt hat, kann sie Junge gebären. Je nachdem, wie nahrhaft der Boden war. Es sei denn der Acker war vergiftet und durchsetzt von Zweifeln. Das ist der Tod der Natter. Was interessiert nun ein solches Reptil mehr als schnelle, flüchtige Liebe, der Moment?» Siegfried wies nichtssagend in den Raum.
«Da sind ein Mann und eine Frau, voller Angst vor der eigenen Einsamkeit. Sie suchen den Partner, der sie durch das Leben begleiten kann. Doch wer sucht, wird auch leicht betrogen. Immer gibt es Leute, die die Angst anderer auszunutzen verstehen. Sie riechen das, gehen der untrüglichen Spur nach und stoßen bald auf ein Opfer. Wer so ein Opfer sucht, geht am besten zu einer Tanzveranstaltung, in Kaffees oder Tanzbars. Dort findet er, was er sucht.»
Die Zuhörer konnten sich nicht des Eindruckes erwehren, dass Siegfried von sich sprach.
«Da stehen sie rum. Männlein und Weiblein, schön getrennt voneinander, sich nicht berührend. Alle wissen um die Not der anderen. Man braucht nur hinzugehen, ein paar belanglose Worte zu sagen, das Haar oder die Ausstrahlung loben, schon schmilzt das Eis in der Wärme der Versprechen. Wer glaubt, vergessen worden zu sein, ist besonders empfänglich für Interesse.»
Seine Stimme wurde plötzlich leiser, behutsamer.
«Die Sache hat einen Haken. Häufige Partnerwechsel werden ruchbar, öffentlich. Hat ein Mann viele Bekanntschaften, steigt sein scheinbarer Wert. Bei einer Frau ist es umgekehrt.» Siegfried formte einen abschätzigen Gesichtsausdruck.
«Warum eigentlich? Sie wird doch nicht schmutzig davon.»
Hannibal hatte seinen Freund so noch nie gehört.
«Ist gut Kumpel. Brauchst Dich doch nicht aufregen. Wir wollen doch nur eine Geschichte hören.»
Siegfried schien Hannibal nicht zu hören. Er redete einfach weiter.
«Dann gibt es da noch die Jäger. Sie sind spezialisiert auf derartige Opfer. Sie machen sie aus, wie ein Wilderer das Wild wittert. Nach dem Schuss lassen sie es leiden und rauben nur eine Trophäe. Das sind die Schmutzigsten, die Natterfütterer. Jeden Tag ein neues Opfer, eine neue Tat, für die es keine Strafe gibt. Es sei denn, das Schicksal selbst legt seinen Finger in die Wunde und richtet.»
Siegfried griff nach dem Becher. Eigentlich war er ein schweigsamer Mensch, umso mehr staunten seine Freunde über diese Wortflut. Es musste etwas ganz Besonderes sein, das er ihnen mitteilen wollte. Sie ließen ihn in Ruhe seinen Wein trinken und sich besinnen.
«Tja, was soll ich sagen?», begann er.
«Wie Ihr aus eigener Erfahrung wisst, kann unsereiner nicht immer einen geeigneten Schlafplatz finden. Manchmal soll man mit dem Vorlieb nehmen, was man gerade vorfindet. Eine Parkbank, eine Brücke, einen abbruchreifen Schuppen oder aber eine Friedhofsmauer. An einer solchen übernachtete ich vor knapp einem halben Jahr. Mir war es recht gruselig dort, denn wer weiß schon im Voraus, ob da nicht einer spukt.
Ich legte mich also in den Windschatten der Mauer und